Abseits der politischen Inszenierung
Das Parlament gilt als Ort der politischen Auseinandersetzung. Im Plenum kommt es mitunter zu hitzigen Debatten. Zwischenrufe und Schilder sollen den Schlagabtausch zwischen den Fraktionen noch unterstreichen. Allerdings spielt sich das Ganze nur auf der politischen Bühne ab. Im Hintergrund, wo rund 420 Personen daran arbeiten, dass der parlamentarische Betrieb läuft, geht es schon etwas ruhiger zu, sagt Parlamentsdirektor Harald Dossi.
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Seit März 2012 dirigiert Dossi als oberster Beamter im Parlament die Verwaltung im Hohen Haus. Ihm sind Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstellt, von Reinigungs- und Sicherheitskräften bis zur stenografischen Abteilung und den hauseigenen Budget- und Rechtsfachleuten. Für die Öffentlichkeit kaum sichtbar, agieren sie im Hintergrund, betreuen Plenarsitzungen des Nationalrats und Bundesrats, stellen Informationen zur Verfügung oder unterstützen Abgeordnete bei ihren parlamentarischen Aufgaben.

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Damit Debatten im Parlament stattfinden können, muss freilich zuerst der Ablauf geplant werden
„Wir sind eine der wenigen Parlamentsverwaltungen, die beide Kammern (Nationalrat und Bundesrat, Anm.) mit ein und demselben Personal unterstützen“, so Dossi, der bereits die dritte Regierung als Parlamentsdirektor erlebt. Dass die Arbeit im Hohen Haus unter einer ÖVP-FPÖ-Koalition anders ist als unter SPÖ und ÖVP, verneint der gebürtige Kärntner. „In unterschiedlicher Form hat es Stress schon immer gegeben“, sagt er und erinnert daran, dass es nach der Wahl 2013 insgesamt sechs Klubs im Parlament gab. „Davon sind zwei erst entstanden, das Team Stronach und NEOS. Dann zerbrach ein Klub, was für uns gewisse Arbeiten mit sich brachte.“
Quereinsteiger ohne Erfahrung
Auch die vorgezogene Nationalratswahl im Oktober vergangenen Jahres sorgte für zusätzlichen Aufwand in der Verwaltung. Einige Projekte waren laut Dossi mit dem „Grundvertrauen“ geplant, dass die Legislaturperiode ohnehin noch ein Jahr lang dauert. Dem war nicht so, zeitliche Abläufe mussten geändert werden. Intensiver sei die Arbeit aber zu Beginn der neuen Periode gewesen. „Dass mehr als die Hälfte der Mandatare neu ist und keinerlei Erfahrungen mit dem parlamentarischen Prozess hat, darf man nicht unterschätzen.“
Mit Informationsveranstaltungen und Briefings, wie das Hohe Haus funktioniert, wurden die Quereinsteiger, die sich vor allem in den Reihen der ÖVP finden, auf ihre Arbeit vorbereitet. „Aber natürlich merken wir anhand der ersten Plenarsitzungen, dass viele Akteure noch ihre Rollen im Parlament finden müssen“, so Dossi. Das würde seiner Meinung nach auch die eine oder andere Polemik und Aufregung, die in den Debatten noch zu hören ist, erklären. Aber im Grunde komme man „langsam wieder in relativ geordnete Abläufe“.
Parlamentsdirektion
Laut Verfassung unterstützt die Parlamentsdirektion die gesetzgebenden Organe des Bundes und die österreichischen Mandatare des EU-Parlaments. Sie sorgt außerdem für den Ablauf des parlamentarischen Geschehens.
Tatsächlich attestieren einige Beobachter und Beobachterinnen dem Parlament eine Wandlung, von einem Hohen zu einem tiefen Haus zu werden. Manche Zwischenrufe seien „dumm“, monierte etwa NEOS-Mandatarin Irmgard Griss. Laut Parlamentsdirektor Dossi spielt sich die inhaltlich-politische Seite aber nur in Ausschüssen, im Plenum und in der medialen Diskussion ab. Dort, wo Abläufe beschlossen werden, gehe es aber ruhiger zu, erklärt Dossi. Gemeint ist die Präsidialkonferenz, die sich aus den fünf Klubobleuten und den drei Parlamentspräsidenten zusammensetzt.
Atmosphäre „sehr ruhig geschäftsmäßig“
Die Mitglieder beschließen zum Beispiel Tagesordnungspunkte und Sitzungstermine des Nationalrats. „Die Präsidialkonferenz ist dazu da, gemeinsam den parlamentarischen Ablauf zu planen. Ich glaube, es sind sich alle einig, dass das keine Bühne ist, wo sie politische Argumente austauschen können“, so Dossi. Die ruhige Sachlichkeit hinter der Bühne könnte zum Teil aber auch daran liegen, dass über das Gesagte einfach nicht berichtet wird. „Am Ende gibt es nur das Protokoll für die Mitglieder“, erklärt der Parlamentsdirektor.

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Wegen der Parlamentssanierung befindet sich die Direktion derzeit im Ausweichquartier im Bibliothekshof
Dossis Beschreibung erinnert an den Soziologieklassiker „Wir alle spielen Theater“ des kanadischen Forschers Erving Goffman. Darin beschreibt er - neben der Interaktion von Individuen im Alltag - zwei verschiedene Orte im Theater. Zum einen die Vorderbühne als Ort des offiziellen Geschehens, wo die Beteiligten permanent unter Beobachtung stehen. Andererseits gibt es auch die Hinterbühne, die für das Publikum nicht zugänglich ist und wo eine andere Atmosphäre herrscht. Dossi nennt sie „ruhig geschäftsmäßig“. Es werde diszipliniert geplant und zusammengearbeitet.
Der Aufwand der Parlamentsverwaltung in Zahlen ausgedrückt: 37-mal trat der Nationalrat seit seiner Konstituierung im November vergangenen Jahres zusammen. Gedauert haben die Sitzungen in der aktuellen Periode exakt 187 Stunden und 22 Minuten. Es gab 184 Debatten mit rund 1.100 Seiten an stenografischen Protokollen. Hinzu kommen 143 Ausschuss-, 22 Unterausschuss- und vier Untersuchungsausschusssitzungen. Das alles wurde bisher geplant, vorbereitet, betreut und nachbereitet.
Mehr Personal im Herbst
Dossi kündigt im ORF.at-Gespräch schon an, dass das Parlament für den Herbst zusätzliches Personal einstellen wird. Grund dafür sind die zwei parallel stattfindenden Untersuchungsausschüsse. „Die Herausforderung wird sein, dass der Regelbetrieb im Parlament durch die U-Ausschüsse nicht beeinträchtigt wird“, betont er. Erste Vorbereitungen, damit es im September „ordentlich losgehen“ kann, laufen bereits. Der U-Ausschuss zur Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) startet am 4. September, der zum Eurofighter zwei Tage später.
Vor dem Hintergrund, dass der BVT-U-Ausschuss eine „abgestimmte, politisch motivierte Einflussnahme“ auf eine Behörde untersuchen soll, stellt sich auch die Frage, ob die Parlamentsdirektion mit politischen Interventionen jeglicher Art konfrontiert ist. Von Dossi kommt ein klares Nein. Alle Beteiligten - Klubs, Regierung, Parteien, - seien sich darüber im Klaren, „dass sie mittel- und langfristig auf der Verliererseite stehen, wenn sie versuchen, uns politisch zu missbrauchen“.

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Harald Dossi ist seit mehr als fünf Jahren Parlamentsdirektor, zuvor war er unter anderem im Bundeskanzleramt tätig
Dass man im Hohen Haus die Unaufgeregtheit pflegt, beweise die Lösung eines Fehlers im vergangenen Sommer. „An einem Tag gab es 50 Beschlüsse, aber beim heikelsten, der Fremdenrechtsnovelle, stimmte das Beschlussprotokoll nicht mit dem Gesetzesbeschluss überein“, erzählt Dossi. Nach der Abstimmung mussten die Klubs darüber informiert werden. „Aber sie haben verstanden, dass das Missgeschick in der Hektik passieren kann. Im Hintergrund wurde unaufgeregt an einer Lösung gearbeitet. Und im nächsten Plenum wurde die Novelle mit einem weiteren Gesetzesbeschluss saniert.“
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