Filmfestspiele als Oscar-Barometer
Die Filmfestspiele von Venedig zeigen heuer ein paar Filme, auf die man schon lange gewartet hat. Doch einmal mehr ist die Freude getrübt: Wieder wurde nur eine Frau als Regisseurin zum Wettbewerb eingeladen. Stark vertreten sind Netflix-Produktionen.
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Den Auftakt macht am Mittwoch jedoch ein konventioneller Kinofilm: „First Man“ von Damien Chazelle. Er erzählt mit Ryan Gosling in der Hauptrolle von Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betrat. Es ist damit auch der erste von 21 Beiträgen im Wettbewerb, an die die Jury um Guillermo del Toro („Shape of Water“) am 9. September die Hauptpreise vergeben wird. Chazelle und Gosling eröffneten übrigens schon vor zwei Jahren die Festspiele auf dem Lido: Das Musical „La La Land“ wurde später mit sechs Oscars ausgezeichnet.
Überhaupt konnte sich Venedig als erstes wichtiges Forum für die jeweils folgende Oscar-Saison etablieren. Leiter Alberto Barbera bewies immer wieder ein sehr gutes Gespür für Filme, die danach noch international Erfolge feierten. Nun wollen zahlreiche Regisseure diese Plattform nutzen - und das macht sich auch in dieser Festivalausgabe bemerkbar, in der besonders viele hochkarätige Filmemacher und mit Spannung erwartete Werke vertreten sind.

Universal Pictures
Ryan Gosling (Vordergrund) als erster Mann auf dem Mond
Tom Waits in Coen-Western
Die vierfachen Oscar-Gewinner Ethan und Joel Coen etwa legen mit dem Netflix-Film „The Ballad of Buster Scruggs“ einen Western mit James Franco, Liam Neeson und Tom Waits vor. Auch der Franzose Jacques Audiard entschied sich für seinen ersten Film auf Englisch für eine Westerngeschichte und schickt Joaquin Phoenix und Jake Gyllenhaal in „The Sisters Brothers“ durch das Oregon des 19. Jahrhunderts.
Alfonso Cuaron hingegen zeigt nach seinem Oscar-Gewinner „Gravity“ das in Schwarz-Weiß gedrehte „Roma“ über das Mexiko seiner Kindheit. Auch der Brite Mike Leigh geht zurück in die Vergangenheit: „Peterloo“ thematisiert das Massaker 1819 in Manchester, bei dem eine friedliche Protestkundgebung tödlich niedergeschlagen wurde. Julian Schnabel hingegen schaut in „At Eternity’s Gate“ mit Willem Dafoe und Mads Mikkelsen auf Vincent van Goghs Zeit in Arles. Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ ist ebenfalls das Porträt eines Künstlers (Tom Schilling). Dieser wird nach der Flucht in den Westen von den Erinnerungen an die NS-Zeit und an das SED-Regime verfolgt.
Wieder nur eine Regisseurin
Vor Beginn des Festivals war Festivaldirektor Barbera mit der Kritik konfrontiert, zu wenige Regisseurinnen zum Wettbewerb zugelassen zu haben. Eine einzige Filmemacherin, die Australierin Jennifer Kent, rittert mit einem Film - „The Nighingale“ - um den Goldenen Löwen. Auch in den anderen Schienen sind kaum Regisseurinnen vertreten.
Das Magazin „Hollywood Reporter“ warf den Organisatoren des Festivals „Machismus“ vor. Barbera wies den Vorwurf zurück. „Lediglich 23 Prozent der 3.400 Filmen, die wir für die diesjährige Festivalausgabe erhalten haben, sind von Regisseurinnen. Wenn es an Filmemacherinnen mangelt, ist es nicht unsere Schuld. Die Schuld liegt an der Filmindustrie, in der Männer das Sagen haben. Wir können nichts anderes tun, als die Filme aufgrund der Qualität und nicht aufgrund des Geschlechts des Regisseurs zu wählen“, sagte Barbera nach Angaben der römischen Tageszeitung „Il Messaggero“ (Dienstag-Ausgabe). „Frauenquoten“ im Wettbewerb wären für die Regisseurinnen selbst eine Demütigung. Man dürfe Regisseurinnen nicht in ein Ghetto einsperren, meinte Barbera.
Der Lady-Gaga-Film
Frauen können also einmal mehr nur vor der Kamera einen starken Eindruck hinterlassen: Natalie Portman („Black Swan“) gibt in „Vox Lux“ eine Sängerin, die sich zurück ins Leben kämpft, während Kent in „The Nightingale“ eine Frau auf einen Rachefeldzug schickt. Und Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) besetzte sein „Suspiria“ (Ein Amazon-Film) fast ausschließlich mit Schauspielerinnen, darunter Dakota Johnson und Tilda Swinton.
Auch außer Konkurrenz bietet das Programm einige Highlights. So bringt Bradley Cooper sein Regiedebüt „A Star is Born“ nach Venedig: In dem Musikfilm spielt Lady Gaga nicht nur die Hauptrolle, sondern schrieb außerdem einige der Songs mit. Mel Gibson steht ebenfalls auf der Gästeliste des Festivals. Mit Vince Vaughn ist er in dem Actiondrama „Dragged Across Concrete“ zu sehen.
Steve Bannon tritt in Doku auf
Für politischen Gesprächsstoff ist genauso gesorgt: Errol Morris traf sich für seine Dokumentation „American Dharma“ mit Steve Bannon, dem einstigen Chefstrategen von US-Präsident Donald Trump und Breitbart-News-Leiter. Hinzu kommt die deutsche Koproduktion „Isis, Tomorrow. The Lost Souls of Mosul“. Die Doku fokussiert auf die Auswirkungen, die die Besetzung der Stadt durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf Kinder und Jugendliche hatte.
Ein großer Clou ist darüber hinaus die Premiere von „The Other Side of the Wind“. Regielegende Orson Welles drehte das Werk in den 70er Jahren, konnte es aber nie beenden. 2017 kaufte dann der Streamingdienst Netflix die Rechte und vollendete den Film. Eigentlich sollte er bereits beim Festival Cannes gezeigt werden. Doch da es dort Ärger rund um die Kinoauswertung von Netflix-Produktionen gab, wurde der Welles-Film zurückgezogen (wie übrigens auch Cuarons Beitrag). Nun ist Netflix umso stärker in Venedig vertreten - und das Filmfest kann sich mit „The Other Side of the Wind“ über ein ganz besonderes Geschenk für seine 75. Ausgabe freuen.
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