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Auf Kollisionskurs mit Brüssel

Im September soll Italiens Haushaltsentwurf vorgestellt werden. Und der könnte die bisher größte Prüfung für die junge Koalition aus der rechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung bedeuten. Denn durch die kostspieligen Wahlversprechen und die schwächelnde Wirtschaft begibt sich Italien auf Kollisionskurs mit der EU-Kommission. Indes springen ausländische Investoren von Staatsanleihen ab.

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2,2 Billionen Euro - so hoch ist der Schuldenberg der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone. Und der wird nicht kleiner. Denn laut Angaben des Wirtschaftsministers Giovanni Tria werde das langsame Wirtschaftswachstum das Staatsdefizit im kommenden Jahr in die Höhe treiben. Das Wirtschaftswachstum war mit 1,2 Prozent heuer geringer als erwartet. Somit folgt auch nur eine langsame Reduzierung der Schulden.

Italiens Wirtschaftsminister Giovanni Tria

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Italiens Wirtschaftsminister Giovanni Tria erwartet einen Anstieg des Staatsdefizits

Finanzmärkte sind besorgt

Nicht nur, aber vor allem deswegen werden die Budgetpläne der italienischen Regierung im September in Italien, der EU sowie auf den Finanzmärkten mit Spannung erwartet. Die Wahlkampfversprechen der jungen Regierung sind nicht nur groß, sondern teuer. Das Kürzen von Steuern und die Einführung von einem Grundeinkommen in der Höhe von 780 Euro sowie Investitionen in die Infrastruktur könnten mehrere zehn bis 100 Mrd. Euro kosten. Das dürfte auch das Staatsdefizit ansteigen lassen.

Die EU-Kommission sowie die Finanzmärkte beobachten die Pläne mit Sorge. Immerhin muss die italienische Regierung ihre Budgetpläne vor der Kommission verantworten. Doch schuld an der Misere ist laut Gustavo Piga, Professor für politische Ökonomie an der Tor-Vergata-Universität Rom, mitunter die EU selbst. Im Gespräch mit ORF.at verglich Piga Italien mit einem schwachen Patienten, der von seinem Doktor - der EU - die falsche Medizin verschrieben bekam. Das sei etwa die strenge Austeritätspolitik sowie das Einfrieren öffentlicher Ausgaben.

Wer ist schuld?

Ähnlich sieht das die italienische Regierung. Als jüngstes Beispiel für eine Mitschuld der EU nannte diese den Brückeneinsturz in Genua mit 43 Todesopfern. Kurz nach dem Unglück stellte Innenminister Matteo Salvini einen Zusammenhang mit den europäischen Defizitregeln her. Aufgrund der strengen Sparmaßnahmen habe dem Land das Geld für dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur gefehlt. Die Verkehrssicherheit in Italien dürfe nicht beeinträchtigt werden, verlangte er. Brüssel wies die Schuld von sich.

Die Reaktion der italienischen Regierung, die die Industriellendynastie Benetton und deren Infrastrukturkonzern Atlantia für den Einsturz verantwortlich machte, hatte zudem ein Ansteigen der Rendite auf Staatsanleihen zur Folge. Die Atlantia-Aktie brach ein, Investoren der Atlantia wurden vertrieben. Das Image Italiens litt.

Zerstörte Morandi Brücke

AP/ANSA/Luca Zennaro

Italien hatte nach dem Brückeneinsturz von Genua mit 43 Toten die EU an den Pranger gestellt

Infrastrukturprojekte werden gestoppt

Dazu kommt, dass die Konjunktur weltweit schwächelt und das Land mehrere hundert Mrd. Euro zur Refinanzierung braucht. Erschwert wird das durch das Auslaufen des Anleihekaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB). Immerhin ist Italien einer der größten Märkte für Staatsanleihen weltweit.

Italien hat laut Pigas Einschätzung seine wirtschaftliche Situation zu weiten Teilen durch missglückte Reformen des öffentlichen Sektors selbst verursacht. Zudem liegen bei italienischen Banken 186,7 Milliarden Euro an faulen Krediten. Auch Korruption wurde den Vorgängerregierungen immer wieder vorgeworfen. Aber auch von der neuen Regierung werden nun wichtige Infrastrukturprojekte wie Kaufverträge für das Stahlwerk Ilva oder die Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Turin und Lyon aufgehalten, was Vertragsstrafen nach sich zieht.

EU-Wahl schwächt Brüssel

Dennoch befindet sich die italienische Regierung mit ihren durchwachsenen Reformplänen bei Verhandlungen mit der EU in einer starken Position. Ein Grund sind die anstehenden EU-Wahlen im Mai, bei denen ein Rechtsruck nicht unwahrscheinlich scheint. Salvini plant in Hinsicht auf die Wahl etwa eine Allianz von Europas populistischen Parteien im EU-Parlament.

In Brüssel wird befürchtet, dass sich Italien Wege suchen könnte, um bei der angekündigten Ausgabenerhöhung die europäische Schmerzgrenze auszureizen. Noch vor Regierungsantritt brachte ein Koalitionsentwurf einen Schuldenerlass von 250 Mrd. Euro durch die EZB ins Gespräch. Konkrete Pläne standen aber laut Lega-Sprecher nicht im Raum.

Fiskalregeln könnten ignoriert werden

Auch Investoren befürchteten, dass die Regierung die europäischen Fiskalregeln ignorieren und dadurch die Schulden in die Höhe treiben könnte. Der Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen war deshalb jüngst so hoch wie zuletzt Ende Mai. Damals zogen Investoren ob der turbulenten Koalitionsverhandlungen im Land aus Staatsanleihen ab und nahmen binnen weniger Wochen 100 Milliarden Euro mit sich.

Die derzeitige Situation könnte es Italien ermöglichen, sein Haushaltsdefizit auf die europäische Obergrenze von drei Prozent anzuheben, sagte Piga. „Das wäre ein großer Verhandlungserfolg für die italienische Regierung“, so der Ökonom. Laut seiner Schätzung bleiben der Regierung dann etwa 15 bis 30 Mrd. Euro für die neuen Maßnahmen übrig. Giancarlo Giorgetti, Staatssekretär der Regierungspartei Lega, schloss jedoch nicht aus, auch diese Marke zu überschreiten.

Experte: Regierung weiß nicht, was sie tut

„Es ist ein sehr gefährlicher Moment für die neue Regierung, denn wenn sie nicht versteht, was Italien braucht, könnten sich die Märkte gegen sie wenden,“ so Piga. In so einem Szenario würden Zinssätze und das Defizit weiter ansteigen.

„Wir haben da ein Land mit Schulden in Höhe von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (in der EU sind 60 Prozent erlaubt, Anm.), ernsthaften inneren Problemen, einem schmutzigen Bankensystem - und jetzt wird es von Leuten gelenkt, die nicht wissen, was sie tun“, urteilte der Wirtschaftsexperte Charles Wyplosz gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Koalition auf dem Prüfstand

„Wenn wir den September überleben, dann kann die Regierung vorangehen, sonst ...,“ wird der italienische Innenminister Matteo Salvini in der Zeitung „La Repubblica“ zitiert und deutet die bis dahin größte Prüfung der neuen Regierung an. Bisher schwebt die wenige Wochen alte Koalition der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung auf einem Beliebtheitshoch. Umfragen zufolge wird sie von 60 Prozent der Bevölkerung unterstützt.

Die Ratingagentur Moody’s kritisierte jedoch, dass es keine klaren Finanzierungsvorschläge für die Regierungsvorstellungen gebe. Bei den anstehenden Neubewertungen der italienischen Kreditwürdigkeit durch Moody’s und Co. im August, September und Oktober wird eine Ratingabstufung befürchtet. Derzeit ist das Land nur zwei Stufen vom Ramschniveau entfernt.

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