15 Prozent plus in Österreich seit 1990
Zwischen kräftigem Bevölkerungswachstum und einem „alarmierenden demografischen Schwund“ liegen in Europa nur einige hundert Kilometer. Zu diesem Ergebnis kommt das Demografieinstitut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Wiener Wittgenstein Centre. Während die Bevölkerung in Westeuropa durch Migration deutlich wächst, sinken die Einwohnerzahlen in Osteuropa dramatisch.
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Für die neue Ausgabe des „European Demographic Data Sheet“ wurde die Bevölkerungsentwicklung in Europa zwischen 1990 und 2017 analysiert. Diese wird durch zwei Faktoren bestimmt - einerseits die aus Geburten und Todesfällen resultierende natürliche Bevölkerungsentwicklung und andererseits die aus Ab- und Zuwanderung zusammengesetzte Migration.
„Migrationsbewegungen sind inzwischen zur treibenden Kraft hinter Wachstum und Rückgang der Bevölkerung Europas geworden“, fasste ÖAW-Demograf Tomas Sobotka in einer Aussendung die Ergebnisse zusammen. Während sich die Fertilitätsrate Osteuropas in jüngster Vergangenheit nicht mehr wesentlich von jener von westeuropäischen Ländern unterscheidet, seien es die Wanderbewegungen, die den Kontinent in zwei Teile teilen.
Ausnahme Irland
Die beiden Pole sind dabei Irland mit einem (vor allem durch natürlichen Bevölkerungswandel bedingten) Bevölkerungswachstum von 36 Prozent und Bosnien-Herzegowina mit einem (migrationsverursachten) Rückgang von 22 Prozent.
Die weiteren Länder mit dem höchsten Bevölkerungsanstieg sind die Schweiz mit einem Plus von 26 Prozent (vor allem migrationsbedingt), Norwegen mit plus 24 Prozent (ungefähr zu gleichen Teilen migrations- und fertilitätsbedingt), Spanien mit plus 20 Prozent (migrationsbedingt), Frankreich mit plus 18 Prozent (etwas stärker natürlich bedingt) und Schweden mit plus 17 Prozent (stärker migrationsbedingt).

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ÖAW
Österreich wächst fast nur durch Zuwanderung
Österreich liegt mit einem Plus von 15 Prozent im westeuropäischen Mittelfeld. Der Bevölkerungsanstieg ist hier fast ausschließlich durch Migration bedingt (13 Prozent). Etwas wider Erwarten aus der Reihe schlägt Deutschland: Einerseits verzeichnet es als einziges Land Westeuropas einen deutlicheren natürlichen Bevölkerungsrückgang (minus vier Prozent), andererseits fällt der migrationsbedingte Zuwachs (plus neun Prozent) geringer als in anderen westeuropäischen Staaten aus. Insgesamt ergibt sich dadurch nur ein Bevölkerungsanstieg von insgesamt vier Prozent.
Demgegenüber verzeichneten Bulgarien, Lettland, Litauen, Moldawien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo seit 1990 Rückgänge von über 20 Prozent der Bevölkerung. Das sind laut ÖAW noch nie da gewesene Rückgänge in einer Friedenszeit. Zuwächse wurden demgegenüber nur in Slowenien, der Slowakei (je plus drei Prozent) und Tschechien (plus zwei Prozent) registriert. Die Bevölkerungsverluste in Osteuropa sind fast überall durch Migration bedingt.
„Treibende Kraft hinter Wachstum“
Wanderungsbedingte Anstiege gab es nur in Russland (neun Prozent), Ungarn (vier Prozent) Tschechien (drei Prozent), Serbien (drei Prozent) und Slowenien (zwei Prozent) - diese wurden allerdings in Russland, Ungarn und Serbien durch Rückgänge bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung mehr als wettgemacht.
Eine deutliche Veränderung zeigt sich laut ÖAW durch die Finanzkrise. Sie führte dazu, dass sich die Geburtenraten europaweit anglichen: In West- und Nordeuropa gingen sie zurück, in Osteuropa und auch in Deutschland und Österreich stiegen sie wieder. In den USA ging die Fertilitätsrate im gleichen Zeitraum weiter zurück, sodass sich die traditionelle Lücke verringerte.
Der „Brexit“-Schock
„Trotz wiederkehrender Ängste über einen drohenden Bevölkerungseinbruch in Europa wächst diese de facto“, heißt es daher auch im ÖAW-Bericht. Die EU wuchs seit Schaffung der Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 ständig. Von 1960 bis 2016 wuchs die Bevölkerung um 100 Millionen, erreichte 2008 die 500-Millionen-Marke und soll heuer auf 513 steigen. Der größte Anstieg ergab sich freilich durch die Aufnahme neuer Mitglieder. Von sechs Mitgliedsländern und 172 Millionen im Jahr 1972 habe sich die EU-Bevölkerung bis 2013 (28 Mitgliedsländer) verdreifacht.
2015 war das natürliche Bevölkerungswachstum (mehr Geburten als Todesfälle, Anm.) erstmals rückläufig. Doch der ÖAW-Bericht rechnet damit, dass die EU aufgrund von Zuwanderung weiter wachsen wird. Einen Bruch wird freilich der „Brexit“ mit sich bringen: Mit März 2019 - bleibt es bei den aktuellen Plänen - wird die EU-Bevölkerung schlagartig um 13 Prozent von 515 auf 448 Millionen sinken. Und die 500-Millionen-Marke bleibt dann bis weit über das Jahr 2050 hinaus außer Reichweite.
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