„Das Unterbewusstsein ans Steuer lassen“

Im Interview mit ORF.at spricht „Nachtmahr“-Regisseur AKIZ aka Achim Bornhak über die Ängste eines Teenagers, ganz und gar unbedrohliche Monster und seinen Werkspionage-Ausflug in Jim Hensons Puppenwerkstatt.

ORF.at: Sie arbeiten als Regisseur und bildender Künstler. Ich nehme an, es ist kein Zufall, dass Ihr Film heißt wie das berühmte Gemälde „Der Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli, in dem ein Gnom auf einer schlafenden Frau kauert?

Filmhinweis

„Der Nachtmahr“ ist ein Techno-Monsterfilm, der das Zeug zum Kult hat. Was als Gruselstory beginnt, wandelt sich zum einfühlsamen Coming-of-Age-Drama mit überraschendem Ausgang - mehr dazu in Das Mädchen und sein Monster.

AKIZ: Das Bild kannte ich natürlich. Es ja schon fast so ikonografisch wie das Foto von Marilyn Monroe in ihrem flatternden Kleid oder das Porträt von Che Guevara. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Gemälde von Füssli und dem Film „Der Nachtmahr“ ist für mich, dass im Gemälde eine starke erotische Komponente mitspielt, die ich im Film so nicht sehe. Zumindest nicht zwischen Kreatur und Darstellerin.

ORF.at: Was hat Sie an der Figur des Nachtmahrs so fasziniert?

AKIZ: Am Anfang wollte ich gar keinen Film daraus machen, sondern nur eine statische Skulptur. Damals hatte ich die Vision einer Mischung aus einem Fötus und einem uralten Mann. Wenn man das Leben als Kreis sieht, drängt sich einem ja die Frage auf: Was passiert, wenn man den Anfang mit dem Ende verbindet? Das Ergebnis ist diese Kreatur.

ORF.at: Sie haben dann rund zehn Jahre damit verbracht, den „Nachtmahr“ zum Film zu entwickeln ...

Porträt des Regisseurs AKIZ

OOO-Films GbR

AKIZ aka Achim Bornhak

*1969, Regie-Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg. Sein Diplomfilm wurde für den Oscar der Academy Awards nominiert. Sein Kurzfilm „Painting Reality“ (2010) wurde von Banksy in seinem Film „The Antic’s Road Show“ gefeatured. 2012 gründet kiz die Produktionsfirma OOO-Films, die mit „Der Nachtmahr“ ihren ersten Kinospielfilm produzierte.

AKIZ: Ja, die erste Figur habe ich noch alleine, mit meinen eigenen Händen gebaut. Wenn Sie im Making-of-Footage genauer hinschauen, sehen Sie, wie sich die Figur aus einem Klumpen Ton auf meinem Küchentisch zu einer fertigen Figur wandelt.

ORF.at: Später haben Sie mit professionellen Animationstechniken gearbeitet, wie man im Making-of (siehe Link unten, Anm.) sieht.

AKIZ: Wir haben damals sozusagen Werkspionage in Jim Hensons Creature Shop betrieben, indem wir dort gedreht haben, mit der Behauptung, ich sei ein erfolgreicher Regisseur aus Europa, über den MTV Europe eine Doku dreht. In Wirklichkeit waren die Aufnahmen nur dazu da, damit wir später im Suchbildmodus recherchieren konnten, welche Werkzeuge und Techniken sie dort verwenden.

ORF.at: Mich hat „Der Nachtmahr“ unter anderem an die 70er-Jahre-Body-Horrorfilme von David Cronenberg erinnert, in denen sich psychische Zustände zu Monstern auswachsen. Besonders an „The Brood“ – war der eine Inspiration?

AKIZ: „The Brood“ habe ich nicht gesehen. Mein Lieblingsfilm von Cronenberg ist „Crash“. Ich bin kein wirklicher Freund von Body-Horrorfilmen. Ich bin eigentlich überhaupt kein Freund von Horrorfilmen und verstehe im Grunde auch nicht, wie man den „Nachtmahr“ als Horrorfilm verstehen kann. Ich persönlich hatte immer den Eindruck, dass das Publikum nach nur wenigen Minuten versteht, dass von diesem Monster keine Gefahr ausgeht.

Filmstill aus "Der Nachtmahr"

OOO-Films GbR

Tina (Carolyn Genzkow) nach einer durchtanzten Nacht vor dem Berliner Technoclub „Berghain“

ORF.at: Vielleicht keine Gefahr, aber eine dunkle Wahrheit. Ist nicht das Wesen des Nachtmahrs – verfressen, unförmig und faltig wie es ist – auch ein Gegenentwurf zum hedonistischen Körperbild in Tinas Clique? Er verkörpert doch die unterdrückten Wünsche dieser Size-Zero-Teenies, die bei Hollister shoppen.

AKIZ: Interessante Frage: Was genau das Wesen verkörpert, bleibt ungewiss. Aber mit Sicherheit hat es damit zu tun, wie sich Tina in ihrer Clique fühlt. Dort scheinen ja äußere Werte eine größere Rolle zu spielen als die inneren. Im Grunde verkörpert der Nachtmahr für mich das unangenehme Gefühl, dass einem etwas anhaftet, was einem vor den Augen der Außenwelt unangenehm ist. Ich glaube, jeder Teenager kennt dieses Gefühl. Eine der spannendsten Interpretationen kam von einem Festivalkurator, der meinte, in diesem Film würde „das Unterbewusstsein ans Steuer gelassen“.

ORF.at: Wie wichtig war eigentlich die Musik bei der Entstehung des Films?

AKIZ: Ich habe Bild und Musik parallel geschnitten, beides war gleich wichtig.

ORF.at: Es gibt eine wunderschöne Szene zu Beginn des Films, in der Tina und ihre Freunde im Stroboskoplicht tanzen. Statt Techno dröhnt da eine majestätische Orgel ...

AKIZ: Danke. Wir nannten die Szene immer „das Requiem“. Wir wollten diese Party eher wie ein dunkles, religiöses Ritual der Teenager inszenieren. Es sollte friedlich und ruhig wirken. Wichtig war der Umschnitt der Musik auf den Track von CX Kidtronik/ Atari Teenage Riot, bei dem in der gleichen Location plötzlich die Originalmusik aus den Lautsprechern des Clubs dröhnt und einem fast das Trommelfell zerreißt. Für mich ein Schlüsselmoment im Film, in dem man miterlebt, wie subjektiv Wahrnehmung sein kann. Jeder kennt das Gefühl, wenn man als Teenager auf einer Party ist - und sich mit einem Mal umschaut und überlegt: „Wo bin ich denn hier gelandet?“ Der Moment, in dem die angenehme Partystimmung in blankes Unwohlsein umschlägt.

ORF.at: Neben Alec Empire, der Teile des Scores beisteuerte, war auch Kim Gordon (Sonic Youth) involviert. Sie singt die Vocals im Abspannsong und hat einen kurzen Auftritt im Film. Wie kam sie zu diesem Projekt?

AKIZ: Sie ist ein Fan meines letzten Films, „Das wilde Leben“ (ein Biopic über Uschi Obermaier, gedreht als Achim Bornhak, 2007, Anm.). Als sie 2013 in Deutschland ihren Geburtstag feierte, haben wir uns kennengelernt und festgestellt, dass wir gerne zusammenarbeiten würden. Sie hat mir und dem Projekt so sehr vertraut, dass sie mitgearbeitet hat, ohne das Drehbuch zu kennen. Kim Gordon ist intelligent, charmant und angenehm in der Zusammenarbeit. Obwohl sie ein Superstar ist, war keinerlei Attitüde oder Arroganz um sie herum. Durch sie hat eine eigentlich eher banale Szene einen Schlüsselcharakter bekommen: Als Englischlehrerin spricht sie über den Dichter William Blake (siehe Szenenlink unten, Anm.), der sich als Vertreter der „dunklen Romantik“ mit ähnlichen Motiven befasst hat wie mein Film: fiebrige Zustände, Wahnvorstellungen, ekstatische Momente. Und Kim Gordons Abspannsong wirkt auf mich wie Schlagsahne auf dem Kuchen.

Filmstill aus "Der Nachtmahr"

OOO-Films GbR

Kim Gordon bittet als gestrenge Englischlehrerin zur William-Blake-Gedichtanalyse

ORF.at: Sie selbst benutzen – wie ein DJ oder Musiker – das Namenskürzel AKIZ und haben unter diesem Namen auch beim „Nachtmahr“ Regie geführt. Wann arbeiten Sie eigentlich als AKIZ, wann unter Ihrem „bürgerlichen“ Namen, Achim Bornhak?

AKIZ: AKIZ ist mein Künstlername. Wenn ich als AKIZ an einem Werk arbeite, bin ich niemandem zur Rechenschaft schuldig. Als Achim Bornhak arbeite ich als Auftragsregisseur, der sich abstimmen muss und nicht das alleinige Letztentscheidungsrecht über sein Werk hat. „Der Nachtmahr“ ist komplett so entstanden, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ich bin sicher, dass er niemals so kontrovers, extrem und intensiv geworden wäre, wenn es sich dabei um eine Auftragsarbeit gehandelt hätte, die ich unter dem Namen Achim Bornhak gemacht hätte.

Das Gespräch führte Maya McKechneay, ORF.at

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