Flüchtlingsverteilung weiter fraglich
Eine nächtliche Marathonsitzung in Brüssel hat doch noch einen Kompromiss ergeben. Die EU-Staaten haben sich bei ihrem Gipfel darauf verständigt, die Asylpolitik gemeinsam zu verschärfen. Erneut sind dabei die schon lange diskutierten Auffanglager in Drittstaaten ein zentraler Punkt - doch daran, dass sie kaum umzusetzen sind, hat sich nichts geändert.
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In der Gipfelerklärung vom Freitag heißt es dazu, der Rat und Kommission würden aufgefordert, „das Konzept regionaler Ausschiffungsplattformen" zügig auszuloten. Das sei typische EU-Sprache, vage formuliert und ohne konkrete Details“, so der Migrationsexperte Gerald Knaus von der Denkfabrik European Stability Initaitve (ESI).
Schwierige Umsetzung der Asylverschärfungen
Europa will im Rahmen der verschärften Asylpolitik Lager in Nordafrika errichten. Bei der Verteilung der Flüchtlinge wird auf Freiwilligkeit gesetzt, was die Umsetzung erschweren dürfte.
Der Plan der EU sieht nun vor, dass Migrantinnen und Migranten sowie deren Schutzbedürftigkeit in solchen Auffanglagern, auch „Anlandezentren“ oder „Anlandeplattformen“, geprüft werden. Die Zentren, bei denen in der Vergangenheit immer wieder Menschenrechtsbedenken aufkamen, sollten in enger Zusammenarbeit mit den Drittstaaten sowie dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Internationalen Migrationsorganisation (IOM) funktionieren. Zudem werden Außengrenzschutz und die Hilfe für afrikanische Länder aufgestockt.
„Ging nicht um eine Lösung“
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Rande des EU-Gipfels: „Wir haben uns immer für sichere Schutzzonen ausgesprochen. Im Text heißt das jetzt Anlandeplattformen. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt.“ Nur wenn sichergestellt sei, dass Menschen nach der Rettung in Drittstaaten gebracht werden, könne das Geschäftsmodell der Schlepperorganisationen zerschlagen werden.
Länder wie Libyen aber sind weder willens noch politisch fähig, solche Lager zu errichten. Eine Umsetzung könne zum Alptraum werden, sagt Knaus gegenüber ORF.at. Sehr wahrscheinlich sei diese nicht. „Solche Plattformen wird es nicht geben, es sei denn, man meint damit Dinge, die es ohnehin schon gibt“, so Knaus, etwa den Transport von Migrantinnen und Migranten von Libyen nach Niger. „Da ging es aber eher um einen politischen Kompromiss, nicht um eine Lösung.“
Kurz stellt EU-Afrika-Gipfel in Aussicht
Kurz gab sich in der ZIB2 am Freitagabend allerdings im Hinblick auf Lager in Nordafrika erneut optimistisch. Vor allem mit Ägypten gebe es bereits jetzt eine „sehr, sehr gute Zusammenarbeit“, sagte Kurz. Aber auch mit Libyen könne man sich eine vertiefte Kooperation vorstellen. Die Bereitschaft des Landes dazu sehe er durchaus. Die Kooperationen mit den afrikanischen Staaten sollen „Schritt für Schritt“ ausgebaut werden.
Kurz: „Müssen auf europäischer Ebene zusammenhalten“
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht im ZIB2-Interview über mögliche Maßnahmen in der EU-Asylpolitik.
Kurz stellte überdies die Abhaltung eines EU-Afrika-Gipfels zu Migrationsfragen während des EU-Ratsvorsitzes in Aussicht. Man stelle gerade „Überlegungen“ an für ein „Treffen der Union mit afrikanischen Staaten“ in der „zweiten Hälfte unseres Ratsvorsitzes“, so der Kanzler.
„Das kann kein Land wollen“
Realistischer als die Lager in Nordafrika beurteilte Knaus die geplanten Aufnahmezentren in den europäischen Küstenstaaten. Die Einigung darauf sei „vielleicht ein Durchbruch des Gipfels“. Dort soll eine Rückführung schnell ermöglicht werden, Flüchtlinge sollen zudem von dort in aufnahmewillige EU-Staaten verteilt werden, eine Aufnahme soll also freiwillig sein. „Ein Schlüssel, damit dies gelingt, ist die Geschwindigkeit: Es muss dort innerhalb von Wochen klar sein, wer Flüchtling ist und wer nicht“. Andernfalls blieben „die Leute ewig stecken. Das kann kein Land wollen.“

ORF
Gerald Knaus hält Aufnahmezentren auf europäischem Boden für entscheidend
Zudem müssen es Anreize geben, anerkannte Flüchtlinge freiwillig aufzunehmen. Solche Zentren in der EU seien nur sinnvoll und wahrscheinlich, „wenn man den Ländern hilft, wenn weniger Leute kommen, wenn die Herkunftsländer kooperieren“, so Knaus. Wenn diese Voraussetzungen gegeben seien, wäre es zum Beispiel für Italien ein Vorteil. Wie realistisch eine Umsetzung ist, hänge von den Interessen der beteiligten Staaten ab, auch ob sich eine „Koalition der Willigen“ finde.
Österreich will nicht an Verteilung teilnehmen
Länder wie Italien und Griechenland wollen diese „kontrollierten Zentren“ laut Diplomaten künftig nur auch dann einrichten, wenn ihnen im Gegenzug Flüchtlinge abgenommen werden. Kanzler Kurz stellte bereits klar, dass Österreich keine zu verteilenden Flüchtlinge aufnehmen wolle. Österreich habe schon überproportional viele Menschen aufgenommen.
Auch geht man offenbar davon aus, dass in den von der EU geplanten Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Nordafrika keine Überprüfung des Flüchtlingsstatus stattfinden soll. „Aus unserer Sicht sollten dort keine Asylanträge gestellt werden können“, so Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal gegenüber „profil“ in seiner am Montag erscheinenden Ausgabe.
ORF-Korrespondentin Schaidreiter über das Gipfelergebnis
Die EU-Staaten sprechen nach dem Gipfel von einem Erfolg. ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter erläutert, ob es angesichts der ungelösten Fragen für Erfolgsmeldungen nicht zu verfrüht ist.
Eine verpflichtende Quote scheint nun jedenfalls vom Tisch. Wie die Verteilung dann funktionieren soll, bleibt nach wie vor offen. Auf dem EU-Gipfel gelang es erneut nur, in allgemeiner Form „Solidarität“ einzufordern, was vor allem am Widerstand der osteuropäischen Staaten gegen Quoten liegt.
Italien: „Küstenwache wird weiter Migranten retten“
Die italienische Küstenwache wird nach wie vor ihrer Pflicht nachkommen, Menschen in Seenot zu retten. Dies versicherte der italienische Verkehrsminister Danilo Toninelli, der für die Küstenwache und für Italiens Häfen verantwortlich ist. Die Küstenwache habe in den letzten vier Jahren 600.000 Menschen im Mittelmeer gerettet.
„Die italienische Küstenwache wird immer auf Hilferufe reagieren, doch das Umfeld hat sich geändert. Libyen ist jetzt in der Lage, mit seiner Küstenwache für Rettungseinsätze in seinen Gewässern aufzukommen“, erklärte Toninelli im Interview mit „Huffington Post“ (Online-Ausgabe). Italien will Libyens Küstenwache zwölf Schiffe zur Verfügung stellen. Außerdem soll das Personal ausgebildet werden, das bei Flüchtlingsrettungen eingesetzt werden soll.
Über den Sommer will Italien seine Häfen für Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge über das Mittelmeer bringen, schließen. „Die Häfen werden den ganzen Sommer über geschlossen“, sagte Innenminister Matteo Salvini am Freitag einem italienischen Radiosender. „Die NGOs werden Italien nur auf einer Postkarte sehen.“ Außerdem werde es verboten sein, diese Organisationen und deren Schiffe mit Treibstoff zu versorgen.
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