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Debatte über Kontrolle von Inhalten

Facebook, Spotify, YouTube und Apple haben Accounts und Inhalte des rechten Verschwörungstheoretikers Alex Jones gesperrt, nicht aber der Kurznachrichtendienst Twitter. Es sei nicht die Aufgabe Twitters, Inhalte zu überprüfen, meint dessen Chef Jack Dorsey - der damit eine erneute Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit anstößt.

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Kritiker und Kritikerinnen von Jones bemängeln, dass die Sperre in den Sozialen Netzwerken und Onlineplattformen viel zu spät erfolgt ist. Jones erreicht dort Millionen, der Twitter-Account seiner Website Infowars hat rund 424.00 Follower, seinem persönlichem Account folgen über 858.000 Accounts. Sein wichtigster YouTube-Kanal hatte 2,4 Millionen Abonnenten und Abonnentinnen. Doch es gibt auch Stimmen, die in den Sperren eine Möglichkeit für Jones’ Fans sehen, daraus neue Verschwörungstheorien zu entspinnen - dazu gehört auch Dorsey.

Twitter will Inhalte nicht kontrollieren

Die Plattform werde keine Schritte setzen, die sich kurzfristig gut anfühlen würden, aber dafür neue Verschwörungstheorien befeuern könnten, so Dorsey in einer Reihe von Tweets zur Begründung der Entscheidung. Für Jones gälten dieselben Regeln wie für alle anderen Accounts - und bisher habe er gegen keine dieser Regeln verstoßen. Es sei zudem die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, unbegründete Gerüchte und aufgebauschte Nachrichten auszumachen, und nicht die einer Plattform wie Twitter.

Twitter wolle stattdessen eine „gesunde“ Kommunikationsumgebung bieten, indem es sicherstelle, dass Tweets nichts künstlich hochgepusht werden. Sonst „werden wir ein Dienst, der von unseren persönlichen Sichtweisen geleitet wird“, schreibt Dorsey weiter. Sollte Jones tatsächlich gegen die Richtlinien des Kurznachrichtendienstes verstoßen, werde er gesperrt.

Jones polarisiert mit Verschwörungstheorien

Die Entscheidung ist in den USA umstritten - wie auch Jones selbst. Jones gilt als rechter Populist, der über seine Website und in seiner Radiosendung krude Verschwörungstheorien verbreitet, unter anderem, dass die US-Regierung an den Anschlägen am 11. September 2001 in New York beteiligt gewesen sei. Er änderte allerdings seine Meinung im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf: Nun sollen es Muslime gewesen sein.

Auch behauptete er, dass die Erderwärmung ein Mythos sei, Hillary Clinton Teil eines Kindesmissbrauchrings und der Amoklauf an der Sandy-Hook-Highschool mit Schauspielern und Schauspielerinnen inszeniert worden sei - als Versuch der US-Regierung, den Waffenbesitz einzuschränken. Die überlebenden Teenager des Amoklaufs in Parkland im US-Bundesstaat Florida im Februar bezeichnete er ebenfalls als Schauspieler und Schauspielerinnen, angesichts der breiten Debatte und Massenkundgebungen offenbar eine Provokation zu viel: YouTube löschte ein entsprechendes Video von ihm.

Liebling von Trump und erfolgreicher Unternehmer

Jones behauptet weiters, dass China direkt oder über Umwege zahlreiche US-Konzerne und damit die US-Wirtschaft beherrsche. Zudem kritisiert er gezielt „Eliten“, denen er unter anderem systematischen Kindesmissbrauch und diverse okkulte Praktiken vorwirft. In seiner Stellungnahme zu den Sperren hetzte er auch einmal mehr gegen „Mainstream-Medien“ mit ihrem „sterbenden Publikum“, die in seinen Augen terroristische Organisationen seien und von Chinas Kommunisten bezahlt würden.

Jones, der die Kandidatur Donald Trumps im US-Präsidentschaftswahlkampf unterstützt hatte, soll weiterhin guten Kontakt zu Trump haben. Trump trat auch in Jones’ Sendung auf und deklarierte sich als dessen Fan. Jones gilt als sehr erfolgreicher Unternehmer, der mit Merchandising, aber vor allem mit Nahrungsergänzungsmitteln und allem, was für ein erfolgreiches Überleben im Falle einer Katastrophe notwendig sein soll, jährlich Millionen verdient.

Fans reagieren mit Selbstjustiz

Seine Fans nehmen Jones’ Behauptungen ernst und reagieren ihrerseits mit Selbstjustiz - zu der Jones indirekt aufruft, indem er behauptet, dass sich alle gegen die „Wahrheit“ verschworen hätten. So stürmte Ende 2016 etwa ein bewaffneter Mann eine Pizzeria, von der behauptet wurde, dass von ihrem Keller aus ein Kinderpornoring operiere. Der unter dem Namen „Pizzagate“ bekanntgewordene Vorfall wurde auch durch Jones befeuert. Dem Gerücht wurde offiziell rasch die Grundlage entzogen, doch die Verschwörungstheorie hielt sich hartnäckig.

Weil sie seit dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Highschool 2012 Todesdrohungen und belästigende Nachrichten von Jones’ Fans erhalten hatten, mussten die Eltern eines erschossenen sechsjährigen Buben laut einem Bericht der „New York Times“ mehrfach umziehen. Sie wohnen mittlerweile mehrere hundert Kilometer weit weg vom Grab ihres Sohnes. Der Fall landete auch vor Gericht, und Jones verlangt nun von der Familie des Buben Schadensersatz, unter Berufung auf ein Gesetz in Texas, dass die freie Meinungsäußerung bei Justizfällen sicherstellen soll.

Jones selbst betont immer wieder das Recht auf freie Meinungsäußerung - doch zumindest Apple, Facebook, YouTube und Spotify gingen seine Meinungen nun zu weit. Apple dulde keine Hassrede, so ein Sprecher, „und wir haben klare Richtlinien, an die sich Gestalter und Entwickler halten müssen, um sicherzustellen, dass wir eine sichere Umgebung für alle unsere Benutzer bieten“. Jones habe auf seinen Seiten „Gewalt verherrlicht“ und in einer „menschenverachtenden Sprache“ über Transgender, Muslime und Einwanderer gesprochen, schreibt auch Facebook.

Soziale Netzwerke unter Druck

Die Sozialen Netzwerke und Onlineplattformen sehen sich selbst als Verteidiger der freien Meinungsäußerung, ganz im Sinne der ursprünglichen Ideen des Internets, möglichst allen freien Zugang zu Informationen und Nachrichten zu bieten - und die Möglichkeit, auch selbst die eigene Meinung zu verbreiten. Als jüngste Beispiele gelten etwa der „arabische Frühling“ und die Kampagnen „Black lives matter“ und „#MeToo“. Doch die Sozialen Netzwerke gerieten zuletzt selbst stark unter Druck, nicht zuletzt nach der Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf.

Facebook sperrte Ende Juli Dutzende Seiten und Konten unechter Identitäten, nachdem es eine koordinierte politische Beeinflussungskampagne entdeckt hatte. Auch Twitter sperrt laufend Konten, als Versuch, härter gegen gefälschte Profile durchzugreifen, über die unter anderem Spam und politische Propaganda verbreitet werden. Die Löschaktionen bei Twitter zeigten sich auch in den Nutzerzahlen, die im jüngsten Quartal eingebrochen sind - und mit ihnen der Aktienkurs.

Transparenz könnte Debatte helfen

Die grundsätzliche Debatte über freie Meinungsäußerung im Internet ist so alt wie das Internet selbst, das in der Grundidee mit seinem anarchischen Konzept eigentlich allen Benutzern und Benutzerinnen die direkte Teilhabe an Debatten ermöglichen wollte. Doch was tun mit Ideen, die nicht ins eigene Weltbild passen oder gar den Regeln der Gesellschaft zuwiderlaufen? Darüber sollte es auch eine entsprechende Debatte geben - kein Ort wäre dafür geeigneter als das Internet selbst.

Dazu müssten alle nach denselben Regeln und den gleichen Möglichkeiten handeln, ohne dabei zu versuchen, anderen zu schaden. Das gilt auch für die IT-Firmen: Über die genauen Gründe für die Sperren von Jones blieben sie bisher vage, was die Rufe, dass es Zensur war - unter anderem natürlich von Jones selbst -, entsprechend befeuert. Twitter-Chef Dorsey sagte selbst, dass Twitter bisher „schrecklich“ dabei gewesen sei, seine Entscheidungen zu begründen. Transparenz über die Hintergründe von Entscheidungen wäre ein erster Schritt, Verschwörungstheorien zumindest ein wenig die Grundlage zu entziehen.

Ungelöst ist bei all dem die Frage, ob gerade Facebook eigentlich nur ein reiner Verbreitungsdienst analog zu einem Telekommunikationsunternehmen ist oder doch ein Medienkonzern. Für Letzteres würde sprechen, dass die Algorithmen von Facebook die Auswahl und Reihung von Nachrichten bestimmen und damit auch eine Art Auswahlfunktion haben. Das würde Facebook wie auch anderen Sozialen Netzwerken einige Pflichten gerade bei der Wartung und Löschung von Inhalten auferlegen - weswegen Facebook sich besonders dagegen stemmt.

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