Neues Rekordtief erreicht
Der Kursverfall der türkischen Währung hat sich am Freitag beschleunigt. Die Lira stürzte am Freitag gegenüber dem US-Dollar um 19 Prozent ab. Ein Ende der Talfahrt ist derzeit nicht abzusehen.
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Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan konnte den Kursverfall mit einer Brandrede am Freitag nicht aufhalten. Nachdem bereits in der Früh erstmals die Marke von sechs Lira zum Dollar erreicht worden war, stürzte die türkische Währung während einer Rede Erdogans weiter ab und erreichte die Marke von 6,23 Lira und wenige Stunden später von 6,62 Lira zum Dollar.
Auch im Handel mit dem Euro ging es rasant abwärts - erstmals wurden mehr als sieben Lira für einen Euro gezahlt. Am Vormittag kostete ein Euro zeitweise 7,2254 Lira. Zum Vergleich: Zu Beginn des Jahres waren es nur 4,50 Lira.
Kursverlust für Bank-Austria-Mutter
Auch europäische Banken sind von dem Kursverfall betroffen: Die italienische Bank-Austria-Mutter UniCredit bekommt die Auswirkungen der Turbulenzen stark zu spüren. Die Bank, die in der Türkei die Tochter Yapi Kredi kontrolliert, meldete zu Handelsbeginn an der Mailänder Börse am Freitagvormittag einen Kursverlust von vier Prozent. Yapi Kredi war 2006 aus der Fusion der stärksten und ältesten Finanzinstitute der Türkei - der Yapi ve Kredi Bankasi und der Kocbank - hervorgegangen. UniCredit hält eine 40,9-prozentige Beteiligung an der Yapi Kredi Bank mit Sitz in Istanbul.
EZB beobachtet mit Sorge
Einem Medienbericht zufolge sorgt sich inzwischen auch zunehmend die Europäische Zentralbank (EZB) um Bankhäuser mit starkem Engagement in der Türkei. Vor allem Großbanken wie die spanische BBVA, die französische BNP Paribas und die italienische UniCredit stünden deshalb unterer besonderer Beobachtung, berichtete die „Financial Times“ („FT“) unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Die Aufseher würden die Situation schon seit einigen Monaten verfolgen. Die EZB lehnte eine Stellungnahme zu dem Bericht ab.
Erdogan sieht Kampagnen gegen Türkei
Erdogan bemühte sich, die Furcht vor einem weiteren Verfall der Lira zu zerstreuen. Als Gegenmaßnahme rief Erdogan die türkische Bevölkerung am Freitag bei einer Kundgebung in der Schwarzmeer-Provinz Bayburt zudem auf, ihre ausländischen Devisen einzutauschen. „Wenn Ihr Dollar, Euro oder Gold unter dem Kopfpolster habt, geht zur Bank und tauscht es in türkische Lira. Das ist ein nationaler Kampf“, so Erdogan.
Bei einem Auftritt in der Schwarzmeer-Stadt Rize rief Erdogan seine Anhänger am Vortag zudem auf, die „verschiedenen Kampagnen gegen die Türkei“ zu ignorieren. „Sie mögen ihre Dollar haben, doch wir haben unser Volk, unser Recht und unseren Gott.“ Erdogans Kampfansagen konnte auch am Freitag einen weiteren Kursverfall nicht stoppen - noch während seiner Rede gab der Kurs weiter nach.
Türkische Banken in Gefahr?
Die türkische Lira befindet sich schon seit Monaten auf Talfahrt, rund ein Drittel ihres Werts hat sie seit Jahresbeginn eingebüßt. Das türkische Finanzministerium versuchte, die Börsen zu beruhigen: Türkischen Banken und anderen Unternehmen drohten keine Liquiditätsengpässe.
Doch genau diese Aussagen unterstreichen eher, dass die Krise ernst ist. Denn seit Jahresbeginn hat der Bankensektor an der Börse rund 33 Prozent an Wert verloren. Experten warnen, dass der Lira-Verfall die Kapitalpuffer der türkischen Banken langsam aufzehren könnte.
Trump verdoppelt Strafzölle auf Stahl und Aluminium
Durch den Streit mit den USA über den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson zieht sich die Schlinge nach Meinung von Kapitalmarktexperten jetzt noch weiter zu. Die Gespräche hochrangiger Regierungsvertreter beider Seiten am Donnerstag in Washington brachten nach Angaben einer Sprecherin des US-Außenministeriums keinen Durchbruch.
Die Befürchtung vor weiteren Sanktionen wurde am Freitag schließlich bestätigt: US-Präsident Donald Trump kündigte via Twitter eine Verdoppelung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei an. Die Zölle liegen nun auf Stahl bei 50 Prozent und auf Aluminium bei 20 Prozent. Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei seien derzeit „nicht gut“, wie Trump zudem anmerkte.
Hausgemachte Probleme
Doch die wirtschaftlichen Probleme der Türkei sind großteils hausgemacht. Der wachsende Einfluss von Erdogan auf die eigentlich unabhängige Zentralbank macht internationale Investoren nervös. Die Inflation in der Türkei ist auf mehr als 15 Prozent gestiegen, das Leistungsbilanzdefizit vergleichsweise hoch. Währungseffekte verhageln etlichen türkischen Unternehmen mittlerweile die Bilanz. Einige bekamen zuletzt auch deutlich schlechtere Bonitätsnoten.
Geld fließt in USA und Euro-Raum zurück
Auch die Leitzinserhöhungen in den USA und die in Aussicht stehende allmähliche Abkehr vom Krisenmodus der Geldpolitik im Euro-Raum ließen schon im Frühsommer wieder Geld aus Schwellenländern abfließen. Das setzt die dortigen Währungen unter Druck. Die Türkei ist davon besonders stark betroffen, weil sich dort die Wirtschaft trotz eines nach offiziellen Zahlen hohen Wachstums in einer sehr heiklen Lage befindet. Die schwache Landeswährung verteuert die Importe - und das in einem Land, dessen Einfuhren die Ausfuhren chronisch übersteigen.
Schwiegersohn-Beförderung als Bumerang?
Für Erdogan wird die Lage auch politisch gefährlich: Seinen Aufstieg hatte er dem von ihm mitverantworteten Aufstieg der türkischen Wirtschaft zu verdanken - und genau dieser Effekt kann sich auch wieder umkehren. Schon seine Wahl zum Präsidenten mit seinen erweiterten Kompetenzen und die damit verbundene Furcht vieler Anleger, das Land könnte noch autokratischer werden, hatte sich in dem Währungskurs negativ niedergeschlagen.
Gleichzeitig hievte Erdogan seinen Schwiegersohn Berat Albayrak in das Amt des Finanzministers, der in der Regierung die zentrale Rolle bei der Bekämpfung der Währungskrise innehat. Am Freitag will er neue Maßnahmen vorschlagen. Doch scheitert Albayrak mit seinen Plänen, könnte das verstärkt auf Erdogan zurückfallen.
Was macht die Notenbank?
Die türkische Notenbank kommt am 13. September zu ihrer nächsten regulären Sitzung zusammen. Vorher könnte Zentralbank-Chef Murat Cetinkaya versuchen, mit öffentlichen Äußerungen die Finanzmärkte zu beruhigen. Experten sind jedoch skeptisch, ob das reichen würde. Um Liquiditätsengpässe bei Banken zu vermeiden, könnten die Mindestreserveanforderungen weiter gelockert werden. Erst am Montag hatten die Währungshüter so rund 2,2 Mrd. Dollar (1,9 Mrd. Euro) an Liquidität bereitgestellt.
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