Ein Land, kurz vor der Überdosis
Elvis Presley kam aus ärmsten Verhältnissen und wurde als junger Mann zum Weltstar. Solange er erfolgreich war, verkörperte er wie kein Zweiter den viel gepriesenen Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär. „The King - mit Elvis durch Amerika“ offenbart die Kehrseite dieses verführerischen Irrsinns und zeigt ein Land, das offenbar kurz vor der Überdosis steht.
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Wäre Elvis’ Leben eine Metapher für die USA, erklärt der Rapper Immortal Technique, dann stehe das Land kurz vor der Überdosis. Er sitzt mit einer Gruppe von Freunden beim Mittagessen in einem Diner. Ein Fernseher im Hintergrund zeigt Donald Trump bei einer seiner Wahlkampfreden.
Die bevorstehende Überdosis bezieht sich klar auf den Neopolitiker: In einem Land, in dem man sich eine politische Kandidatur einfach kaufen könne, sei die Demokratie so gut wie tot, meint der Rapper. Eugene Jarecki filmte die Interviews für seine Dokumentation im Jahr 2016, einige Wochen vor der Präsidentschaftswahl.
Mit dem Rolls-Royce Richtung Abgrund
Eugene Jareckis Film will keine Elvis-Doku im klassischen Sinn sein. Mit der Liebesbeziehung des Weltstars zu einer Minderjährigen hält sich der Filmemacher gar nicht lange auf, genauso wenig mit dessen schwierigem Familienleben. Dennoch erfährt man genug über den Ausnahmemusiker und die Jahrzehnte, in denen er buchstäblich groß geworden ist.
Im Mittelpunkt des Films steht Presleys 1963er Rolls-Royce, ein gar unamerikanisches Auto, mit dem sich Jarecki auf eine Art Roadtrip durch die USA und durch das Leben des Sängers macht: Er besucht seinen Geburtsort in Mississippi, streift seine ersten musikalischen Erfolge in Memphis, Tennessee, verfolgt seine Karriere nach Nashville und New York, zeigt seine Zeit als Soldat in Deutschland, um schließlich nach Hollywood zu kommen, wo Elvis’ tragisches Ende seinen Lauf nahm.
Vom amerikanischen Alptraum verschlungen
Überall dort, wo der silbergraue Rolls-Royce aufschlägt, stellt Jarecki die Geschichte dieses armen, weißen Buben, der mit einem „schwarzen“ Sound berühmt wurde, der Geschichte der USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber. Countrymusiker und Gospelsängerinnen setzen sich auf die großzügige Rückbank, genauso wie Rapper, Politikwissenschaftler, Schauspieler und Menschen, die Jarecki am Straßenrand trifft. Alle sind fasziniert vom Luxusgefährt des „King“, der über die Route 66 gleitet und schließlich eine Panne hat. Für die Zuseherinnen und Zuseher ist das tatsächlich spannend.
Der Film interpretiert Elvis’ Karriere auf eine neue, aber durchwegs nachvollziehbare Weise: Der „King“ als profitorientierter Künstler, der schließlich vom amerikanischen Traum, der ihn reich und berühmt gemacht hatte, verschlungen wird. Obwohl der Regisseur sehr viele Haken schlägt, gehen die Zuseherinnen und Zuseher in dieser Assoziationsansammlung nicht verloren: von der Rassentrennung zur Illusion sozialer Mobilität zur Problematik kultureller Aneignung zur Bankenderegulierung. Man kann und will dem Film durch all das folgen - so spannend sind die Fragen, die sich 2016 stellten und beinahe prophetisch beantwortet wurden.
Mehr Theater als Dokumentation
Jarecki ist dafür bekannt, in seinen Dokumentationen politische Fragestellungen mit gesellschaftlichen Problemen zu verknüpfen, wie in seinem Film „Why we fight“ über den militärisch-industriellen Komplex der USA, jenen über den Kampf gegen Drogen oder in seinen Porträts der US-Politgrößen Henry Kissinger und Ronald Reagan. In „The King“ ist das ganz ähnlich, aber Jarecki nutzt die Biografie des populären Entertainers, um das Publikum langsam und oft unerwartet an die großen Probleme der amerikanischen Gesellschaft heranzuführen.
Auch bei der Dramaturgie gelingt dem Regisseur ein interessanter Spagat: Die Zuseherinnen und Zuseher wissen, dass Jarecki ebenfalls im Rolls-Royce sitzt, dass er die Fragen stellt und die Geschichte steuert. Er zeigt, wie der Oldtimer mit Kamera- und Lichtapparaturen aufmunitioniert wird. Es handelt sich also eindeutig um „Theater“, in dem unter anderem Alec Baldwin auftritt, der Elvis verehrt - trotz einer gehörigen Portion Skepsis. Aber der transparente Umgang mit diesen Stilmitteln verstärkt die authentische Wirkung der Elvis-Anekdoten, die sich lose aneinander reihen und die der soziopolitischen Assoziationen, die sich daran knüpfen.

Polyfilm
Mit Elvis’ Rolls-Royce auf Elvis’ Spuren
Elvis hat das Gebäude verlassen
Anders als in vielen anderen Dokumentationen wird Elvis hier auch zur Verantwortung gezogen. Er wird nicht als einsames Opfer der Drogensucht, eines gierigen Managers oder der Musikindustrie gezeigt. All das spielt natürlich eine Rolle. Aber Ethan Hawke, offensichtlich ein großer Verehrer der frühen Elvis-Platten, bringt es in der Doku auf den Punkt: Elvis habe sich zu jedem Zeitpunkt in seiner Karriere für das Geld entschieden.
Seine Priorität lag eindeutig auf dem Finanziellen und nicht auf seiner künstlerischen Selbstverwirklichung. „Wohin hat ihn das gebracht? Mit 42 tot auf eine Toilette“, so Hawke. Diesen Glauben ans Geld teilte Elvis nicht nur mit seiner Generation, er teilt ihn mit dem ganzen Land, so das Resümee Jareckis. Elvis hat das Gebäude längst verlassen, aber seine Marke druckt weiter Scheine.
Mit der Präsidentschaft Trumps sei die Nation in der letzten Lebensphase des „King“ angekommen: übergewichtig, apathisch, süchtig und stark gefährdet, alle sinnstiftenden Werte der Nation über Bord zu werfen. Doch es bleibt Hoffnung. Jarecki wirft einen kritischen Blick auf die USA, ein endgültiges Urteil gibt es jedoch nicht.
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