Klima könnte schneller kippen als gedacht
Der Mensch hat bereits seine Spuren im Erdsystem hinterlassen. Selbst wenn es gelinge, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, würde das nicht zwangsläufig bedeuten, den Klimawandel aufhalten zu können. Eine neue Studie warnt nun vor der Gefahr einer „Heißzeit“.
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Bei einer „Heißzeit“ würde sich die Erde langfristig um etwa vier bis fünf Grad Celsius erwärmen und der Meeresspiegel um zehn bis 60 Meter ansteigen, schreibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Welche Faktoren das Klima kippen lassen könnten, wurde von einem internationalen Forschungsteam der US-nationalen Akademie der Wissenschaften nun genauer untersucht.

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Eine Luftaufnahme zeigt Thermokarstseen in Sibirien. Durch den Klimawandel tauen Permafrostböden zunehmend auf.
Pariser Klimaabkommen
195 Länder haben sich auf der Pariser Klimaschutzkonferenz auf einen globalen Aktionsplan geeinigt, der die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzen soll, um einem gefährlichen Klimawandel entgegenzuwirken.
Zu diesen „Kippelementen“ gehören laut den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen etwa die auftauenden Permafrostböden in Russland, die sich erwärmenden Methanhydrate auf dem Meeresboden und die großen Ökosysteme wie der Amazonas-Regenwald.
Sie könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten, sagte Mitautor Johan Rockström. „Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu.“
„Das Ergebnis wäre eine andere Welt“
„Der Mensch hat als geologische Kraft bereits seine Spuren im Erdsystem hinterlassen“, sagte der PIK-Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber. Werden dadurch empfindliche Elemente des Erdsystems gekippt, könnte sich die Erwärmung durch Rückkoppelungseffekte selbst weiter verstärken. Das Ergebnis wäre „eine Welt, die anders ist als alles, was wir kennen“, ergänzte er.

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Der Klimaforscher warnt vor der Gefahr einer neuen „Heißzeit“ und einer daraus resultierenden „anderen Welt“
Nach Angaben der Autoren und Autorinnen könnte es schwieriger werden als bisher angenommen, die globale Erwärmung wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart zu stoppen. Zudem könne man sich nicht darauf verlassen, dass das Erdsystem bei zwei Grad langfristig sicher „geparkt“ werden könne, sagte Schellnhuber.
Kleine Veränderung könnte System kippen
Derzeit ist die Erde im Durchschnitt bereits gut ein Grad wärmer als noch vor Beginn der Industrialisierung. Selbst bei vorläufiger Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf maximal zwei Grad könnten kritische Prozesse im Klimasystem angestoßen werden, die eine noch stärkere Erwärmung - auch ohne weiteres menschliches Zutun - bewirken, erläuterte Erstautor Will Steffen. „Ist die Erderwärmung weit genug fortgeschritten, reicht vielleicht schon eine kleine Veränderung aus, um diese Elemente in einen ganz anderen Zustand zu stoßen“, so Schellnhuber.
Erste Anzeichen zeigen sich jedoch schon jetzt. Denn auch, wenn es grundsätzlich kaum möglich ist, einzelne Wetterereignisse auf den Klimawandel zurückzuführen, lassen sich doch Trends erkennen. Wetterereignisse wie die derzeit in ganz Europa spürbare Hitzewelle werden extremer und häufiger, sind sich Klimaforscher einig. „Was einst als ungewöhnlich warmes Wetter galt, wird ganz normal - in einigen Fällen ist das schon so“, sagte die Klimaforscherin Friederike Otto von der University of Oxford.

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Die Eisschmelze in der Antarktis könnte laut Klimaforschern einen Dominoeffekt mit sich ziehen
Einige Kipppunkte bereits überschritten
Ebenso seien bereits jetzt in Teilen der Westantarktis einige Kipppunkte überschritten worden. „Der Verlust des Eises in einigen Regionen könnte dort schon ein weiteres, noch umfangreicheres Abschmelzen über lange Zeiträume vorprogrammiert haben“, sagte Schellnhuber. Und der Kollaps des grönländischen Eisschildes könnte bereits bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad einsetzen.
Die roten Linien für einige der Kippelemente liegen laut dem Klimaforscher wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und zwei Grad Erwärmung. Das Autorenteam verweist aber darauf, dass es noch unsicher sei, wo die Temperaturschwelle tatsächlich liege, bei der die Erde durch Kippelemente in eine „Heißzeit“ gebracht werde.
Klar sei aber, dass jeder Einzelne und jede Einzelne etwas dazu beitragen könne, um dem Klimawandel zu begegnen. Gefordert sei vor allem aber die Politik, sagte Schellnhuber und forderte einen zügigen Kohleausstieg, da die Kohleverstromung das „Schädlichste, was man dem Klima antun kann“, sei.

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Wetterphänomene wie die Waldbrände in Kalifornien werden extremer und häufiger, sind sich Klimaforscherinnen und Klimaforscher einig
„Keine Zeit mehr zu verlieren“
Auch die Umweltorganisation Greenpeace fordert einen zügigen Kohleausstieg. „Die auch bei uns sichtbaren Folgen des Klimawandels von Starkregen bis zu Jahrhundertdürren zeigen, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben. Jedes Jahr, in dem Kohlekraftwerke weiterlaufen, wird künftige Kosten und Opfer verursachen, die um ein Vielfaches höher liegen als die Kosten aller bisheriger Strukturwandel zusammen“, sagte der Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin, Stefan Krug, gegenüber der dpa. Der Kohleausstieg sei ohne Strukturbrüche bis 2030 versorgungssicher möglich und nötig, der finanzielle und sozialpolitische Aufwand dafür sei absolut beherrschbar.
Klimaziele in Österreich „vorantreiben“
Auch Österreich will bis 2030 seine Klima- und Energieziele erreichen. Zentrales Ziel der Klimapolitik der Bundesregierung ist die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Diese sollen bis 2030 um 36 Prozent verringert werden. Laut dem aktuellen Klimaschutzbericht ist der Ausstoß von Treibhausgasen in Österreich jedoch um rund ein Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Zurückzuführen sei der Anstieg auf die zunehmende Verkehrsleistung im Personen- und Güterverkehr. Für das Umweltbundesamt sind die Ergebnisse des Klimaschutzberichts ein „Signal“, die Umsetzung der Klima- und Energiestrategie voranzutreiben.
Anfang August wurde das Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus mit den Agenden Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sowie Umwelt aufgrund des neuen Schwerpunktes Klima umstrukturiert. Der Bereich rund um den Klimaschutz wurde in der neu geschaffenen Sektion „Klima“ zusammengefasst.
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