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Gräben quer durch die Union

Vor dem EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik am Sonntag in Brüssel fallen die Erwartungen eher bescheiden aus. In Deutschland sorgt das Thema für schwere innenpolitische Verstimmungen, die Visegrad-Staaten boykottieren das Treffen, Italiens neue rechtspopulistische Regierung will keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen.

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Ähnlich wie zuletzt der neue italienische Innenminister Matteo Salvini warnte am Samstag der Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani, mit drastischen Worten vor einer Belastungsprobe für die Union. Der Umgang mit der „Zuwanderungsfrage“ dürfe nicht zur Zerstörung der EU führen, sagte er gegenüber Zeitungen der deutschen Funke Mediengruppe (Samstag-Ausgaben). „Handelt jeder Mitgliedstaat nur nach eigenen Interessen, wird die Gemeinschaft auseinanderbrechen.“

„Schielen auf Regionalwahl“

Der Italiener sprach dabei auch den Streit zwischen den Koalitionspartnern CDU und CSU in Deutschland an, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) derzeit unter Druck bringt. Migration sei kein rein deutsches Problem, sagte Tajani. „Wir müssen eine europäische Lösung finden, ohne auf die nächsten Regionalwahlen zu schielen.“ Der Streit in Deutschland schwelt, seit Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit Alleingängen in der Asylpolitik droht.

Seehofer legte am Samstag nach und richtete eine offene Kampfansage an Merkel. Er werde sich auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht davon abbringen lassen, mehr Flüchtlinge als bisher an der Grenze abzuweisen, sagte der CSU-Chef der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe). Es sei höchst ungewöhnlich, dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU mit der Richtlinienkompetenz zu drohen. „Das werden wir uns auch nicht gefallen lassen.“

Angela Merkel und Horst Seehofer

APA/AFP/Tobias Schwarz

Im Asylstreit sind derzeit alle Blicke auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den deutschen Innenminister Horst Seehofer (CSU) gerichtet

In Italien hatte indes zuletzt Innenminister Salvini von der rechtspopulistischen Lega erklärt, dass sein Land keine Flüchtlinge mehr aufnehmen wolle. „Wir können keinen Einzigen mehr aufnehmen. Im Gegenteil: Wir wollen ein paar abgeben“, zitierte ihn am Freitag der deutsche „Spiegel“ aus einem Interview. Salvini sah darin auch die Zukunft der EU auf dem Spiel: „Innerhalb eines Jahres wird sich entscheiden, ob es das vereinte Europa noch gibt oder nicht.“

Die italienische Küstenwache erklärte zudem am Samstag, dass sie nicht zuständig für für Flüchtlingsrettungsaktionen vor der libyschen Küste sei. Ab sofort sollten sich Kapitäne, die sich im Gebiet vor Libyen befänden, mit Hilferufen an die libysche Küstenwache wenden. Die Mitteilung steht im starken Widerspruch zur bisherigen Praxis. Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta betonte, die Ankündigung bedeute nicht, dass Italien seine Verpflichtungen zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot vernachlässige.

Italienischer Innenminister Matteo Salvini

APA/AFP/Andreas Solaro

Salvini zeigt sich im Flüchtlingsstreit hart

Die neue italienische Regierung aus der rechten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung fährt einen harten Kurs in der Migrationspolitik, obwohl die Ankunftszahlen dieses Jahr im Vergleich zu 2017 um rund 80 Prozent gesunken sind. Außerdem verschärfte sich zuletzt erneut der Streit über Rettungsmissionen für Flüchtlinge im Mittelmeer. Salvini rief dazu auf, Rettungsschiffe zu konfiszieren.

Kurz: Gespräche über Unterbringung außerhalb EU

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erneuerte in der deutschen „Bild“-Zeitung (Samstag-Ausgabe) seinen Appell, die Diskussion über eine Flüchtlingsverteilung zu beenden. Zugleich bekräftigte er seine Pläne für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen: „Wir müssen verhindern, dass Boote überhaupt noch nach Europa kommen“, so Kurz. „Und wir müssen Migranten, wenn sie es in die EU geschafft haben, in Zentren außerhalb Europas betreuen. Dort bekommen sie Sicherheit, aber keine Garantie für ein Leben im Wohlstand in Mitteleuropa.“

Er bestätigte die Angaben des dänischen Ministerpräsidenten Lars Lokke Rasmussen, dass man an Flüchtlingslagern außerhalb der Europäischen Union arbeite. „Ich werde jetzt kein Land nennen, aber richtig ist, dass wir unter anderem mit Dänemark bereits an Schutzzonen arbeiten, wo wir außerhalb der EU Schutz und Versorgung organisieren wollen.“ Rasmussen erklärte in der „Bild“-Zeitung, er rechne nicht damit, dass der Migrationsgipfel einen Durchbruch bringen wird. „Wir brauchen definitiv mehr als ein Treffen. Nicht unbedingt, um uns auf etwas zu verständigen, aber um eine Lösung umzusetzen“, sagte Rasmussen.

Macron und Sanchez für Zentren in Europa

Frankreich und Spanien sprachen sich unterdessen gemeinsam für geschlossene Zentren für ankommende Migranten „auf europäischem Boden“ aus. Dafür müsse es europäische Solidarität und sofortige finanzielle Unterstützung geben, sagte der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am Samstag in Paris nach einem Treffen mit dem neuen spanischen Regierungschef Pedro Sanchez.

Andere europäische Länder sollten dann solidarisch Menschen aufnehmen, die einen Asylanspruch hätten, sagte Macron. Auch bei der Rückführung von Menschen in ihre Herkunftsländer sollten die Europäer zusammenarbeiten, forderte Macron. An den Regeln für die Ankunft solle sich nichts ändern - das solle „der sicherste und nächstgelegene“ Ort sein. Die Einrichtungen müssten den Regeln des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR entsprechen. Vorschlägen, Zentren in Drittstaaten zu errichten, erteilte Macron hingegen eine klare Absage.

Kritik an Visegrad-Gruppe

Frankreich meldete sich ansonsten eher pessimistisch zu Wort und übte gleichzeitig Kritik an den Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn). Er erwarte schwierige Beratungen, sagte Regierungssprecher Benjamin Griveaux am Samstag dem Radiosender Europe 1. „Momentan sind die Positionen noch weit von einer Übereinstimmung entfernt.“

Griveaux kritisierte die „Boykotthaltung“ der vier Visegrad-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Diese Staaten „profitieren finanziell von der EU“, sagte Griveaux. „Man kann aber nicht von den Vorteilen profitieren, ohne die grundlegenden Werte der europäischen Solidarität zu respektieren.“

Orban sieht in Wien und Rom Verbündete

Ungarns rechtspopulistischer Premierminister Viktor Orban, der in der Flüchtlingspolitik einen rigorosen Kurs fährt, lobte umgekehrt Italien und Österreich beim Thema Verschärfung der Flüchtlingspolitik als Verbündete der Visegrad-Staaten. Beide Länder hätten sich „unserer Gruppe angeschlossen, um der ‚Willkommenskultur‘ des Westens entgegenzutreten“, sagte Orban am Freitag in einem Radiointerview. „Wir waren nie stärker als jetzt.“ Die Visegrad-Länder verfolgen seit dem Höhepunkt der Migrationsbewegung im Jahr 2015 einen sehr restriktiven Flüchtlingskurs. Orban riegelte die ungarischen Grenzen bereits damals mit einem Zaun ab.

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