Im Hintergrund gibt es keine Bühne
Keine Sommerpause, aber tagungsfrei. Im Parlament wird derzeit einen Gang zurückgeschaltet, politische Debatten finden in den Sommermonaten nämlich nicht statt. Allerdings werden bereits die kommenden Untersuchungsausschüsse, die im Spätsommer starten, vorbereitet, sagt Parlamentsdirektor Harald Dossi im ORF.at Gespräch. Zudem resümiert der oberste Beamte im Hohen Haus die erste Jahreshälfte unter einer ÖVP-FPÖ-Koalition.
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ORF.at: Herr Dossi, seit März 2012 sind Sie der oberste Beamte im Parlament. Es ist Ihre dritte Legislaturperiode. Ist die Arbeit im Hohen Haus unter einer ÖVP-FPÖ-Regierung anders als unter einer Großen Koalition?
Harald Dossi: Das würde ich so nicht sagen. In unterschiedlicher Form hat es Stress schon immer gegeben. Ich erinnere nur daran, dass bei der Nationalratswahl 2013 insgesamt sechs Parteien ins Hohe Haus gewählt wurden. Also gab es erstmals sechs Klubs, davon entstanden zwei erst zu Beginn der Legislaturperiode, das Team Stronach und NEOS. Am Ende zerbrach dann wiederum ein Klub, was für uns gewisse Arbeiten mit sich brachte.

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Harald Dossi ist seit März 2012 Parlamentsdirektor, zuvor war er Sektionsleiter im Bundeskanzleramt
ORF.at: Und dann wurde auch noch vorzeitig gewählt.
Dossi: Das sieht die Bevölkerung zwar nicht, aber die Wahl im vergangenen Jahr hat in der Parlamentsarbeit viel durcheinandergebracht. Manche Projekte, die länger laufen, planen wir mit dem Grundvertrauen, dass wir ohnehin noch ein Jahr lang dieselbe Legislaturperiode haben. Diese Zeit hatten wir am Ende dann doch nicht mehr, und deshalb mussten einige Abläufe geändert werden.
ORF.at: Es hat sich aber auch die politische Zusammensetzung im Parlament geändert. Es gibt weniger Klubs, dafür mehr Quereinsteiger als sonst. Inwiefern hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Dossi: Dass mehr als die Hälfte der Mandatare neu ist und keinerlei Erfahrungen mit dem parlamentarischen Prozess hat, darf man nicht unterschätzen. Das hat uns die eine oder andere Zusatzbelastung gebracht. Es gab Informationsveranstaltungen und Briefings, damit die Abgeordneten gut starten können. Aber natürlich merken wir anhand der ersten Plenarsitzungen, dass viele Akteure noch ihre Rollen im Parlament finden müssen. Das erklärt sicherlich die eine oder andere Polemik und Aufregung, die in den Debatten zu hören ist. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir schön langsam wieder in relativ geordnete parlamentarische Abläufe kommen.
Parlamentsdirektion
Laut Verfassung unterstützt die Parlamentsdirektion die gesetzgebenden Organe des Bundes und die österreichischen Mandatare des EU-Parlaments. Sie sorgt außerdem für den Ablauf des parlamentarischen Geschehens.
ORF.at: Allerdings gibt es ab September eine Neuheit im Parlament: Erstmals tagen zwei Untersuchungsausschüsse parallel. Ist das Hohe Haus darauf schon vorbereitet?
Dossi: Grundsätzlich ja. Es wird sicher erst im September ordentlich losgehen. Die Herausforderung wird sein, dass der Regelbetrieb im Parlament, also von der Betreuung der Plenarsitzungen und Ausschüsse bis hin zum Bürgerservice, durch die U-Ausschüsse nicht beeinträchtigt wird. Deshalb gibt es für diese Zeit, wie übrigens auch in den Klubs, zusätzliches Personal, das uns danach wieder verlässt, wenn die beiden U-Ausschüsse vorbei sind.
ORF.at: Ein U-Ausschuss soll klären, ob die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, nur ein Vorwand für eine politische Umfärbung war. Waren Sie als Parlamentsdirektor je mit einer politischen Intervention konfrontiert?
Dossi: Ganz im Gegenteil. Unsere Glaubwürdigkeit hängt davon ab, dass alle Klubs davon ausgehen können, dass sie von uns auf eine gleichmäßige Art und Weise serviciert werden. Unsere Stenografen notieren zum Beispiel alle Zwischenrufe, egal ob sie von einer Oppositionspartei kommen oder von den Koalitionspartnern. Oder: Der Budgetdienst stellt seine Analysen allen Mandataren und Mandatarinnen frei zur Verfügung.
Die Arbeit wird geschätzt und senkt meiner Meinung nach die Versuchung, irgendwelche „Sonderbehandlungen“ von uns zu erwarten. Und eines noch: Alle Beteiligten sind sich darüber im Klaren, dass sie mittel- und langfristig auf der Verliererseite stehen, wenn sie versuchen, uns politisch zu missbrauchen.

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Insgesamt sind 420 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dem Parlamentsdirektor unterstellt
ORF.at: Es wird nicht angerufen, wenn der Budgetdienst des Parlaments beispielsweise Unterlagen aus dem Finanzministerium zerpflückt?
Dossi: Es gibt einen breiten Konsens aller parlamentarischen Klubs, dass der Budgetdienst, aber auch der Rechts- und Legislativdienst des Parlaments, unabhängig arbeiten können müssen. Dass es zu kritischen Anmerkungen zu Vorlagen aus dem Finanzministerium kommen kann oder Schwachpunkte in den Unterlagen offengelegt werden, die für das Ressort manchmal unangenehm sind, ist Teil dieses Konsenses.
Es waren ja auch die Klubs, die sich vor Jahren den Budgetdienst gewünscht haben, um die teils sehr komplexen Unterlagen des Finanzministeriums (Budgetunterlagen, Anm.) so zu übersetzen, dass man in der Lage ist, informiert mitzudiskutieren. Ich denke, die Mandatare und Mandatarinnen sind damit auch zufrieden.
ORF.at: Es gibt aber auch andere Episoden im Parlament. So wurde im März dieses Jahres dem Rechts- und Legislativdienst vorgeworfen, politisch instrumentalisiert zu sein, weil er im Auftrag von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den SPÖ-Antrag für einen BVT-U-Ausschuss begutachtet hat.
Dossi: Wenn der Wunsch nach einer Qualitätskontrolle geäußert wird, dann machen wir das. Und selbstverständlich hat auch der Präsident das Recht, in Angelegenheiten, die das Haus betreffen, uns wegen einer rechtlichen Bewertung zu fragen. Das machen wir sehr häufig. Zum Teil muss der Präsident erst gar nicht fragen, weil wir das als Teil unseres Service sehen.
Kurz noch zu dem einen Fall: Es ist für mich selbstverständlich, dass ein Verlangen, das im Vergleich zu bisherigen Vergleichsfällen, sagen wir, anders formuliert war, von unseren Rechtsexperten im Haus begutachtet wird. Andererseits habe ich auch die politische Komponente der SPÖ gut verstanden. Ich bin ja nicht naiv.
ORF.at: Diese Szene steht aber nur exemplarisch für den Anfang einer teils aggressiven Stimmung im Parlament. Wie läuft aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit hinter der Bühne ab, wenn keine Kameras auf die Abgeordnete gerichtet sind?
Dossi: Ganz klar: In der Präsidialkonferenz (drei Präsidenten des Nationalrats und Klubobleute, Anm.), wo die parlamentarischen Abläufe wie Sitzungstermine beschlossen werden, herrscht eine sehr ruhig geschäftsmäßige Atmosphäre. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass bis auf die Mitglieder niemand anwesend ist. Es wird auch nicht darüber berichtet, am Ende gibt es nur das Protokoll für die Klubobleute und den Präsidenten sowie die Präsidentinnen.
ORF.at: Also wird weder inszeniert noch Aktionismus betrieben?
Dossi: Im Hintergrund geht es schon ruhiger zu. Was gut ist. Die Präsidialkonferenz ist dazu da, gemeinsam den parlamentarischen Ablauf zu planen. Ich glaube, es sind sich alle einig, dass das keine Bühne ist, wo sie ihre politischen Argumente austauschen können. Die inhaltlich-politische Seite spielt sich in den Ausschüssen, im Plenum und in der medialen Diskussion ab. Aber bevor es dazu kommt, muss diszipliniert geplant werden. Es wäre vermutlich für alle Beteiligten von Nachteil, wenn es gar nicht zu Plenarsitzungen kommt. Wie könnte man sich denn sonst verbal duellieren?
ORF.at: Apropos Hintergrund: Ihnen sind rund 420 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterstellt, die sich um den Ablauf im Parlament kümmern.
Dossi: Und wir sind eine der wenigen Parlamentsverwaltungen, die beide Kammern (Bundesrat und Nationalrat, Anm.) mit ein und demselben Personal unterstützen. Was ich für eine sehr sinnvolle Lösung halte, weil wir etwa bei der Plenarbetreuung sehr flexibel mit den gleichen Leuten sowohl Nationalrat als auch Bundesrat betreuen. Im Regelfall ergeben sich keine Probleme, weil sich der parlamentarische Betrieb der Kammern zeitlich nicht deckt.
Darüber hinaus haben wir natürlich noch Besucherinnen und Besucher im Parlament, um die wir uns kümmern. Oder die Demokratiewerkstatt, wo wir einen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Vor drei Jahren haben wir das Angebot auf Lehrlinge ausgeweitet. Sie kippen ja sehr früh in das Berufsleben und erleben vieles im Bereich der politischen Bildung nicht mehr so, wie es Schüler vielleicht im Unterricht noch durchnehmen können. Parlamentarismus und Medienkompetenz zum Beispiel.

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Die Vorbereitungen für die zwei parallel laufenden U-Ausschüsse laufen, sagt Dossi
ORF.at: Vielleicht fragen sich einige Schüler und Lehrlinge, die schon einmal eine Debatte des Nationalrats gestreamt oder im Parlament angeschaut haben, was in dieser dicken Mappe des Parlamentspräsidenten zu finden ist.
Dossi: Die hat sogar eine eigene Bezeichnung bei uns: Croquis. Im Grunde ist dies das Manuskript, das für den vorsitzführenden Präsidenten bzw. die vorsitzführenden Präsidentinnen des Nationalrats verfasst werden. So werden sie durch die verschiedenen Tagesordnungspunkte geführt. Wann ist eine Debatte zu eröffnen? Wann ist sie zu beenden? Wann findet eine Abstimmung statt? Wenn ein Mitarbeiter die Mappe öffnet und einen weiteren Zettel reinlegt, ist das meist ein Abänderungsantrag, der von uns wieder vorbereitet werden muss. Das kann für die Kollegen, die das Plenum betreuen, stressig sein.
ORF.at: Hat es schon mal ein Problem während einer Plenarsitzung gegeben?
Dossi: In den Abläufen sind wir eigentlich recht stabil. Im letzten Sommer hatten wir aber einen Vorfall, wo uns im Zuge einer Einarbeitung eines Abänderungsantrags ein inhaltlicher Fehler passiert ist. An diesem Tag gab es etwa 50 Beschlüsse, alle klappten einwandfrei, nur beim heikelsten, der Fremdenrechtsnovelle, stimmte das Beschlussprotokoll nicht mit dem Gesetzesbeschluss überein.
ORF.at: Wie haben die Parteien darauf reagiert?
Dossi: Freilich mussten wir den Fehler zuerst den Klubs erläutern. Aber sie haben verstanden, dass das Missgeschick in der Hektik passieren kann. Im Hintergrund wurde unaufgeregt an einer Lösung gearbeitet. Und im nächsten Plenum wurde die Novelle mit einem weiteren Gesetzesbeschluss saniert.
Links:
Das Interview führte Jürgen Klatzer, ORF.at