Themenüberblick

Automatismus in der Kritik

Am Freitag ist die Begutachtungsfrist für das „Standortentwicklungsgesetz“ zu Ende gegangen. Dahinter versteckt sich die Verkürzung der Überprüfung der Umweltverträglichkeit von Großprojekten auf ein Jahr. Ist die Überprüfung dann nicht fertig, wird das Projekt automatisch genehmigt. Doch was würde das bedeuten? ORF.at hat mit dem Geschäftsführer des Österreichischen Ökologieinstituts gesprochen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Anlass für das Gesetz war der negative Bescheid für die dritte Piste des Flughafens Wien-Schwechat nach einer mehrjährigen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Ein Aufschrei ging durch Wirtschaft und Industrie: Bei „standortrelevanten“ Projekten solle die Wirtschaft gegenüber der Umwelt bevorzugt werden. In diesem Sinne ist auch die Gesetzesvorlage zu verstehen.

Bauarbeiten auf dem Flughafen Wien

ORF.at/Christian Öser

Bauarbeiten auf dem Flughafen Wien-Schwechat

Ob die Gesetzesvorlage mit ihrem Automatismus überhaupt verfassungskonform ist, wird von Experten angezweifelt. Vor allem aber üben die Grünen und Umweltorganisationen Kritik an der geplanten Neuregelung. Mehrere NGOs haben ihre Vorbehalte mit einer Beschwerde an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella und den Generaldirektor der Umweltbehörde in der EU-Kommission, Calleja Crespo, untermauert. Unterzeichnet wurde der Brief von Vertretern der Umweltschutzorganisationen, die im Ökobüro vertreten und auch zur Teilnahme an UVP-Verfahren berechtigt sind.

Genehmigung trotz „erheblicher Mängel“

Eine dieser Organisationen ist das Ökologieinstitut, deren Experten nicht als „Fundis“ gelten. Im Gespräch mit ORF.at sagte Geschäftsführer Robert Lechner: „Wenn nach zwölf Monaten jede Straße genehmigungsfähig ist, egal, wie sehr sie dann tatsächlich die Umwelt beeinträchtigt oder nicht, oder jedes Großbauvorhaben, dann wird die Umwelt sukzessive zerstört.“ Nicht jedes Verfahren könne man in zwölf Monaten mit gutem Gewissen abwickeln.

Momentan dauert eine UVP durchschnittlich um die 13 Monate. Die meisten Prüfungen fallen recht kurz aus, aber gerade bei Kraftwerken und großen Straßenbauprojekten wäre es völlig unseriös, so Lechner, den Zeitrahmen für Gutachten und Stellungnahmen von Betroffenen so gering zu halten. Es würden ohnehin nur drei Prozent der Projekte nicht genehmigt: „Und die wenigen, die dann nicht genehmigt wurden oder werden, dürften erhebliche Mängel gehabt haben.“

Weniger Auflagen für Unternehmen?

Es geht aber bei einer UVP ohnehin nur am Rande um die Frage, ob ein Projekt genehmigt wird oder nicht. Viel wichtiger sind die vielen Auflagen, die durch eine UVP festgelegt werden. Das heißt: Die allermeisten Projekte werden gar nicht verboten, aber es werden (verbindliche) Vorschläge gemacht, wie man mit einzelnen Maßnahmen nachbessern kann, damit ein Vorhaben der Umwelt nicht allzu sehr schadet. Wenn bei Großprojekten dafür nur noch zwölf Monate Zeit bleibt, geht jede Detailtreue verloren, was Unternehmern Kosten sparen mag, aber zulasten der Umwelt geht.

Lechner vergleicht die Gesetzesvorlage mit dem Vorschlag, Gerichtsverfahren auf ein Jahr zu begrenzen - würde es länger dauern, dürfte sich der oder die Angeklagte das Urteil aussuchen. Gerade in Zeiten einer schnurrenden Konjunktur versteht Lechner das Dogma „Wirtschaft vor Umwelt“ nicht, es werfe uns „zurück in die Steinzeit der Diskussionen um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“.

Verfassungsexperte: „Abstrusität“

Bedenken äußerte auch der Verfassungsjurist Heinz Mayer im Ö1-Morgenjournal am Freitag. Erstens sei die UVP Ländermaterie, der Bund sei schlicht nicht zuständig. Zweitens kritisiert Mayer den Automatismus der Genehmigung, sollte ein Verfahren länger als ein Jahr dauern, als „Abstrusität“: „In einem Rechtsstaat ist es so, dass vor der Erteilung einer Bewilligung oder der Entscheidung über einen Antrag ein korrektes Ermittlungsverfahren stattfindet. (...) Und jetzt sagt man: Wenn es zu lange dauert, dann brechen wir das Ermittlungsverfahren einfach ab und sagen, es ist genehmigt. Das kann bedeuten, dass ein Projekt, für das schon negative Gutachten vorliegen im Verfahren, plötzlich als genehmigt gilt.“

Strommasten in einer Landschaft

ORF.at/Christian Öser

Strommasten prägen die Landschaft - und sind immer wieder umstritten

Mayer hält das Gesetz für unrettbar: „Dieses Gesetz ist derart rechtsfern formuliert, dass man es eigentlich neu schreiben müsste. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn man mit diesem Entwurf ein sinnvolles Gesetz zusammenbringt.“

Ministerium: „Reflexhafte Ablehnung“

Das Wirtschaftsministerium rückt von seinem Vorhaben offenbar nicht ab. Die Stellungnahmen würden „angeschaut“. „Wie bei jeder Begutachtung prüfen wir die eingegangenen Stellungnahmen. Wir werden uns genau ansehen, ob es sich um konkrete Verbesserungsvorschläge oder reflexartige Ablehnung handelt“, so ein Sprecher von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP).

Und weiter: „Wenn sich durch die Begutachtung sinnvolle Adaptierungen ergeben, werden wir diese natürlich berücksichtigen. Ziel der Bundesregierung ist, standortrelevante Verfahren effizienter, schneller und strukturierter zu gestalten. Das ist im Interesse der Projektwerber, der betroffenen Personen und im Interesse der Steuerzahler. Daher halten wir das Standortentwicklungsgesetz für sinnvoll und notwendig.“

Kurzes UVP-Verfahren als Menschenrecht?

Die Industriellenvereinigung (IV) verteidigt den Entwurf und beruft sich dabei bemerkenswerterweise auf die Menschenrechtskonvention. Peter Koren, der stellvertretende Generalsekretär der IV, sagte im Ö1-Mittagsjournal, ein faires Verfahren sei ein Menschenrecht, und „aus unserer Sicht beinhaltet ein Recht auf ein faires Verfahren auch ein Recht auf ein Verfahren in einer angemessenen Zeit. (...) Wir gehen davon aus, dass die Eckpunkte des Gesetzes wie in der Begutachtung vorgesehen auch durch das Parlament gehen.“

Der Wirtschaftskammer (WKÖ) geht das Gesetz nicht weit genug. Denn als standortrelevante Vorhaben kämen nur jene infrage, für die bereits ein Genehmigungsantrag bei der zuständigen Behörde eingebracht wurde. Es sollten aber sämtliche hochrangige Straßen- und Schienenvorhaben in die Neuregelung inkludiert sein. Mit Verweis auf die 110-kV-Leitungsverbindungen in Oberösterreich wünscht sich die WKÖ, dass auch in Erwägung gezogen wird, „das Standortentwicklungsgesetz für Vorhaben zu öffnen, die nicht dem UVP-G unterliegen, aber das Kriterium des besonderen öffentlichen Interesses erfüllen“. Sprich: Es soll überhaupt kein Umweltverfahren länger als ein Jahr dauern dürfen.

Links: