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Emotionale Debatte mit klarem Ausgang

Das Paket zur Arbeitszeitflexibilisierung ist am Donnerstag im Parlament beschlossen worden. Dem Gesetz, das den Zwölfstundentag und die 60-Stunden-Woche gesetzlich etabliert, stimmten schließlich nicht nur die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ, sondern auch NEOS zu. Überraschend tritt es bereits mit September in Kraft. Ein SPÖ-Antrag auf Abhaltung einer Volksabstimmung fand keine Mehrheit.

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Mit dem Vorhaben bleiben zwar grundsätzlich der Achtstundentag und die 40-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit bestehen. Ausgedehnt wird aber die mögliche Maximalarbeitszeit. Gegenüber dem ursprünglichen ÖVP-FPÖ-Initiativantrag gab es am Donnerstag noch eine Änderung: So tritt das Vorhaben nicht erst mit 1. Jänner 2019, sondern bereits am 1. September dieses Jahres in Kraft.

„Wirklichkeit wird die Wahrheit zeigen“

Die Parlamentsklubs von ÖVP und FPÖ bestätigten noch vor der Nationalratssitzung das überraschende Vorziehen des Gesetzes. Als Grund wurde die „Diskussion der vergangenen Tage“ genannt, die für „viel Verunsicherung und Falschinformation" gesorgt habe. „Um Klarheit und Sicherheit zu schaffen, wird die Arbeitszeitflexibilisierung mit 1.9.2018 in Kraft treten. Die Wirklichkeit wird dann die Wahrheit zeigen, nämlich dass sich für die Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichts ändert. Wenn Arbeitnehmer wollen, können Sie mehr arbeiten und bei vollen Zuschlägen mehr Geld verdienen oder mehr Freizeitblöcke in Anspruch nehmen“, hieß es in einer Stellungnahme der beiden Klubs.

ÖVP-Abgeordnete halten Schilder

APA/Roland Schlager

„Freiwilligkeit garantiert“: Das versprachen ÖVP und FPÖ auch im Zuge der emotionalen Debatte

Die Regierungsparteien hatten zuletzt betont, dass die neuen Arbeitszeitregeln auf freiwilliger Basis eingeführt würden. Gewerkschaft und Arbeiterkammer kritisierten die Pläne vehement und warfen der Regierung die Schlechterstellung von Arbeitnehmern zugunsten der Industrie vor. Der ÖGB rief am Wochenende zu einer ersten Großdemonstration auf und stellte der Regierung einen heißen Herbst und den Arbeitgebern harte Kollektivvertragsverhandlungen in Aussicht.

Klubobmann Christian Kern (SPÖ)

Kern sieht in den neuen Arbeitszeitregeln die „massivste Verschlechterung seit drei Jahrzehnten“.

„Wir sind wie eine Hydra. Das wird ihr Alptraum“

Die Debatte im Nationalrat verlief wie erwartet sehr emotional - und sie zog sich in die Länge. Als 52. und letzter Redner hielt am Nachmittag ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian (SPÖ) eine ruhig vorgetragene, aber wortgewaltige Rede. Er warnte ÖVP und FPÖ davor, die Arbeitnehmer zu entrechten und die Demokratie zu bescheiden. Nach dem Beschluss im Nationalrat werde man den Fokus nun auf den Bundesrat richten, und wenn man auch dort nichts erreiche, „werfen wir das Scheinwerferlicht auf die Besteller“, drohte Katzian indirekt mit Arbeitskampf.

Wenn die Regierung weiter versuche, die Arbeitnehmer, die Pressefreiheit und die Demokratie zu beschneiden, „dann wird es ein Problem“, sagte Katzian und appellierte an ÖVP und FPÖ, „dieses Land nicht zu einem Land der permanenten Auseinandersetzung zu machen“. Er warnte zudem ÖVP und FPÖ davor, Betriebsräte und Gewerkschafter zu verunglimpfen. Der ÖGB sei keine Führerorganisation, wenn man dem Vorderen wehtue, gehen nicht alle in die Knie, sondern „es kommen zwei hinten nach“. „Wir sind wie eine Hydra. Das wird ihr Alptraum“, so Katzian.

SPÖ-Antrag auf Volksabstimmung

Am Vormittag brachte SPÖ-Klubchef Christian Kern einen Antrag auf eine Volksabstimmung über die Ausweitung der Arbeitszeit ein. Er kritisierte das Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Regierung als die „massivste Verschlechterung seit drei Jahrzehnten“. Das Gesetz sei „ungerecht, unausgegoren und durch und durch unvernünftig“.

„Wenn sie besonders lustig sind“, erklärten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) den Arbeitnehmern, dass das Gesetz für sie „grandios“ sei, so Kern. Aber wenn man sehe, dass nur Industrie und Wirtschaft das Vorhaben bejubeln, „weil geliefert wurde, was bestellt wurde“, wisse man, wem das Gesetz nutze. „Das ist ein Angriff auf die Arbeitnehmer. Sie werden nicht nur als Arbeitnehmerverräter in die Geschichte eingehen, Sie machen die Ungerechtigkeit zum Programm“, so Kern an die Regierung.

FPÖ sieht Vorfreude in Bevölkerung

Alles „falsch und erlogen“, erwiderte FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz. Der Achtstundentag, die 40-Stunden-Woche, die Überstundenzuschläge, die Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen würden bleiben. Die Menschen würden sich auf die neuen Regelungen „freuen“. Dort, wo die Politik näher an der Bevölkerung sei, „kommt diese Maßnahme bei den Menschen gut an“, so Rosenkranz, der Abgeordnete der Opposition unter anderem als „Rabiat-Gewerkschafter“ bezeichnete und ihnen „Tourette-Syndrom“ vorwarf. Dass das Gesetz überraschend schon im September in Kraft treten soll, begründet er damit, dass man sich damit gut auf die Neuerungen „einstellen“ könne.

Von einer „Win-win-Situation“ und einem „guten, ausgewogenen Gesetz für beide Seiten“ sprach auch VP-Klubchef August Wöginger. Das Vorziehen des Inkrafttretens begründet er damit, dass mit dem Gesetz „Arbeiterrechte“ abgesichert würden.

Klubobmann August Wöginger (ÖVP)

Wöginger glaubt an ein „gutes, ausgewogenes Gesetz für bei Seiten“.

Sozialminister Beate Hartinger-Klein (FPÖ) verteidigte die Ausweitung der Arbeitszeit mit einem Zitat von Karl Marx. Dieser habe einst gesagt, „Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann“. Mit der nun vorliegenden Arbeitszeitregelung „ist diese Freiheit für jedermann und jederfrau möglich“, so die Ressortchefin.

Sozialministerin Beater Hartinger-Klein (FPÖ) und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck  (ÖVP)

APA/Roland Schlager

Hartinger-Klein bemühte Marx, Schramböck warnte vor „Superlativen und Angstszenarien“

Es könne „keine Rede davon sein, dass nun alles schlechter wird“. Ziel sei es, eine praxisgerechte Gestaltung der Arbeitszeitregelungen zu erreichen - „zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes einerseits, andererseits zur Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen“. Es sei wichtig, auf Arbeitszeitspitzen reagieren zu können. „Dass dabei Rechte der Arbeitnehmer verletzt werden, weise ich auf das Schärfste zurück“, sagte sie.

„Im Interesse der Belegschaften“

Auch müsse man „immer und immer wieder sagen“, dass sich an der durchschnittlichen Arbeitszeit in Österreich nichts ändern werde. Es werde stattdessen eine „höhere Flexibilität“ erreicht, so Hartinger-Klein. Auch liege es „im Interesse der Belegschaften, bei entsprechender Auftragslage die Arbeitszeit auszudehnen und dafür zu anderen Zeiten von mehr Freizeit zu profitieren“.

Gegen „bewusst geschürte Panikmache“ sprach sich Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) bei ihrem Auftritt im Plenum aus. „Bitte nehmen Sie von Superlativen und Angstszenarien Abstand“, sagte sie in Richtung der Opposition. Es würden durch die Neuerung „weder Milch und Honig fließen, noch erschüttern wir die Grundfesten dieser Republik“.

„Viel Taferln, wenig Hirnschmalz“

„Viele Taferln auf beiden Seiten, aber ziemlich wenig Hirnschmalz“, urteilte Gerald Loacker von NEOS. Die Regierung mache es ihm als Befürworter einer Arbeitszeitflexibilisierung „wirklich schwer“. „Es ist so schlecht, dass man glauben könnte, es sei tatsächlich von den schwarzen und blauen Klubs geschrieben worden“, so Loacker, der die Industriellenvereinigung als Schreiberin des Gesetzes vermutet. Das Vorhaben werde zu zahlreichen und langjährigen Gerichtsauseinandersetzungen führen. „Der Rechtsanwalt Rosenkranz freut sich darüber, weil es damit Arbeit für die Rechtsanwälte gibt“, so Loacker.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber (LP)

Heftige Kritik an dem geplanten Gesetz kam auch von Liste-Pilz-Abgeordneter Daniela Holzinger-Vogtenhuber.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Pilz machte vor allem auf die Probleme für Familien aufmerksam. Die Regierung nehme „null Rücksicht auf die Gesundheit, null Rücksicht auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, null Rücksicht auf die Kinder“. Auf der anderen Seite werde der Ausbau der Kinderbetreuung zurückgeschraubt.

SPÖ-Klubchef Andreas Schieder im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates

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„Der ganze parlamentarische Prozess wird schlechtgemacht“, klagte Schieder

SPÖ: „Nicht im Sinne des Parlamentarismus“

Zu Beginn der Sitzung machte die Opposition in einer eigens einberufenen Geschäftsordnungsdebatte ihrer Empörung über die Vorgehensweise der Regierungsfraktionen Luft. Mit dem Vorgehen werde vorbei an allen Usancen „der ganze parlamentarische Prozess schlechtgemacht“, klagte der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Niemandem im Hohen Haus sei der abgeänderte Abänderungsantrag zugegangen. NEOS-Klubobmann Matthias Strolz schloss sich der Kritik an. Er betonte, dass seine Fraktion grundsätzlich für das Vorhaben der Arbeitszeitflexibilisierung eintrete. Das Vorgehen von ÖVP und FPÖ sei aber „keine Art des Zusammenarbeitens“, so seine Kritik: „Sie gehen bewusst den Weg der Ignoranz.“

Klubobmann Matthias Strolz (NEOS)

„Sie gehen bewusst den Weg der Ignoranz“, hielt Strolz den Regierungsparteien vor.

Rosenkranz und Wöginger wiesen die Kritik lautstark zurück. Man mache die Arbeit entlang der Geschäftsordnung des Nationalrats, sagte Wöginger - und werde den aktuellen Antrag nun ohnehin an die Fraktionen übermitteln. Man habe den Abänderungsantrag ja bereits letzten Freitag vorgelegt, nun ändere sich ja nur wenig, meinte er: „Was sich jetzt ändert, ist die Frist des Inkrafttretens“, so der VP-Klubchef. Auch Rosenkranz pochte darauf, dass die Regierungsfraktionen entlang der Geschäftsordnung agierten: „Ich konnte nicht entnehmen, dass irgendein Vorgang geschäftsordnungswidrig gewesen wäre.“

Pflastersteine vor Büros

Rosenkranz und Wöginger warfen vielmehr der Opposition zu harte Protestmaßnahmen gegen einzelne Abgeordnete vor. So seien Protestschreiben gegen den Zwölfstundentag und Pflastersteine vor Büros und Häusern von Abgeordneten gefunden worden, beklagten sie: „Was wollen Sie uns mit Pflastersteinen mitteilen, die sie vor Firmen und Häuser unserer Abgeordneten legen?“, fragte Wöginger. „Fliegen sie das nächste Mal beim Fenster rein? Ich weise diese Vorgangsweise entschieden zurück.“

Klubobmann Walter Rosenkranz (FPÖ)

„Ich konnte nicht entnehmen, dass irgendein Vorgang geschäftsordnungswidrig gewesen wäre“, wehrte sich Rosenkranz.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher bezeichnete das als „tatsachenbefreite Stimmungsmache“. Die Behauptungen seien auf das Schärfste zurückzuweisen. „Wir bedrohen niemanden. Die Einzigen, die bedroht werden, sind Österreichs Beschäftigte, denen von Schwarz-Blau durch die 60-Stunden-Woche Löhne, Gesundheit und Familienzeit gestohlen werden“, so Lercher. Ähnlich der Gewerkschafter und SPÖ-Abgeordnete Josef Muchitsch: „Ein Pflasterstein darf im 21. Jahrhundert kein Zeichen von Gewalt sein, das ist im 21. Jahrhundert ein Zeichen schwerer Arbeit und Ausbeutung.“

Demonstranten bei einer Kundgebung gegen den 12-Stunden-Tag

APA/Roland Schlager

Der durchgestrichene Zwölfer begleitet alle Proteste gegen das Gesetzesvorhaben

Protest mit „Internationaler“

Vor dem Parlamentsausweichquartier in der Hofburg waren unterdessen in der Früh rund 200 Demonstranten dem Aufruf der Jungen Generation der SPÖ gefolgt und demonstrierten lautstark gegen den Zwölfstundentag. Unter den Teilnehmern waren auch mehrere Oppositionsabgeordnete, darunter etwa Schieder, der gemeinsam mit dem Protestierenden die „Internationale“ zum Besten gab. Die Koalition hat das Datum für den Beschluss der Arbeitszeitverlängerung passend gewählt, wenn auch wohl unfreiwillig - denn der 5. Juli gilt als „Tag der Workaholics“. Ausgehend von den USA wird das Datum seit einigen Jahren für den Hinweis genutzt, dass zu viel Arbeit auch schädlich sein kann.

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