Erdogan zementiert sich ein
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die von Manipulationsvorwürfen der Opposition überschattete Präsidentenwahl in der Türkei nach Angaben der Wahlkommission in der ersten Runde gewonnen. Er wird damit künftig Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet.
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Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Das von Erdogans AKP angeführte Parteienbündnis errang der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge bei der Parlamentswahl am Sonntag außerdem die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung. Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Die Opposition hatte für den Fall eines Erdogan-Sieges vor einer „Einmannherrschaft“ gewarnt.

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Erdogans Anhänger feiern den alten und neuen mächtigsten Mann in der Türkei
Wahlkommission: Absolute Mehrheit
„Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Herr Recep Tayyip Erdogan die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten hat“, sagte Wahlkommissionschef Sadi Güven nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in der Nacht auf Montag in Ankara. Rund 97,7 Prozent der Stimmen seien in das System der Kommission eingegeben worden, so die Wahlkommission in der Nacht. „Die Zahl der Stimmen, die noch nicht vom System erfasst wurden, werden das Ergebnis nicht beeinflussen.“

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Erdogans Ehefrau Emime Erdogan und Erdogan bedanken sich bei den Wählern und Wählerinnen
Fast 31 Prozent für Ince
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl komme Erdogan auf 52,55 Prozent. Der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, landete laut den Angaben mit 30,67 Prozent auf Platz zwei. Auch die Plattform für faire Wahlen aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan nach Auszählung von mehr als 96 Prozent der Stimmen bei 52,56 Prozent. Ince kam dort auf 31,34 Prozent.

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Die AKP-Zentrale in Ankara
Der inhaftierte Kandidat der prokurdischen HDP, Selahattin Demirtas, und Meral Aksener von der nationalkonservativen Iyi-Partei lagen mit gut acht beziehungsweise gut sieben Prozent in etwa gleichauf. Zwei weitere Kandidaten spielten keine Rolle. Das von der AKP geführte Parteienbündnis kommt nach Anadolu-Angaben auf deutlich mehr als 340 der 600 Sitze. Anadolu zufolge lag die Wahlbeteiligung in der Türkei bei gut 88 Prozent. In der Hoffnung auf politische Stabilität deckten sich Anleger am Montag mit türkischen Aktien und der Lira ein.
Opposition erhebt Manipulationsvorwürfe
Wahlbeobachter meldeten Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag. Auch die Opposition hatte bei der Stimmenauszählung Manipulationsvorwürfe erhoben. Vereinzelt kam es zu Protesten von Anhängern der Opposition. Erdogan sprach dagegen von einem „Fest der Demokratie“. Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen, mehr als drei Millionen davon leben im Ausland.
Pfeifer: „Türkei bleibt Land im Ausnahmezustand“
Das Schicksal der Türkei liegt nach den Wahlen nun ganz in der Hand von Erdogan, analysiert ORF-Auslandschef Andreas Pfeifer die Wahl.
Bei der Wahl in Österreich und Deutschland erzielte Erdogan ein deutlich besseres Ergebnis als zu Hause. In Österreich lag die Zustimmung für Erdogan nach Zählung von mehr als 80 Prozent der Stimmen bei 72 Prozent, wie es hieß. Nach Auszählung von fast 80 Prozent der Stimmen in Deutschland kam er auf 65,7 Prozent der Stimmen.
Erdogan: Sieger ist das Volk
Erdogan sagte in seiner Siegesrede in der Nacht auf Montag in Ankara, es habe sich um Wahlen gehandelt, „die das künftige halbe Jahrhundert, die das Jahrhundert unseres Landes prägen werden“. Der bisherige und künftige Präsident sagte auf dem Balkon des AKP-Hauptquartiers vor jubelnden Anhängern: „Meine Brüder, die Sieger dieser Wahl sind die Demokratie, der Wille des Volkes und das Volk höchstpersönlich. Der Sieger dieser Wahl ist jeder einzelne unserer 81 Millionen Bürger.“
Wahlsieg für Erdogan
Erdogan hat bei der Präsidentschaftswahl gewonnen. Auch bei der Parlamentswahl erhält sein Parteienbündnis die absolute Mehrheit.
Erdogan selber hatte sich schon zum Sieger der Wahl erklärt, als die Auszählung der Stimmen noch lief. „Die inoffiziellen Ergebnisse stehen fest“, sagte er am Sonntagabend in Istanbul. „Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben.“ Bei der Parlamentswahl hätten die Wähler außerdem dem von seiner AKP geführten Parteienbündnis die absolute Mehrheit im Parlament verschafft.
Erdogans wichtigstes Projekt
Die Einführung des Präsidialsystems ist Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen und wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Das hatte Erdogan dann im Wahlkampf für den Fall seiner Wiederwahl auch zugesagt.
Wahlbeobachter meldeten besonders aus dem Südosten der Türkei Unregelmäßigkeiten. Bei Auseinandersetzungen während der Wahlen wurde ein Oppositionspolitiker getötet. Dabei handle es sich um den Bezirksvorsteher der Iyi-Partei in der osttürkischen Provinz Erzurum, wie die Oppositionspartei mitteilte. Die Nachrichtenagentur DHA sprach von einer weiteren getöteten Person. Es habe sich um eine Fehde zwischen zwei Familien gehandelt.
Gratulation von Putin, Orban und Rouhani
Kreml-Chef Wladimir Putin und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gratulierten Erdogan zum Wahlsieg. Putin habe die „große politische Autorität“ Erdogans hervorgehoben, teilte der Kreml am Montag mit. „Die Stabilität der Türkei ist für ganz Europa eine gute Nachricht“, hieß es laut einem Orban-Sprecher im Gratulationsschreiben des Premiers. Europa stehe „vor zahllosen schweren sicherheitspolitischen Herausforderungen, zu deren Bewältigung eine berechenbare und effiziente Zusammenarbeit mit der Türkei unumgänglich ist“, so Orban.
Der iranische Präsident Hassan Rouhani hofft nach dem Wahlsieg Erdogans auf eine weitere Festigung der „herzlichen und brüderlichen Beziehungen“ der beiden Nachbarländer. Ankara und Teheran sollten sich auch weiterhin verstärkt für Sicherheit und Frieden in der Region einsetzen, hieß es in einem Glückwunschschreiben Rouhanis am Montag.
Wie EU-reif ist die Türkei?
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte Erdogan auf, sein Land zu demokratischen Standards zurückzuführen. Durch die nun in Kraft tretenden Verfassungsänderungen sei Erdogan „ein allmächtiger Mann“, sagte Asselborn am Montag in Luxemburg. „Er hat alles in der Hand: Er kann den Ausnahmezustand beenden, er kann die Menschen aus dem Gefängnis lassen, er kann den Rechtsstaat wieder einführen.“ Wenn das erfolge, könne der EU-Beitrittskandidat Türkei auch „mit Europa wieder auf eine andere Schiene kommen“, sagte Asselborn weiter.
Die Wahlen seien angesichts des beschränkten Zugangs der Opposition zu Medien und über 150 Journalisten im Gefängnis „weder frei noch fair“ gewesen, kritisierte der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, im Kurznachrichtendienst Twitter. „Diese Türkei kann kein EU-Mitgliedsstaat werden.“
Kneissl: Strategische Partnerschaft
FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl bekräftigte beim Treffen der EU-Außenminister die Haltung ihrer Regierung, dass die Türkei kein Beitrittskandidat sei. Wien strebe aber weiter „eine strategische Partnerschaft mit der Türkei an“. Die EU verhandelt seit 2005 mit Ankara über einen Beitritt. Seit Ende 2016 liegen die Gespräche aber de facto auf Eis. Grund ist das radikale Vorgehen Erdogans gegen seine Kritiker und Gegner nach dem versuchten Militärputsch von Mitte 2016.
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