Eine Wien-Wien-Situation
Wien, Wien, nur du allein: Österreichs Hauptstadt ist mit dem „Economist“-Ranking endgültig zur unangefochtenen Nummer eins in Sachen Lebensqualität aufgestiegen. Doch nicht alle glauben, dass solche Studien auch aussagekräftig sind.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Dass Wien bei der Studie der internationalen Unternehmensberatung Mercer Platz eins in Sachen Lebensqualität einnimmt, ist man bereits gewohnt. Zuletzt war die Stadt auch im Ranking des renommierten konservativen Magazins „Monocle“ auf Platz drei hinter München und Tokio gelistet. Nun gesellt sich mit dem „Economist“ eines der weltweit führenden Wirtschaftsmedien dazu. Jahrelang rangierte Wien hier hinter dem australischen Melbourne.
Nun hat es Wien erstmals geschafft, Melbourne zu überholen. Melbourne hat zwar im Vergleich zum Vorjahr auch an Lebensqualität zugelegt - Wien aber noch mehr. Gerechnet wird in der Studie in Prozenten. Ein Prozent als Ergebnis würde heißen: Das Leben in dieser Stadt ist völlig unzumutbar. 100 Prozent bedeutet - die perfekte Stadt, das urbane Paradies schlechthin.

ORF.at/Zita Klimek
Das Wiener AKH, laut Planungsdirektor Thomas Madreiter einer der Gründe für die gute Bewertung Wiens
„Economist“-Recherchen in Wien
Nun hat Wien den Paradies-Status so gut wie erreicht mit dem phänomenalen Wert von 99,1 Prozent. Melbourne liegt bei 98,4 Prozent. Es zählen vor allem die Kriterien Infrastruktur (Verkehr), Bildung, Gesundheitsversorgung, Kultur, Verbrechen und Terrorgefahr. Die Studienautoren arbeiten sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Methoden. Für die qualitative Bewertung gilt ein strenger Kriterienkatalog, nach dem Mitarbeiter an Ort und Stelle (immer auch Ortsansässige) bei ihrer Untersuchung vorgehen.
Für die quantitative Messung werden Zahlen anerkannter Institutionen wie der Weltbank herangezogen. In jedem der untersuchten Bereiche ist maximal eine bestimmte Prozentzahl zu erreichen. Die Summe der Prozentzahlen ergibt dann schließlich den Vergleichswert, anhand dessen die Liste erstellt wird. Die Unterschiede sind enorm. Den 99,1 Prozent von Wien stehen 30,7 Prozent von Damaskus gegenüber. Insgesamt wurden 140 Städte bewertet.
Die zwei Lesarten der Lebensqualitätstudien
Wien und Melbourne erhielten bei einigen Punkten sogar die maximal zu erreichende Punktezahl - nämlich in Sachen Gesundheit, Bildung, Kultur und Infrastruktur. Ausschlaggebend dafür seien für das Topranking zudem die soziale Sicherheit, die politische Stabilität und die niedrige Kriminalitätsrate gewesen. Hier hat Melbourne im Vergleich zum Vorjahr ein paar Punkte verloren.
Bei solchen Studien gibt es immer zwei Lesarten. Erstens: Das spiegelt nur die Sicht von Managerinnen und Managern wieder, in Wahrheit ist alles ganz schrecklich. Zweitens: Die Wienerinnen und Wiener sind grantige Suderanten und beschweren sich dauernd, obwohl sie in der allertollsten Stadt leben. ORF.at hat mit Thomas Madreiter gesprochen, dem Planungsdirektor der Stadt Wien - also jenem Mann, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, an jenen Stellschrauben zu drehen, die für die Lebensqualität verantwortlich sind.

ORF.at/Dominique Hammer
In Sachen Sicherheit hat Wien einen Topwert erreicht
„Na, so schlecht funktioniert das gar nicht“
Er meint, dass solche Studien zwar nie zu 100 Prozent gültige Wahrheiten postulieren können, aber: „Gerade in der Urlaubszeit machen viele die Erfahrung, dass man sich im Ausland bewegt und oft feststellt: Na, so schlecht funktioniert das gar nicht bei uns. Das eine oder andere ist in Wien besser geregelt. In Wahrheit machen solche Studien nichts anderes.“
Dass an Wien hierzulande so viel Kritik geübt wird, sieht er positiv. Das heiße, dass die Menschen sich stets für eine Qualitätsverbesserung ins Zeug legten. Aber es handle sich dabei um Kritisieren auf hohem Niveau. Gangbetten hin oder her - die Gesundheitsvorsorge sei beispielgebend im internationalen Vergleich. Der Streit über die Deutschkenntnisse an Schulen könne ebenfalls nicht über die hohe Qualität des Bildungsstandards hinwegtäuschen. Und eine der sichersten Städte der Welt sei Wien ohnehin.
„Erfolgsmodell“ oder gravierende Missstände?
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sprach hingegen erst im Mai gegenüber der „Kronen Zeitung“ von „gravierenden Missständen“ in der Stadt: „Sieben Milliarden Euro Schulden - und da sind die gesamten Ausgaben für das Krankenhaus Nord nicht einmal einberechnet. Dazu kommen überbordende Abgaben, islamische Kindergärten, die es nur in Wien gibt, überfüllte Ambulanzen und Gangbetten.“
Und zur jüngsten Mercer-Studie hieß es in einer Aussendung der Wiener FPÖ: „Die Mercer-Studie ist eine reine Randgruppenstudie und behandelt auch nur die Interessen weniger. Das Ergebnis einer Umfrage, wie internationale Manager Wien nach einem eventuellen Kurztrip beurteilen, auf die Bevölkerung umzulegen ist mehr als unseriös.“ Der „Economist“-Studie freilich liegt keine Umfrage unter Managern und Managerinnen zugrunde.
Naturgemäß ganz anders hatte der Ex-Bürgermeister und Wiener SPÖ-Chef Michael Häupl reagiert: „Dass Wien achtmal hintereinander als lebenswerteste Stadt der Welt eingestuft wird, ist nur durch den Beitrag aller Wienerinnen und Wiener möglich. Der Wiener Weg, den wir – also BürgerInnen, Stadtverwaltung und Wirtschaft – gemeinsam gehen, ist ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell.“
Links: