Einblick in Facebooks Löschzentren
Content-Moderatoren entscheiden darüber, was in Sozialen Netzwerken bleiben darf. Für ihr Urteil haben viele von ihnen nur wenige Sekunden Zeit, wie die Dokumentation „The Cleaners“ zeigt. Der Einblick in das Leben der Putztrupps von Facebook und Co. wirft dabei auch grundlegende Fragen über den heutigen Alltag im Netz auf.
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„Delete, Delete, Ignore, Delete“: Im Sekundentakt tauchen neue Bilder und Videos auf den Bildschirmen der Moderatorinnen und Moderatoren auf, im Sekundentakt wird beurteilt, ob das gesichtete Material entfernt werden muss. Das von dem Sozialen Netzwerk in die Philippinen ausgelagerte Löschzentrum - nur eines von vielen - gibt jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter ein Ziel von 25.000 Postings pro Tag vor, heißt es.
Keine Nacktheit, keine Ausnahmen
Am Anfang wirkt das Regelwerk, nach dem entschieden wird, noch überschaubar: Vor allem Nacktheit wird rigoros gelöscht. Doch nach und nach scheint nicht nur die Zeit, die den Moderatoren zur Verfügung steht, nicht auszureichen, sondern auch der vorgegebene Kriterienkatalog. So wird etwa die Frage in den Raum gestellt, wie mit einem Gemälde der australisch-amerikanischen Künstlerin Illma Gore umzugehen ist, das US-Präsident Donald Trump nackt zeigt - ist das strenge Regelwerk auch auf Kunst anwendbar?
Die Dokumentation der zwei deutschen Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck stellt ein paar wenige Content-Moderatoren vor, die bereit waren, sich vor der Kamera zu zeigen. Eine strenggläubige Katholikin - auf den Philippinen keine Ausnahme - erzählt, wie sie mit dem Thema Nacktheit umgeht. Gezeigt wird auch ein glühender Anhänger des philippinischen Staatschefs Rodrigo Duterte, dessen Drogenpolitik und zahlreiche umstrittene Aussagen auch häufig für Kritik im Ausland sorgen.
Indirekt kritisieren Block und Riesewieck damit die Entscheidung der Silicon-Valley-Riesen, das Urteil über Inhalte im Netz per Outsourcing in andere Länder zu verlagern. Damit wird die Zensur im Netz auch zur kulturellen Frage - vor allem dann, wenn es allein einer Einzelperson obliegt, über die Daseinsberechtigung von Inhalten im Netz zu entscheiden.
Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen
In der Folge wird gezeigt, welche Auswirkungen die Arbeit der Moderatoren international hat. So kämpft eine Organisation, die Berichte aus dem Kriegsgebiet in Syrien sammelt, jeden Tag aufs Neue gegen die Zeit: Die von der Bevölkerung aufgenommenen Videos und Bilder, die die Situation an Ort und Stelle zeigen, werden oft binnen kürzester Zeit gelöscht. Gerade diese sind aber oft die einzigen Dokument, die Angriffe belegen, heißt es.
Hinweis
„The Cleaners“ läuft momentan in einigen österreichischen Kinos. Voraussichtlich am 16. September wird die Dokumentation in ORF2 ausgestrahlt.
An anderer Stelle wird auf die Situation der Rohingya in Myanmar aufmerksam gemacht: Dort würde die ungefilterte Verbreitung von Falschmeldungen auf Facebook letztlich Menschenleben kosten, sagt ein Blogger vor Ort. Das Regelwerk der Konzerne ist zwar offenbar umfassend und sehr spezifisch - besonders dann, wenn es um Bildinhalte geht. Eine inhaltliche Einordnung sehen die Regeln in den meisten Fällen anscheinend aber nicht vor.
Neue Rollen im Silicon Valley
Auch die Verantwortung der Silicon-Valley-Konzerne selbst ist Thema der Dokumentation. Interviewt wurden unter anderem ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Facebook und Google, die auch einen Rollenwechsel in ihren ehemaligen Unternehmen beobachten. So habe sich Facebook etwa stets als Techkonzern gesehen - und nicht als Medienunternehmen, heißt es in einer Interviewpassage, gefolgt von der nüchternen Feststellung, dass diese Rechtfertigung heute wohl nicht mehr genug sei.

Gebrueder Beetz Filmproduktion
Manila: Die US-Internetriesen haben die Urteile über Inhalte per Outsourcing in weit entfernte Länder verlegt
Zwischen den Szenen werden häufig E-Mails eingeblendet, in denen zu lesen ist, dass die Löschzentren von Dreharbeiten erfahren haben und jenen Mitarbeitern mit Kündigung drohen, die vorhaben, daran mitzuwirken. Auch sonst wird oft auf die schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. So gibt es laut Mitarbeitern praktisch keine Toleranz für Fehler, also dann, wenn eine der blitzartigen Entscheidungen nicht dem Regelwerk entspricht.
Düstere Science-Fiction trifft Wirklichkeit
Die Dokumentation erinnert durch die Zwischenszenen optisch an die Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“, sonst könnte das Werk der Regisseure Block und Riesewieck aber genauso gut als dystopisches Science-Fiction-Werk funktionieren. Für „The Cleaners“ wurde die Arbeit in einem Büro in Manila nachgestellt: Meist von hinten und in Dunkelheit werden die Content-Moderatoren vor ihren Bildschirmen gezeigt. Abgesehen von einer - äußerst expliziten - Ausnahme ist dabei jedoch nicht zu erkennen, mit welchem Material die Mitarbeiter gerade konfrontiert sind.
Der Fokus auf die sonst unsichtbaren Content-Moderatoren in „The Cleaners“ - einer Koproduktion mit ORF-Beteiligung - schafft Bewusstsein dafür, dass nur wenige Großkonzerne die Macht darüber haben, was Platz im Netz hat und was nicht. Durch diese Entwicklung büßt das Netz vor allem stark an Demokratie ein. Die Verantwortung wird dabei auf Dritte übertragen - und Google setzt schon jetzt zusätzlich auf künstliche Intelligenz bei der Moderation von Inhalten im Netz.
Darüber hinaus werfen Block und Riesewieck noch weitere Fragen auf, die durch die Nutzung Sozialer Netzwerke in den vergangenen Jahren entstanden sind. Nicht für alle ist genug Zeit, sie im Rahmen der knapp 90-minütigen Dokumentation ausführlich zu erörtern. Am Ende bleibt vor allem viel Gesprächsstoff - und ein bisschen Resignation: Denn trotz Science-Fiction-Optik ist „The Cleaners“ keine Dystopie mehr, sondern längst zum Alltag geworden.
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