Eindringlicher Appell an Regierung
Zu einer bisher nicht gekannten Allianz haben sich am Donnerstag die Chefs von Gewerkschaft, Ärztekammer und Sozialversicherung - Wolfgang Katzian, Thomas Szekeres und Alexander Biach - zusammengefunden. Anlass war der gemeinsame Protest gegen die „Ausgabenbremse“ für die Krankenkassen, die kürzlich von ÖVP und FPÖ überraschend beschlossen worden war. Alle drei appellierten an die Regierung, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
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Biach, Vorstandsvorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, führte in der gemeinsamen Pressekonferenz aus, welche Konsequenzen durch den Beschluss drohen: Österreichweit müssen 33 vereinbarte Projekte gestoppt werden, etwa ein Eltern-Kind-Therapiezentrum in Bad Ischl und die Zusammenlegung von Landes- und Unfallkrankenhaus in Klagenfurt. Insgesamt gehe es um Bauprojekte im Ausmaß von 400 Millionen Euro.
Auch neue Ärzteverträge müssen warten, mit entsprechenden Konsequenzen für Patientinnen und Patienten. Hier geht es etwa um die Steiermark, das Burgenland, Oberösterreich und Tirol. Auch der Primärversorgungsvertrag kann nicht abgeschlossen werden, und jener für CT- und MR-Untersuchungen wird nun womöglich nicht verlängert - beides Bereiche, die der Politik bisher sehr wichtig waren.
Biach will eingebunden werden
Man teile die Ziele der Regierung, wolle aber „ordentlich eingebunden werden und konstruktiv beitragen“. Er forderte dafür, die „Ausgabenbremse“ zu lösen und wieder in den Dialog mit den Sozialpartnern einzusteigen. In der Vorwoche hatte Biach sogar von „Finanzierungsstopp“ gesprochen. Die „Ausgabenbremse“ soll - so das Argument der Regierung - im Vorfeld der für Herbst geplanten SV-Reform größere Ausgaben verhindern helfen. Die Regierung hat stets betont, durch die SV-Reform werde es nicht zu Kürzungen bei den Leistungen der Kassen kommen.
Szekeres warnt vor Vorrücken der Privatmedizin
Ärztekammer-Präsident Szekeres befürchtete ein Vorrücken der Privatmedizin durch die Maßnahme, was für die Ärmeren in der Gesellschaft nicht bezahlbar sei: „Es wird kein Arzt verhungern, wenn es kein Kassensystem gibt, aber es ist zum Schaden der Patienten.“
Im Ö1-Morgenjournal kritisierte er, dass in Zukunft auch bei wachsendem Patientenaufkommen keine neuen Kassenstellen geschaffen werden dürfen. Man habe bereits jetzt Probleme, Kassenärzte zu finden - und je unattraktiver die Rahmenbedingungen sind, desto eher verschärfe sich dieses Problem. Derzeit sind 70 Hausarztstellen unbesetzt. „Die wohnortnahe Versorgung wird leiden, die Anfahrtswege werden länger, die Wartezeiten werden länger“, so Szekeres - Audio dazu in oe1.ORF.at.
Er verwies auch auf maßgebliche Juristen, die diesen Eingriff in die Selbstverwaltung als verfassungswidrig gewertet hatten. Auch Szekeres äußerte die Hoffnung auf eine Rücknahme des „Husch-Pfusch-Gesetzes“, wie er es nannte. Noch setze man auf den Dialog, gab sich aber ebenso zurückhaltend wie ÖGB-Chef Katzian. „Wir kündigen Kampfmaßnahmen nicht an. Wir machen sie, wenn sie notwendig sind“, meinte dieser.
Katzian „einigermaßen geschockt“
Von der Vorgangsweise der Bundesregierung zeigte sich Katzian „einigermaßen geschockt“, habe man den überraschenden Beschluss doch ins Erwachsenenschutzgesetz hineingeschoben, als wolle man „die Selbstverwaltung besachwalten“. Der ÖGB-Chef warnte die Regierung vor einer Politik, die das Land in eine Konfliktkultur führe. „Wir scheuen sie nicht. Aber ich bin sicher nicht der, der die Sozialpartnerschaft zu Grabe trägt“, sagte Katzian.
Heftige Kritik von Regierungsseite
ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer reagierte mit heftiger Kritik. In einer Aussendung sprach er von einer „Achse der Blockierer und Systembewahrer“. Er konstatierte, dass zur Rettung der eigenen Macht Patienten und Arbeitnehmer verunsichert würden. Auch Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erblickte eine „unbegründete Panikmache“. Sie unterstrich die Notwendigkeit, bei der Systemreform auch Übergangsregelungen zu treffen.
Unklar ist, ob die „Ausgabenbremse“ juristisch überhaupt hält. Diese sei ein Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung, so bereits letzte Woche der Jurist Theo Öhlinger: „Ich kann mir schwer vorstellen, dass das vor dem VfGH halten würde.“ Aus Sicht von SPÖ und ÖGB ist die Maßnahme klar verfassungswidrig.
Im Vorfeld der geplanten SV-Reform
Inhalt und Vorgangsweise für die „Ausgabenbremse“ sorgten bereits zuletzt für Aufregung: Die Regierungsparteien hatten die weitreichenden Maßnahmen für die Sozialversicherungsträger unauffällig in das Erwachsenenschutz-Anpassungsgesetz hineingepackt.
Darin heißt es unter anderem, dass Ärzte und Bedienstete der oberen Führungsebene der Versicherungsträger und des Hauptverbandes nur bis Ende 2019 bestellt werden dürfen bzw. deren befristete Verträge nur bis Ende 2019 verlängert werden dürfen.
Begründet wird das mit der geplanten Sozialversicherungsreform. Im Vorfeld solle verhindert werden, „dass da nicht überproportional Ausgaben getätigt werden, die uns größere Probleme bereiten, wenn die neuen Strukturen aufgebaut sind“, so ÖVP-Klubchef August Wöginger etwa letzte Woche.
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