Liebestaumel statt Giftkeule
Können Pflanzen „sexy“ sein? In Zukunft schon - zumindest für Insekten: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten daran, Pflanzen genetisch so zu verändern, dass sie sexuelle Botenstoffe von Pflanzenschädlingen produzieren. Das soll den umstrittenen Einsatz von Pestiziden in vielen Fällen unnötig machen.
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Sie sind oft nur wenige Millimeter groß und können doch verheerende Schäden anrichten. Hungrige Insekten zählen zu den großen Angstgegnern der Landwirtschaft. Bisher wird den Schädlingen zumeist mit der Giftkeule zu Leibe gerückt. Doch der Widerstand gegen Pestizide wächst. Erst im April beschloss die EU, den Einsatz von drei Neonicotinoiden zu verbieten. Die Insektizide haben nicht nur auf Schädlinge wie den Rüsselkäfer, sondern auch auf Nützlinge wie Wildbienen fatale Auswirkungen.

ORF.at/Dominique Hammer
Monokulturen bieten freie Angriffsfläche für Schädlinge
In der Diskussion um Pestizide verweist die Landwirtschaft oft auf fehlende Alternativen, um schädlichen Insekten beizukommen. Gerade in großen Monokulturen scheint der Griff zu Giftkeule oftmals die einzige Möglichkeit. Doch das könnte sich ändern. Mit Hilfe der Gentechnik könnten Pflanzen dazu gebracht werden, Insektenpheromone zu produzieren. Statt Gift würde dann sexuelle Verwirrung dafür sorgen, dass Insekten auf Feldern keinen Schaden mehr anrichten können, wie erst unlängst der „Guardian“ berichtete.
Teure synthetische Produktion
Neu ist der Einsatz von Pheromonen im Kampf gegen Insekten nicht. Vor allem bei wertvolleren Pflanzenkulturen wie Tomaten und Beeren werden die sexuellen Lockstoffe verwendet, um Schädlinge in Fallen zu locken. Und alle, die sich eine Mottenfalle in den Schrank stellen, setzen auf die Kraft der für die Fortpflanzung wichtigen Botenstoffe.
Doch die auf dem Markt befindlichen Produkte haben ihre Mängel. Zurzeit werden Pheromone chemisch hergestellt, was sie verhältnismäßig teuer macht. Dazu kommt: Der synthetische Nachbau hinkt dem biologischen Original oftmals hinterher. Deshalb versprechen Pheromonfallen bisher nur eingeschränkten Erfolg.
„Bei vielen Arten ist die Produktion von Pheromonen schwierig und teuer“, sagte Nicola Patron gegenüber dem „Guardian“. Die Wissenschaftlerin forscht am britischen Earlham Institute daran, die Pheromonherstellung sowohl kostengünstiger als auch treffsicherer zu machen. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Spanien, Deutschland und Slowenien versucht Patron in dem EU-geförderten Projekt, die Pheromonproduktion an Pflanzen auszulagern.
Tabakpflanzen als Biofabrik
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können mit ihrer Arbeit auf den Ergebnissen eines Pilotprojekts in Spanien aufbauen. Dem „Sexy Plant“ genannten Projekt gelang es, Tabakpflanzen genetisch so zu modifizieren, dass sie Pheromone des Baumwollkapselbohrers produzierten. Die Raupen des Schmetterlings gelten im Mais-, Baumwoll- und Gemüseanbau als bedeutender Schädling. Auch von einer weiteren Falterart (Amyelois transitella) konnte das Forschungsteam Erbgut in Tabakpflanzen einbauen - und so die passenden Pheromone produzieren lassen.

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Schmierläuse können ganze Baumwollernten vernichten
Patron und ihre Kolleginnen und Kollegen nehmen sich nun die Pheromone der Zitrusschmierlaus vor. Sie haben sich die Latte dabei absichtlich hoch gelegt. Der Botenstoff der Laus besteht aus besonders komplexen Molekülen. Könnten sie diese von Pflanzen nachbauen lassen, gelänge wohl das meiste andere auch, so Patron.
Hefen gegen afrikanische Raupenplage
Die Britin und ihr Team sind nicht die Einzigen, die zurzeit an biologisch produzierten Pheromonen arbeiten. An der Technischen Universität von Dänemark forscht eine Gruppe an gentechnisch modifizierten Hefezellen. Die einzelligen Pilze sollen etwa dazu gebracht werden, das Pheromon des Herbst-Heerwurms zu produzieren. Die Raupen des Schmetterlings bedrohen zurzeit große Teile des Maisanbaus in fast ganz Afrika.

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Die Raupe des Herbst-Heerwurms bedroht Afrikas Maispflanzen
Pflanzen im Feldeinsatz
Zurzeit verfolgt sowohl die Forschung an den Tabakpflanzen als auch den Hefepilzen ein ähnliches Ziel: Die Pheromone sollen gesondert produziert werden und dann in Fallen auf den Feldern ausgebracht werden. Für die genetisch modifizierten Pflanzen könnte der Einsatz aber noch einmal ausgeweitet werden. Sie könnten in Zukunft direkt neben den Feldern angepflanzt werden - und dort direkt für sexuelle Verwirrung bei den Insekten sorgen.
Anders als bei sonstigen gentechnischen Ansätzen blieben die Nutzpflanzen selbst von genetischen Modifikationen unberührt. Mit einem schnellen Einsatz in freier Wildbahn rechnen die Forscherinnen und Forscher aber dennoch nicht. Patron nannte gegenüber dem „Guardian“ einen Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren. Um den Zulassungsprozess für genetisch modifizierte Organismen kommen auch die Pheromonpflanzen nicht herum.
Hierzulande hätten die „sexy Pflanzen“ allerdings auch dann keine Chance auf einen Einsatz im freien Feld - zumindest nach der aktuellen Rechtslage. Die heimischen Gesetze zu genetisch veränderten Organismen gehören zu den weltweit strengsten. Pflanzen an deren Erbgut herumgebastelt wurde, dürfen in Österreich momentan im Freien gar nicht angepflanzt werden.
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