Sanktionen gegen Abwesenheit
Einen Schlagabtausch über mögliche Sanktionen für das Fehlen bei Abstimmungen in Nationalratssitzungen haben sich am Sonntag Regierungs- und Oppositionsparteien geliefert. In Aktion traten dabei diesmal junge Abgeordnete von ÖVP und SPÖ, die gegenseitig die Spitzen der jeweils anderen Partei im Visier hatten.
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Losgetreten wurde die Debatte von den ÖVP-Abgeordneten Klaus Lindinger und Johanna Jachs. Ein Ordnungsgeld solle dazu führen, dass die Volksvertreter ihrer Aufgabe besser nachkommen, hieß es vonseiten der Initiatoren gegenüber der APA. Als Beispiel nannte die ÖVP SPÖ-Chef Christian Kern, der bei fast 70 Prozent der Abstimmungen seit Beginn der Legislaturperiode abwesend war.
50 bis 100 Euro Strafe angedacht
Lindinger zeigte sich über die Arbeitseinstellung einiger Abgeordneter „schockiert“. „Wir sind gewählte Volksvertreter und werden für unsere Arbeit mit Steuergeld gut bezahlt“, sagte Lindinger. Für Jachs soll ein finanzieller Hebel gegen das Fernbleiben bei Abstimmungen verdeutlichen, dass man nicht aus Laune Abgeordneter sei, sondern Pflichten gegenüber Wählern zu erfüllen habe. Die Strafhöhe könnte sich laut den ÖVP-Mandataren von 50 bis 100 Euro erstrecken.
SPÖ-Spitze im Visier
Natürlich hat man hierbei vor allem die Spitze der „Schwänzer“ im Fokus - die laut der Rechercheplattform Addendum vor allem aus SPÖ-Abgeordneten besteht. Vor Kern liegt dabei nur noch dessen Parteikollege Wolfgang Katzian, der bei 263 von 358 Abstimmungen (73,5 Prozent) fehlte. Den dritten Platz belegt der NEOS-Abgeordnete Sepp Schellhorn mit 68,4 Prozent.
Allerdings stammen auch die fleißigsten Mandatare von NEOS: An den meisten Abstimmungen beteiligt waren Irmgard Griss und Gerald Loacker mit jeweils 99,7 Prozent beteiligt. Es folgen ÖVP-Mann Rudolf Taschner und mehrere Freiheitliche. „Schwänzer“ im großen Stil kann die Volkspartei nicht für sich verzeichnen. Die parteieigene „schwarze Liste“ führt Karlheinz Kopf an mit 37,2 Prozent Abwesenheit bei den Abstimmungen.
SPÖ kritisiert Abwesenheit von Kanzler Kurz
Die SPÖ zeigte sich grundsätzlich gesprächsbereit über die Forderung der ÖVP nach Geldstrafen für abwesende Abgeordnete. Scharfe Kritik übte die SPÖ aber daran, dass die Initiative ausgerechnet aus einer Partei kommt, „deren Chef mit Sebastian Kurz nahezu notorisch im Hohen Haus abwesend ist“.
Die SPÖ-Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner und Philip Kucher warfen der ÖVP in einer Aussendung am Sonntag „Doppelmoral“ vor. Denn Kurz habe heuer an sieben von 18 Plenartagen gefehlt und zur umstrittenen neuen Arbeitszeitregelung jede öffentliche Diskussion verweigert.
Darüber hinaus habe sich Kurz eine Rüge von Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) für mangelhafte Anfragebeantwortungen eingefangen. „Als Bundeskanzler der Republik schuldet man dem Parlament Respekt, den Kurz leider bislang vielfach vermissen lässt.“ Die SPÖ-Abgeordneten halten die ÖVP-Initiative daher für ein „Ablenkungsmanöver“, betonten aber dennoch ihre Gesprächsbereitschaft.
Deftiger Schlagabtausch
Der Schlagabtausch wurde danach noch heftiger: ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer attackierte am Nachmittag noch einmal Kern für dessen Fehlzeiten im Parlament. „Vor allem, dass jemand, der sich sein Abgeordnetengehalt von der Partei verdoppeln lässt, bei 70 Prozent der Abstimmungen fehlt, ist völlig skandalös“, sagte Nehammer in Richtung Kern: „Kern ist offenbar noch nicht in seinem Job als Abgeordneter im Parlament angekommen.“ Die SPÖ falle im Parlament durch Abwesenheit und Totalblockade auf.
Die SPÖ reagierte empört: Bundesgeschäftsführer Max Lercher forderte Kurz daraufhin auf, seinen „Generalsekretär außer Rand und Band“ zur Räson zu bringen. Kern habe wegen eines Todesfalls im engsten Familienkreis mehrere Sitzungen verpasst. „Christian Kern hat mehrere Plenartage im Nationalrat versäumt, weil er über Wochen am Kranken- und Sterbebett dieses engsten Familienangehörigen verbracht hat“, so Lercher. Das sei öffentlich längst bekannt und Nehammers Angriff „eine der schmutzigsten Politattacken, die wir in Österreich je erlebt haben“.
Entschuldigungen gefordert
Laut dem ÖVP-Vorschlag sollen die Sanktionen über die Geschäftsordnung des Nationalrats geregelt werden. Laut aktueller sind die Mandatare bereits verpflichtet, an den Sitzungen teilzunehmen. Bei einer Verhinderung ist eine entsprechende Entschuldigung zu Tagungsbeginn erforderlich, die der Präsident verkündet. In dieser Verpflichtung sei wohl auch die Teilnahme an Abstimmungen mit umfasst, hieß es aus der ÖVP.
Der Vorschlag der ÖVP-Abgeordneten: Der vorsitzführende Präsident könnte das Fehlen bei der Abstimmung mit einem Ordnungsruf oder einem neu zu schaffenden Ordnungsgeld belegen. Dazu seien Novellen der Geschäftsordnung und des Bundesbezügegesetzes erforderlich. Im deutschen Bundestag gibt es etwa schon ein Ordnungsgeld als Sanktion bei Verstößen gegen die Würde des Hauses.
NEOS dagegen
Klar abgelehnt werden Geldbußen von NEOS. „Die ÖVP sollte besser wissen, was alles rund um einen Plenartag herum für Abgeordnete zu tun ist, als gleich mit Geldstrafen zu drohen“, so Vizeklubchef Nikolaus Scherak in einer Aussendung.
Natürlich sei die Anwesenheit bei Abstimmungen wichtig, aber: „Nicht nachvollziehbare Entscheidungen des Nationalratspräsidenten, fremdenfeindliche Zwischenrufe und die Umgehung des üblichen Gesetzeswerdungsprozesses, nur um die Begutachtungsfrist zu verkürzen, sind erheblich größere Probleme für die Würde des Hauses.“ Wenn die ÖVP schon über das Thema reden wolle, könne sie das auch dem Bundeskanzler ausrichten, kritisierte Scherak Kurz’ häufige Abwesenheit.
FPÖ mahnte eigene Abgeordnete
ÖVP und FPÖ wollen die Geldbußen nun in der Nationalratspräsidiale diskutieren. Für eine Änderung der Nationalratsgeschäftsordnung wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig - also die Zustimmung von SPÖ oder NEOS. Für FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz wären finanzielle Sanktionen ein geeigneter Weg, um fehlende Abgeordnete zu „disziplinieren“, wie er in einer Aussendung am Sonntag meinte. Sein ÖVP-Kollege August Wöginger bezeichnete finanzielle Sanktionen als „sinnvoll“.
Intern hat die FPÖ ihren Abgeordneten bereits vor Monaten ein schärferes Vorgehen gegen „Sitzungsschwänzer“ angedroht. In einem im Mai publik gewordenen Schreiben an seine Mandatare kritisierte FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth „Verbesserungspotenzial“ bei der Sitzungsdisziplin und kündigte eine „Abwesenheitsliste“ an: FPÖ-Abgeordnete müssten sich vor Verlassen des Sitzungssaales abmelden, um „Abstimmungsblamagen“ zu verhindern.
2014: Ähnliche Debatte, viel höhere Strafen
Dabei ist die Debatte über Strafen für das „Schwänzen“ von Nationalratssitzungen nicht ganz neu. Schon im Mai 2014 entspann sich eine ähnliche Debatte. Damals waren die NEOS-Abgeordneten allerdings als Zeichen des Protests an zwei Tagen der Budgetrede des damaligen Finanzministers Michael Spindelegger (ÖVP) ferngeblieben. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka forderte danach ein Ordnungsgeld für unentschuldigtes Fehlen im Nationalrat und schlug 1.000 Euro pro versäumter Sitzung vor - also deutlich mehr als in der aktuellen Debatte.
Die SPÖ zeigte sich damals mit einem „klaren Ja“ gesprächsbereit, auch die FPÖ war dafür: Jeder Österreicher, der dem Arbeitsplatz unentschuldigt fernbleibe, habe mit Konsequenzen zu rechnen - das müsse auch für Abgeordnete gelten, sagte der damalige Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer. Für strengere Sanktionen war 2014 auch NEOS, lediglich die Grünen und das Team Stronach - beide damals noch im Parlament - konnten dem Bußgeld nichts abgewinnen. Die Idee versandete trotz recht breiter Zustimmung damals.
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