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Politische Diskussion überschattet Freude

Die Debatte über den Jubel der Schweizer Torschützen Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri mit politischen Gesten überschattet die Freude in der Schweiz über den 2:1-Sieg am Freitag gegen Serbien bei der Fußball-WM in Russland. Die albanischstämmigen Fußballer hatten nach ihren Treffern mit den Händen einen Doppeladler geformt, der auf der Flagge Albaniens zu sehen ist.

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Hintergrund sind die tiefen Animositäten zwischen der serbischen und der albanischen Bevölkerung. Xhakas Vater war in den 80er Jahren bei Protesten im Kosovo gegen die Zentralregierung festgenommen worden und drei Jahre in einem serbischen Gefängnis, ehe er in die Schweiz flüchtete.

Xherdan Shaqiri

Reuters/Gonzalo Fuentes

Shaqiri löste mit dem Doppeladler-Symbol eine politische Diskussion aus

„Möglich, dass Xhaka die überfließenden Hormone zugutegehalten werden müssen“, schreibt der „Tagesanzeiger“. „Clever war die Aktion sicher nicht.“ Der Fußballweltverband (FIFA) äußerte sich zunächst nicht zu möglichen Konsequenzen. Politische Gesten auf dem Spielfeld sind prinzipiell aber untersagt. Der Schweizer Fußballverband rechnet jedenfalls nicht mit einer Strafe: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie gesperrt werden“, sagte Verbandsgeneralsekretär Alex Miescher am Samstagabend.

„Keine Message an den Gegner“

Die Schweiz lag bereits früh, nach fünf Minuten, mit 0:1 in Rückstand. Dann kam Xhaka angerauscht und sorgte mit seinem präzisen Weitschuss in der 52. Minute für den Ausgleich. Es folgte der erste zweier Torjubel, die nun Auslöser vieler Diskussionen sind. Xhaka formte mit den Händen einen doppelköpfigen Adler - eine nationalistische Geste, die vor allem von serbischer Seite als Provokation angesehen wird.

Xhaka sorgt fürs 1:1

Xhaka gleicht für Schweiz in der 52. Minute aus. Die Fans jubeln über das 1:1. Xhaka zeigt seine Zunge - und den kontroversen Doppeladler.

Xhaka verteidigte seine Handbewegung nach dem Spiel mit ebenso großer Emotionalität. „Für mich war es ein ganz spezielles Spiel“, sagte der 25-jährige Arsenal-Profi. „Tausende Leute, Familie aus der Schweiz, aus Albanien, aus dem Kosovo haben zugesehen. Dieser Sieg war für meine Familie, die mich immer unterstützt. Der Jubel war keine Message an den Gegner. Das waren Emotionen pur.“ Zu allem Überfluss tat es ihm Kollege Shaqiri bei seinem Tor in der Schlussminute gleich. Auch er jubelte mit einer Doppeladler-Geste - ausgerechnet in einer Partie, die derart politisch aufgeladen war, dass sie als Hochrisikospiel galt.

„Da ist nicht mehr dabei“

Mit Xhaka, Shaqiri, Valon Behrami und Blerim Dzemaili standen am Freitag gleich vier Spieler mit albanischen Wurzeln in der Schweizer Startformation. Sie sind allesamt langjährige Mannschaftsstützen, im Schweizer Kader war das Jubelthema bereits 2014 besprochen worden. Damals hatten die Spieler versichert, zukünftig in der „Nati“ auf den Doppeladler verzichten zu wollen. „Im Klub kann jeder jubeln, wie er will. Aber hier sind wir in der Nationalmannschaft. Hier kommt’s niemals vor, dass einer so jubelt“, wurde Shaqiri vom Schweizer Boulevard-Blatt „Blick“ damals zitiert.

Shaqiri lässt die Muskeln spielen

Shaqiri lässt nach dem Tor 2:1 (90.) die Muskeln spielen und formt seine Hände zum Doppeladler-Symbol. Bei den Schweizer Fans im Stadion überwog die Freude über den Sieg.

„Ich will nicht darüber reden. Im Fußball sind immer Emotionen“, sagte Shaqiri am Freitag über die Geste. Dabei hatte er zuvor seine Hände sprechen lassen und einen „kulturellen Code gesendet, den die serbischen Zuschauer im Stadion und am TV als Provokation empfinden mussten“, wie etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) kommentierte. Besondere politische Sensibilität bewies Shaqiri auch später nicht. „Ihr habt ja gesehen, was ich gemacht habe. Da ist nicht mehr dabei“, sagte der 26-Jährige. Allerdings trägt Shaqiri Fußballschuhe, die die Schweizer Flagge auf dem einen Schuh und die Kosovarische auf dem anderen.

Das könnte also durchaus als kultureller Code verstanden werden, schreibt etwa die BBC. Auch den serbischen Stürmer Aleksandar Mitrovic regt das auf: „Wenn er (Shaqiri, Anm.) das Kosovo so sehr liebt und sich dazu entschließt, mit der Fahne zu protzen, warum weigert er sich dann für ihr Team zu spielen?“, wird Mitrovic zitiert.

Kapitän verteidigt Verhalten

Serbiens Außenminister Ivica Dacic goss laut „Aargauer Zeitung“ („AZ“) bereits vor dem Spiel Öl ins Feuer. „Gegen wen spielen wir? Gegen die Schweiz? Albanien? Oder gegen Pristina?“, soll er provokativ gefragt haben. Es soll eine perfide Spitze in Richtung aller vier albanischstämmiger Schweizer Nationalspieler gewesen sein. Das ärgerte wiederum Dzemaili, der sich im Schweizer „Blick“ öffentlich darüber äußerte, was sich das Team im Vorfeld „anhören“ haben müsse. „Wenn man solche Dinge hört, gehen die Emotionen hoch“, so Dzemaili im „Blick“.

Stephan Lichtsteiner, Kapitän der Schweizer Mannschaft, rechtfertigte das Verhalten seiner Teamkollegen. „Wir müssen ihnen helfen. Sie sind super Typen, haben super Qualität. Ich habe mit vielen gesprochen, mit Vätern von ihnen. Die mir ihre Sicht erklärt haben, was sie alles durchgemacht haben. Es war ein extremer Druck für sie und darum finde ich es okay, dass man ausgiebig feiert,“ sagte Lichtsteiner zu der Schweizer Zeitung.

„Man soll Sport und Politik nicht vermischen“

Nach zwei Spielen in Russland stehen die Schweizer mit vier Punkten in Gruppe E exzellent da. Anstatt sich restlos über einen zwar späten, aber verdienten Erfolg seiner Mannschaft zu freuen, musste Teamchef Vladimir Petkovic die überflüssige Aktion seiner Spieler kommentieren. „Man soll den Sport und die Politik nicht vermischen. Der ganze Verband, das ganze Land vertritt schon seit Jahren die Meinung, dass wir das nicht brauchen.“

Manche Schweizer Politikerinnen und Politiker sowie Medien sehen das aber anders. Sie äußerten sich nach dem Spiel in Sozialen Netzwerken. Natalie Rickli, Abgeordnete der rechtskonservativen SVP, der wählerstärksten Partei der Schweiz, schrieb kurz nach Spielende auf Twitter: „Ich kann mich nicht wirklich freuen. Die beiden Goals sind nicht für die Schweiz gefallen, sondern für den Kosovo.“

Multikulturalität im Nationalteam umstritten

Der Abgeordnete Stefan Müller von der Mitte-rechts-Partei CVP meinte dagegen: „Chilllen, Leute! Es handelt sich um endorphingetränkte Twens, die soeben eine Stunde lang von Nationalisten wie euch ausgepfiffen wurden. Blöd war’s natürlich trotzdem.“

Das Schweizer Nationalteam ist in der Heimat ob ihrer Multikulturalität seit Jahren politisch umstritten. Mit ihrem Jubel lieferten die Spieler, ob beabsichtigt oder nicht, die nächste Steilvorlage zur politischen Vereinnahmung. „Wie auch immer das Urteil ausfällt, eines müsste Xhaka und Shaqiri eigentlich bewusst gewesen sein: Dass sie damit die Diskussionen um Identität, um Herkunft und Heimat wieder neu entflammen“, schrieb die „AZ“ am Samstag.

Trainer: Schiedsrichter „nach Den Haag schicken“

Ebenfalls für Aufruhr sorgten unterdessen am Samstag Äußerungen des serbischen Trainers Mladen Krstajic über den deutschen Schiedsrichter Felix Brych. „Ich würde ihn nach Den Haag schicken, damit man ihm den Prozess macht, so wie man uns den Prozess gemacht hat“, sagte Krstajic nach Angaben des nationalen Fußballverbandes (FSS) am Samstag vor serbischen Journalisten.

In den Sozialen Netzwerken schrieb er weiter: „Augenscheinlich sind leider nur die Serben zu selektiver Gerechtigkeit verurteilt: Früher das verfluchte Haag und heute im Fußball der Videoassistent.“ Das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hatte in den letzten Jahren zahlreiche Serben wegen schwerster Verbrechen während der Kriege beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens (1991 bis 1999) verurteilt.

In Serbien wird von vielen behauptet, das internationale Gericht habe besonders die Serben bestraft, während nur wenige Kroaten, Albaner und Muslime für die Schandtaten in den Bürgerkriegen zur Rechenschaft gezogen worden seien. Der serbische Fußballverband, Spieler und zahlreiche Medien werfen dem deutschen Unparteiischen vor, durch angebliche Fehlentscheidungen das Spiel Serbien - Schweiz auf Kosten Serbiens beeinflusst zu haben.

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