Ein Erntearbeiter berichtet
Fast zwei Stunden lang erzählt der Ukrainer Juri über seine Arbeit als Erntehelfer. Eigentlich heißt er anders - aber er möchte anonym bleiben, weil er nun plant, gemeinsam mit der Gewerkschaft gegen seinen Arbeitgeber vorzugehen. Hier ein kleiner Auszug des Gesprächs mit ORF.at, bei dem auch eine Aktivistin, die mit der Gewerkschaft zusammenarbeitet, und eine Übersetzerin anwesend waren.
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Juri arbeitet bei einem österreichischen Landwirt, der verschiedene Gemüse- und Obstsorten anbaut. Erntehelfer werden dort für das Jäten von Unkraut, das Ernten und Verpacken der Ware und für ähnliche Arbeiten eingesetzt. Die Arbeit auf dem Feld ist hart, vor allem bei sengender Hitze. Aber das ist es nicht, was Juri und seine Kollegen stört.
ORF.at: Sie sind unzufrieden mit Ihrer Arbeit. Was ist los?
Juri: Wir machen Überstunden - bekommen dafür aber keine Aufzahlungen. Laut Gesetz sollten wir nur 40 Euro für eine Wohnung bezahlen. Pro Monat werden uns aber 200 Euro abgezogen. Wir müssen auch alles, was wir für die Arbeit brauchen, selbst kaufen - um unser eigenes Geld. Das wird dann am Ende vom Lohn abgezogen.
ORF.at: Wie viele Stunden arbeiten Sie tatsächlich in der Woche?
Juri: Um die 80 Stunden
ORF.at: In sechs Tagen?
Juri: Ja, in sechs Tagen.
ORF.at: Das sind pro Tag gut 13 Stunden?
Juri: Manchmal sind es nur elf, dann zwölf, manchmal auch 14 Stunden. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die arbeiten mitunter noch länger. Letzte Woche haben wir auch noch den Sonntag gearbeitet - also sieben Tage.
ORF.at: Diese Überstunden sind angeordnet?
Juri: Ja, natürlich. Freiwillig mache ich das nicht.
ORF.at: Haben Sie sich schon einmal ausgerechnet, was Sie eigentlich verdienen müssten für so viele Stunden Arbeit?
Juri: Ungefähr 2.600 Euro ohne die Abzüge für die Wohnung und das Arbeitsgerät.
ORF.at: Und wie viel bekommen Sie im Monat tatsächlich ausbezahlt?
Juri: Das ist unterschiedlich. Meist zwischen 1.700 und 1.800 Euro, aber einen großen Anteil davon schwarz - also nicht offiziell. Wenn man im Akkord arbeitet und nicht schnell ist - dann wird das Geld weniger.
ORF.at: Auf dem Lohnzettel, von dem Sie mir hier eine Kopie zeigen, stehen 1.095 Euro.
Juri: Ja, in Wahrheit waren es in diesem Monat 1.680 Euro. Dann haben sie die 200 Euro für die Wohnung abgezogen. Und dann noch Geld für Etiketten und Gummiringerl. Mit den Etiketten beschriften wir die Erntekisten. Mit den Gummiringerl werden die Jungzwiebel zu Büscheln gebunden.

ORF.at/Lukas Krummholz
Juri wird nicht bei der Gurkerlernte eingesetzt. Aber: Der harte Boden, die sengende Sonne, das kennt auch er.
ORF.at: Wie sind Sie untergebracht?
Juri: Es gibt eine Gemeinschaftsküche. Und die Zimmer zum Übernachten sind zehn, zwölf Quadratmeter groß, jeweils für drei oder vier Bewohner.
ORF.at: Und die Miete beträgt 200 Euro?
Juri: Ja, die Miete beträgt 200 Euro pro Person, also 600 bis 800 Euro pro Zimmer.
ORF.at: Glauben Sie, dass der monatlich offiziell bezahlte Lohn bewusst möglichst gering gehalten wird, um so Steuern und Abgaben zu sparen?
Juri: Ja. Wir bekommen alle mehr, als eigentlich auf den Lohnzetteln steht wie auf diesem hier.
ORF.at: Sind alle der Meinung, schlecht behandelt zu werden, so wie Sie?
Juri: Wenn alles okay ist, beschwert sich niemand. Aber wenn am Ende für die Akkordarbeit nicht bezahlt wird, was vorher beschlossen wurde, dann schon. Wenn es an einem Tag heißt, du bekommst fünf Euro, und dann sind es am nächsten Tag plötzlich vier, dann sind sie unzufrieden.
ORF.at: Der Lohn ändert sich also mitunter von Tag zu Tag willkürlich?
Juri: Ja, genau. Wenn zum Beispiel die Jungzwiebel-Ernte schlecht ist ... Hast du drei Wochen lang gute Jungzwiebel, verdienst du mehr, dann plötzlich nicht mehr. Die Leute sind mittlerweile so weit, dass sie sagen, sie wollen diese Arbeit nicht mehr machen. Es ist ja oft auch so, dass der Chef zuerst einmal schaut, wie viel gerade geerntet wird und erst danach den Lohn festlegt, damit er ja nicht zu viel bezahlt.
ORF.at: Aber die Stunden müssen ja dennoch nach dem kollektivvertraglichen Mindestlohn abgegolten werden.
Erntearbeiter: Wir arbeiten rund 300 Stunden pro Monat. Das hier ist mein Lohnzettel. (Lohnzettel mit 1.095 Euro zu sehen.) Die Überstunden werden nicht adäquat abgegolten. Auch wenn ich eigentlich letzten Monat 1.680 Euro verdient habe und nicht 1.095, wie hier zu lesen ist.
Begleitet wird Juri neben einer Übersetzerin auch von Sonia Melo, Aktivistin der Sezonieri-Kampagne, die Erntehelfer auf ihre Rechte aufmerksam macht und bei der Durchsetzung derselben hilft. Juri spielt eine Tonaufnahme vor, in der man seinen Angaben zufolge den Bauern hört, wie er die Art der Abrechnung erklärt. Melo hilft ihm bei der Zusammenfassung dessen, was sein Arbeitgeber sagt.
Demnach endet das Dienstverhältnis mit Ende September. Der Bauer sagt sinngemäß: Ihr seid aber noch vier Wochen danach angemeldet. Anstatt dass er Überstunden bezahlt, verlängert er die Arbeitszeit nach hinten, obwohl da gar nicht mehr gearbeitet wird. Frage: Also bezahlt er die Überstunden nur 1:1? Antwort von Melo: Er bezahlt sie 1:1, indem er die Arbeitszeit nach hinten verlängert - aber ohne die Zuschläge. Auch ORF.at hat das Audio gehört.
ORF.at: War es eine Entscheidung von Ihnen alleine, sich zu wehren, oder haben Sie sich da mit anderen zusammengeschlossen?
Juri: Die anderen haben Angst.
ORF.at: Wovor haben sie Angst?
Juri: Sie haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren. In der Ukraine ist die Situation schlecht - sie haben Angst, nichts anderes zu finden.
ORF.at: Sie kommen seit vier Jahren als Saisonarbeiter nach Österreich, bis zu sechs Monate lang. Aber was machen Sie in den Monaten des Jahres, wenn Sie in der Ukraine sind?
Juri: Ich baue ein Haus.
ORF.at: Haben Sie Frau und Kinder?
Juri: Nein, aber eine Freundin. Die Familie ist in Planung.
ORF.at: Welche Ausbildung haben Sie in der Ukraine gemacht?
Juri: Ich habe einen Magister in einem naturwissenschaftlichen Fach.
ORF.at: Verdient man in der Ukraine in Ihrem Fach schlechter als hier als Erntehelfer?
Juri: Zu Hause würde ich in meinem eigentlichen Beruf 300 Euro im Monat verdienen. Mit 300 Euro kann man in der Ukraine leben, aber eben kein neues Auto kaufen oder ein Haus bauen. Dafür reicht das Geld nie, egal, was man macht. Dabei sind 300 Euro schon ein guter Lohn. Es gibt Leute, die verdienen nur 100. Eine durchschnittliche Miete beträgt aber 150 Euro pro Monat. Deshalb arbeiten so viele in anderen Ländern.
ORF.at: Wie ist der Plan für die Zukunft?
Juri: Mein Haus ist fast fertig. Ich werde also dann in der Ukraine in meinem eigentlichen Beruf arbeiten. Oder ich suche mir etwas in Deutschland, aber es muss zur Ausbildung passen.
ORF.at: Aber es ist für Sie definitiv die letzte Saison als Erntehelfer in Österreich?
Juri: Ja. Es wollen übrigens auch immer weniger Junge kommen.
ORF.at: Die Jungen wollen nicht mehr kommen, weil sie hören, dass man hier betrogen wird?
Juri: Ja. Sie sehen, dass es von Jahr zu Jahr immer schlimmer wird. Es gibt sogar Firmen, die Strafregelungen haben. Wenn du etwas falsch machst, wird dir Geld vom Gehalt abgezogen. Das ist bei uns nicht so, zumindest noch nicht. Letztes Jahr hat ein Bauer auf einem Feld nach dem Ernten noch einen Kohlrabi gefunden. Er hat gesagt: Jedem, der auf diesem Feld arbeitet, werden 20 Euro abgezogen. Es gibt mehrere Bauern, die das so machen. Unter anderem deshalb gibt es bei vielen Bauern ein Kommen und Gehen. Da gibt es kaum jemanden, der immer wieder kommt.
ORF.at: Zum Abschluss. Wer ist schuld an Ihrer Situation? Die Landwirte sagen, sie können nichts dafür, sie müssen billig produzieren, weil der Handel das so fordert. Und der Handel verweist auf die Konsumenten, die oft nur das Billigste kaufen wollen. Also: Wer ist schuld?
Erntearbeiter: In einer Kiste sind 15 Einheiten Gemüse. Der Bauer will dafür 45 Cent pro Einheit haben. Mir zahlt er bei der Akkordarbeit 45 Cent für die ganze Kiste. Der Bauer hat ein gutes Einkommen. Der ist jetzt reich! Wenn ich die Kiste hernehme: Ein Bund Jungzwiebeln für den Benzin, einer für die Mitarbeiter. Und die anderen Bünde? Die gehen in die Tasche des Bauern.
Die Supermärkte machen dann später ihre ganz eigenen Preise. Wir sind dazu angehalten, so schnell wie möglich zu arbeiten, nicht so gut wie möglich. Es ist oft vorgekommen, dass die Supermärkte eine Lieferung zurückschicken, weil die Qualität nicht gepasst hat. Aber bei uns heißt es immer nur: Schnell, schnell! Man kann schnell oder gut arbeiten, beides gleichzeitig geht nicht.
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Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at