„Der König ist nackt“
Ein früherer Sicherheitsmann Emmanuel Macrons soll bei einer Demo in Paris einen Mann geschlagen haben. Die Affäre um den heute 26-Jährigen hat sich zu der wohl größten Krise in der bisherigen Amtszeit des französischen Präsidenten ausgewachsen. Entsprechend hart gehen die Zeitungen mit ihm ins Gericht.
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„Die Maske fällt. Und dieses Mal ist der König nackt. Die Affäre um Alexandre Benalla offenbart, was Macrons Staat wirklich ist: ein Apparat, der sich über alles erhaben glaubt - über das Parlament, die Gewerkschaften, die Polizei und die Gesetze“, schrieb die linksorientierte Tageszeitung „L’Humanite" am Montag. Und weiter: „Alle Machenschaften von Macrons Vertrauensmann stellen (...) klar die Arroganz einer Macht heraus, die die Demokratie an die Kette legt, in die Rädchen der Regierung eindringt, Anweisungen gibt, ihre Anhänger beschützt und daran arbeitet, die Verfassung mit einer völlig monarchistischen Auffassung der Institutionen in Einklang zu bringen.“
„Jupiter ist nicht Merkur“
Auch der konservative „Le Figaro“ kommentierte vernichtend: „In der Tat, Jupiter ist nicht Merkur. Die jämmerliche Affäre um Benalla belegt, dass der Gott der Kommunikation seinen Sitz nicht im Elysee-Palast bezogen hat. Und dass Emmanuel Macron sich mit einer politischen Krise konfrontiert sieht, weil er es versäumte, ein Disziplinarproblem sofort zu lösen. (...) Derjenige, der seine fünfjährige Amtszeit mit dem Anspruch auf sittliche Besserung des politischen Lebens antrat, (...) wohnt nun wie unfähig der Aufklärung einer Affäre bei, die nach den guten alten Methoden riecht und den bedauernswerten Eindruck von zu viel Nachsichtigkeit und zu viel Verschleierung erweckt.“

Reuters/Charles Platiau
Der Ruf, „Präsident der Reichen“ und machtversessen zu sein, verfolgt Macron hartnäckig
„Erst Anfang Juli war es ihm bei der Rede zur Lage der Nation gelungen, die wachsende Kritik an seinem zunehmend selbstherrlichen Regierungsstil etwas einzudämmen. Sein Auftritt beim WM-Finale brachte ihm zusätzlich dringend benötigte Sympathiewerte bei der Bevölkerung. Die aktuelle Affäre macht das wieder zunichte. Der Eindruck verdichtet sich bei den Franzosen zur Gewissheit: Macron ist auch nur einer, der es sich und den Seinen richtet", bilanziert der „Standard“.
„Präsident der Reichen“
Mehr als 70 Prozent der Franzosen halten die Regierungspolitik von Macron zwei aktuellen Umfragen zufolge für ungerecht. Selbst in Macrons eigenen Reihen mehren sich nach gut einem Jahr im Elysee-Palast Stimmen, die nach der Vielzahl an wirtschaftsfreundlichen Reformen ein sozialeres Gesicht der Regierung sehen wollen. Seine politischen Gegner bemühen sich ohnehin schon lange, ihn als „Präsidenten der Reichen“ abzustempeln.
Dagegen stemmte sich Macron Anfang Juli in einer Grundsatzrede vor dem Parlament: „Eine Politik für die Unternehmen ist keine Politik für die Reichen, sondern eine Politik für die ganze Nation“, verteidigte er sich im Schloss von Versailles. „Wenn man den Kuchen verteilen will, ist es die erste Bedingung, dass es einen Kuchen gibt.“
Macron hat seit seiner Wahl im Mai 2017 zwar eine eindrucksvolle Liste von Reformen abgearbeitet oder auf den Weg gebracht, sogar die Eisenbahner-Gewerkschaften zwang er in die Knie. Doch bei seinen Beliebtheitswerten zeigte der Trend zuletzt nach unten - auch wenn er noch besser dasteht als seine Vorgänger Francois Hollande und Nicolas Sarkozy zur gleichen Zeit.
Jährlicher Prunk in Versailles
Macrons Rede vor den Abgeordneten und Senatoren war ein Versuch, die Deutungshoheit über seine Politik zurückzugewinnen - konkrete Ankündigungen gab es dagegen kaum. Der Präsident verteidigte seine Philosophie, wirtschaftlichen Liberalismus und soziale Sicherheit nicht als Gegensatz zu verstehen. „Wir müssen den Wohlfahrtsstaat des 21. Jahrhunderts bauen“, gab er als Priorität für das kommende Jahr aus.
Es war schon das zweite Mal, dass Macron in Versailles zu beiden Kammern des Parlaments sprach. Die Verfassung erlaubt das seit 2008, seine Vorgänger hatten davon jedoch nur in Ausnahmen Gebrauch gemacht - Hollande etwa 2015 nach den Pariser Terroranschlägen. Macron aber will in diesem Format jedes Jahr Bilanz ziehen. Nach Ansicht seiner Kritiker nimmt er sich damit zu viel heraus - sie sehen darin das Symptom eines zu großen Machtanspruchs.
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