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Hunderte Führerscheine ausgestellt

Als letztes Land der Welt hat das Königreich Saudi-Arabien Frauen das Autofahren erlaubt. Am 24. Juni endete das Verbot offiziell. Für das erzkonservative Land fiel damit eines der größten Symbole für die Unterdrückung der Frau - doch die Freude darüber ist angesichts aktueller Entwicklungen nicht ungetrübt.

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Das Ende des Verbots war bereits im September 2017 überraschend angekündigt worden. Vor rund drei Wochen hatte das Königreich damit begonnen, die ersten Führerscheine für Frauen auszugeben. Außerdem hatten viele Frauen, die längst im Ausland Autos gelenkt hatten, ihre ausländischen Führerscheine gegen saudische Papiere ausgetauscht.

Frau am Steuer in Saudi Arabien

APA/AFP/Fayez Nureldine

Zahlreiche Frauen nutzten die erste Gelegenheit, sich hinter das Steuer setzen zu dürfen

„Es ist ein historischer Moment für jede saudi-arabische Frau“, sagte die Fernsehmoderatorin Sabika al-Dosari und setzte sich wenige Minuten nach dem Ende des Fahrverbots in der östlichen Stadt al-Chobar ans Steuer. Diesem Beispiel folgten zahlreiche weitere Frauen.

Das Beratungsunternehmen PriceWaterhouseCoopers (PwC) schätzt, dass bis 2020 rund drei Millionen Frauen einen Führerschein erhalten könnten. Neben Autos dürfen sie künftig auch Motorräder, Lieferwagen und Lkws lenken.

Keine Erlaubnis von Vormund benötigt

Mit ihrem neuen Recht soll für zahlreiche Frauen die Abhängigkeit von einem männlichen Chauffeur enden. Barrieren für fahrwillige Frauen soll es übrigens keine geben: Sie brauchen für das Absolvieren der Führerscheinprüfung laut dem Gesetz - im Gegensatz zu zahlreichen anderen Lebensbereichen - keine Erlaubnis eines männlichen Vormundes wie Ehemann, Vater und Sohn. In Umfragen gaben zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung an, bald den Führerschein machen zu wollen.

Frau übt an einem Simulator das Autofahren

AP/Nariman El-Mofty

Frauen übten in den vergangenen Wochen im Simulator und auf speziell abgesteckten Übungsstrecken

Bisher hatte sich die konservative islamische Geistlichkeit beharrlich gegen jede Lockerung des Fahrverbots für Frauen ausgesprochen. Als Argumente wurden angeführt, dass Männer nicht wüssten, wie sie mit Fahrerinnen umgehen sollten, und dass autofahrende Frauen zu Promiskuität und dem Zerfall der Familie führen würden.

(Fahr-)Aktivistinnen verhaftet

Die Öffnung des Straßenverkehrs für Frauen ist eine der von Kronprinzen Mohammed bin Salman angestoßenen Reformen für das Land. Für seine „Vision 2030“ und die damit einhergehenden Öffnungen bekam der Thronfolger zuletzt viel Lob - vor allem auch aus dem Ausland. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass Salman unter anderem mit Verhaftungswellen für strikte Kontrolle sorgt.

So wird auch das Ende des Fahrverbots von der Verhaftung mehrerer bekannter Frauenrechts- und Autofahraktivistinnen überschattet. Sie lassen unter anderem die Zweifel an Salmans Reformwillen wachsen. Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass der 32-jährige Thronfolger klarmachen will, dass Wandel im Königreich von ihm allein ausgeht - nicht von Aktivistinnen und Aktivisten.

Wirtschaftliches Kalkül

Dazu kommt, dass hinter der Entscheidung wohl weniger Überlegungen zur Gleichstellungen als wirtschaftliches Kalkül stehen dürften. Denn Saudi-Arabien steht ökonomisch seit geraumer Zeit unter Druck. Seit dem Verfall des Ölpreises versucht sich das Land aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Öl zu lösen und sich auf die Zeit vorzubereiten, wenn die Quellen versiegen. Dazu gehört auch, die an Ausländer und Ausländerinnen ausgelagerte Arbeit wieder von saudischen Männern und Frauen machen zu lassen.

Im Zuge dieses Reformvorhabens sollen auch Frauen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden, denn derzeit liegt die Arbeitslosigkeit unter Frauen bei über 30 Prozent. Dazu soll auch die Fahrerlaubnis beitragen. „Die Menschen verstehen, dass eine Einkommensquelle - die immer der Vater beziehungsweise der Ehemann war - nicht mehr genug sein wird.“, so die Managerin Ghaida al-Mutairi von der saudischen Arbeitsvermittlung Glowork zur dpa. Künftig würden Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine schlichte Notwendigkeit sein, kein Luxus.

Investoren im Blick

Doch es geht auch um die internationale Reputation: Um für die Zeit nach dem Öl gewappnet zu sein, will das Land in anderen Branchen - allen voran im technologischen Bereich - Fuß fassen, und dazu braucht es internationale Investoren. Doch um diese anzulocken, braucht es eine globale und weltoffene Gesellschaft. Derzeit ist das keineswegs der Fall.

Deswegen hat es zuletzt auch in anderen sozialen und frauenrechtlichen Bereichen Lockerungen gegeben. So steht sexuelle Belästigung in dem Königreich künftig unter Strafe - ein Schritt, der wohl auch in Verbindung mit dem Fahrverbot steht. Zudem beendete der Kronprinz ein Jahrzehnte altes Kinoverbot, erlaubte Konzerte mit einem gemischten Publikum aus Männern und Frauen und schränkte die Befugnisse der gefürchteten Religionspolizei ein.

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