„Der Viennale verdanke ich meine Familie“
„Der Tag beginnt damit, dass wir einmal einen Kaffee machen. Das ist das Wichtigste! Die Kaffeemaschine nehm ich von zu Hause mit, weil ohne Kaffee geht’s gar nicht.“ Manfred Schwaba ist einer von sechs Saalregisseuren der Viennale. Mittags um zwölf beginnt seine Schicht im Urania-Kino und dauert bis ein Uhr in der Nacht. Gelegentlich auch länger, wenn es – wie heute – eine geschlossene Sondervorführung bereits am Morgen gibt. An den fünfzehn Tagen der Viennale lebt Schwaba in und mit dem Kino. Und das seit achtzehn Jahren, denn so lange macht er diesen Job.

Maya McKechneay
Schwaba liebt die Urania: „Wie ein Schiff liegt sie über dem Donaukanal. Alles ist ein bisschen grantig hier, aber auch charmant“
Wobei, die Saalregie ist mehr als ein Job für den Landschaftsarchitekten, der übers Jahr in der Stadterneuerung arbeitet. Jedes Jahr nimmt sich Schwaba extra zwei Wochen frei, um in das Festival abzutauchen „Ich mach das seit 1997. Das war auch der Grund, warum ich mit dem Studium so lang gebraucht hab, weil ich am Anfang die Vorlesungen immer versäumt hab. Erst geht man nicht hin, und dann geht man eh schon nimmer, weil’s sinnlos ist“. Bereuen würde Schwaba die Viennale trotzdem nie, denn hier hat er seine Frau kennen gelernt, mit der er mittlerweile drei Töchter hat. „Die hab ich der Viennale zu verdanken, also die Töchter nicht, aber die Sophie schon.“
Zwei Wochen leben im Kinosaal
Es scheint etwas Magisches zu haben, das zwei Wochen lange Leben im Kinosaal. Birgit Baldasti, früher Saalregisseurin im mittlerweile stillgelegten Stadtkino am Schwarzenbergplatz, arbeitet heuer im neuen Eric-Pleskow-Saal. Sie ist noch länger dabei als Schwaba, schon unter Hans Hurchs Vorgängern Alexander Horwath und Wolfgang Ainberger übernahm die ausgebildete Schauspielerin mit zwei Kolleginnen die Ansagen im Kino. Vieles hat sich seither professionalisiert: „Früher“, sagt Baldasti, „musste man oft zittern, ob die Filmgäste und Moderatoren rechtzeitig nach dem Film kommen. Einige Male bin ich für das Gespräch eingesprungen, stand dann plötzlich mit Ulrike Ottinger vorne und habe über ihren Film gesprochen.“ Heute, sagt sie, schnurre die Viennale wie eine Maschine. Gäste und Moderatoren sind da, wenn man sie braucht.
Baldastis Kollegin, Magda Tothova, macht seit 2001 Saalregie bei der Viennale. In diesem Jahr betreut sie den großen Kinosaal im Metro, der vom Filmarchiv mit dem Umbau verglast und in „historischer Kinosaal“ umbenannt wurde. Ein bisschen wie ein Museumsstück. Tothova, die übers Jahr als bildende Künstlerin arbeitet, performativ und mit Videos, ist während eines Viennale-Tages dreizehn bis vierzehn Stunden im Metro. Eine Ausnahmesituation, die auch etwas Erleichterndes hat, denn „ich muss gar nicht wählen, muss nicht entscheiden. Ich sehe, was läuft und nehme mir wahnsinnig viel mit“. Hier im Metro traf Tothova schon Tilda Swinton oder die mittlerweile verstorbene „King Kong“-Darstellerin Fay Wray, mit der sie Fotos machte: „Zum Glück hatte ich an dem Tag meine Kamera dabei und einen Schwarzweißfilm eingelegt.“

Maya McKechneay
Das Clipboard stets in der Hand – Gartenbau-Saalregisseur Géza Terner verlost vor Nanni Morettis „Mia Madre“ Taschen
Blinder Passagier im Metro-Kino
Besondere Situationen gibt es im Kino immer wieder - und manchmal muss die Saalregie schnell reagieren. Baldasti erinnert sich an die Vorführung eines DDR-Musicals mit Manfred Krug. Erst nach dem Filmstart merkte der Vorführer, dass der letzte Akt direkt hinter dem ersten hing. „Der Film war schnell zu Ende“, sagt Baldasti, die damals entschied, alles nochmal zu starten. In den frühen Jahren der Viennale wurden viele Filme noch mit Kopfhörern live-übersetzt. Als einmal die gebuchte Französisch-Übersetzerin zum Filmstart nicht auftauchte, rief der damalige Viennale-Direktor Alexander Horwath eine Kollegin an. Um Mitternacht. Die Frau stand zehn Minuten später im Kino. Am Ende klappt ja doch alles irgendwie - und an bestimmte Herausforderungen haben sich die Saalregisseurinnen gewöhnt: Da gibt es zum Beispiel den „blinden Passagier“ im Metro-Kino, der „immer gut gekleidet, in Anzug und Krawatte, versucht, sich ohne Karte in ausverkaufte Vorstellungen zu schmuggeln. Den kennen wir schon seit Jahren, haben ihn schon fotografiert und sein Foto aufgehängt, aber er gibt nicht auf.“
Im Grunde ist der Festivalverlauf nach den vielen Jahren aber Routine, und die Saalregisseure wissen, wann die große Erschöpfung kommt: „Entweder man war schon vorher krank, wegen der Umstellung in den Herbst, oder man wird es durch die Lüftung und die vielen Bazillen im Saal. Im letzten Drittel des Festivals sind die Vorführer und wir alle krank. Da halten wir uns durch viel Ingwertee, gute Laune und gegenseitige Unterstützung aufrecht. Nur die Gästebetreuer sind noch erschöpfter, die feiern ja beruflich bis in den frühen Morgen.“ Der Zusammenhalt im Team ist da wichtig, und vielleicht spürt das Publikum die familiäre Stimmung an der Einmoderation.

Maya McKechneay
Magda Tothova und Birgit Baldasti: Tag zwei der Viennale für die beiden Saalregisseurinnen des Metro-Kinos
Heimliche Privatprojektion in der Urania
Schwaba, der selbst auch Filme dreht – ganz Old-School auf 35mm und 16mm – erzählt, dass er und seine Kollegen manchmal die Pausen zwischen den offiziellen Filmen nutzten, um Eigenes zu projizieren. In die Bedienung des 35mm Projektors der Urania ließ er sich noch einweisen, kurz bevor dieser an die Wand gerückt wurde. Alles, was man jetzt in der Urania sieht, ist digital. Im Metro werden dagegen auch noch Filmrollen eingelegt. Einer der Vorführer geht während des Gesprächs am Tisch vorbei. „Muss in die Sauna“, sagt er, denn die Projektionskabine des Metro-Kinos ist stickig und eng.
Man muss das Kino lieben, um hier zu arbeiten. Aber wer fünf bis sechs Filme am Tag sehen will, der ist richtig in diesem Job: „Es ist wirklich wie ein Paralleluniversum. Man geht nur kurz heim zum Schlafen. Die Viennale funktioniert wie eine riesige Spritze, mit der man Film rein geschossen bekommt. Da kann man gar nicht mehr anders als mit und in Filmen zu denken“, sagt Schwaba. Ist denn einer von ihnen schon mal während der Vorführung eingeschlafen? Über diese Frage müssen die Saalregisseure lächeln, denn die Antwort liegt auf der Hand. Schließlich formuliert Tothova für alle diplomatisch: „Ein guter Film, der hält das aus.“
Maya McKechneay, ORF.at