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Ein kleiner Fingerzeig fürs Daumen halten

Dass Österreich bei der Fußball-WM nicht dabei ist, hat auch ein paar kleine Vorteile: Etwa dass man sich aussuchen kann, für wen man die Daumen drückt. Und wenn man gerade kein Lieblingsteam oder Lieblingsland bei der Hand hat, heißt es hoffen, dass sich die eine oder andere Mannschaft mit Charme, Spielwitz und sportlichen Erfolgen als Publikumsliebling aufdrängt.

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Nun in Russland hat das vor allem eine Mannschaft geschafft, wenngleich das nicht die ganz große Überraschung ist. Die Isländer setzten sich gleich bei ihrem Eröffnungsmatch gegen Argentinien mit einem 1:1-Unentschieden grandios in Szene. Schon bei der EM 2016 in Frankreich hatte das kleine Land Geschichte geschrieben.

Unglaubliche Erfolgsstory - ein bisschen abgestanden

Es ist die unglaubliche Erfolgsgeschichte, es mit nur 330.000 Einwohnerinnen und Einwohnern in die Weltspitze des Fußballs zu schaffen. Und die David-gegen-Goliath-Geschichte setzte ich auch im Duell mit Argentinien fort, als Torhüter Hannes Halldorsson einen Elfmeter von Superstar Lionel Messi hielt. Halldorsson hatte seine Sportkarriere schon an den Nagel gehängt, war übergewichtig und in die Filmbranche gewechselt, als er doch noch überredet wurde, es noch einmal mit Fußball zu versuchen.

Hordur Magnusson (Island) mit Fans

APA/AP/Victor Caivano

Hordur Magnusson mit Fans - angesichts der „Größe“ des Landes kennen sich viele persönlich

Und schließlich sorgen auch die isländischen Fans mit ihrem mittlerweile berühmten „Huh“ und dem Schlachtruf „Afram Island“ für Gänsehaut und Sympathien. Dennoch gibt es den einen oder anderen Schönheitsfehler: Das pragmatisch-athletische Auftreten der Isländer ist nicht unbedingt Zauberfußball. Und vor allem: Das ist alles ziemlich 2016. Bei der EM vor zwei Jahren war das alles bereits zu sehen. Early Adopter ist man als frischgebackener Island-Fan keiner mehr. Und: Es könnte ein kurzes Vergnügen sein. Nach der Niederlage gegen Nigeria brauchen die Isländer nun schon ein kleines Fußballwunder, um weiterzukommen.

Viva Mexiko

Ein paar andere Länder haben in den ersten Spieltagen der WM bei der Rollenvergabe zum Publikumsliebling schon einmal aufgezeigt - allen voran Mexiko. Beim Match gegen Deutschland zeigten sie als Außenseiter zumindest in der ersten Halbzeit begeisternden Offensivfußball. Und Deutschland zu schlagen bringt weltweit noch immer Sympathiepunkte, wohl gerade auch in Österreich.

Mittelfeldspieler Hector Herrera könnte zu einem der Überraschungsstars der WM werden. Und Torwart Guillermo Ochoa, als Wuschelkopf mit Stirnband auch optisch auffällig, fischte, wie schon bei der WM 2014, gleich einige Bälle spektakulär aus den Ecken. Dazu kamen die vielleicht lautstärksten Fans der bisherigen Spiele, die das Stadion in einen Hexenkessel verwandelten.

Mexikos Torhüter Guillermo Ochoa

Reuters/Christian Hartmann

Torwart Ochoa hat bisher gut lachen

Doch genau da gibt es auch Abstriche: Mit homophoben Rufen fielen einige Fans sehr übel auf. Und dann wäre da noch Rafael Marquez. Der Verteidiger nimmt schon an seiner fünften WM teil, soll aber in kriminelle Machenschaften eines Drogenkartells verwickelt sein.

Peru Weltmeister - beim Hymnensingen

Ein ähnlich gelagertes Problem gibt es bei Perus Stürmerstar Paolo Guerrero. Der war eigentlich wegen Dopings gesperrt, nachdem er positiv auf ein Abbauprodukt von Kokain getestet worden war. Guerrero argumentierte, ihm sei in einem Hotel ein Tee untergejubelt worden. Jedenfalls durfte er dann doch spielen. Gebracht hat es nichts: Peru muss - wie auch Costa Rica - trotz beherzten Auftretens nach dem dritten Spiel die Heimreise antreten. Den Pokal für das lauteste Mitschreien der Hymne haben sie dafür schon in der Tasche.

Die anderen „kleinen“ Länder aus Lateinamerika blieben vorerst eher farblos. Bei Uruguay blieb nach dem Abgang der blonden Wundermähne Diego Forlan nur Luis „Der Beißer“ Suarez, von Panama war nicht viel zu sehen, und Kolumbien kam auch noch nicht richtig in die Gänge. Das Land hatte ja 2014 für Furore gesorgt und mit James Rodriguez den Shootingstar des Turniers hervorgebracht. Der landete inzwischen bei Bayern München, blieb aber dennoch - oder vielleicht deswegen - nicht der ganz große Superstar.

Nigeria schön, Senegal gut

Großes Potenzial für Überraschungsteams wird vor jeder WM auch den afrikanischen Mannschaften nachgesagt, ausgelöst durch die Kamerun-Euphorie 1990. Seitdem sind die Erfolge aber mehr als überschaubar, und auch heuer begann das Turnier eher ernüchternd. Für Marokko, Tunesien und Ägypten gibt es nichts mehr zu holen. Nigeria begeistert zwar mit den tollen Trikotdesigns, dafür gibt es im Fußball aber bekanntlich keine Punkte. Immerhin: Nach dem Sieg gegen Island hat Nigeria gegen Argentien die Chance, ins Achtelfinale zu kommen.

John Obi Mikel und Francis Uzoho (Nigeria)

Reuters/Matthew Childs

Auch Nigerias Trainingsjacken punkten mit Strichen

Afrikanischer Hoffnungsträger ist aber Senegal, das als einzige Mannschaft des Kontinents einen Sieg einfuhr. Mit Sadio Mane gibt es einen Star, dessen Karriere mit seinem früheren Salzburg-Engagement auch einen Österreich-Bezug hat. Und dass Fans nach dem Match gegen Polen - wie die japanischen - im Stadion ihren Müll wegputzen, bringt jedenfalls Bonuspunkte.

Sadio Mane (Senegal)

GEPA/Witters/Tim Groothuis

Sadio Mane, von 2012 bis 2014 in Salzburg zu sehen, jetzt groß bei der WM

Australier als Asiaten

Apropos Japan: Für asiatische Mannschaften die Daumen zu drücken scheint kein sehr weit verbreitetes Phänomen zu sein. Immerhin: Die Australier, die aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen aus der asiatischen Vorentscheidung kommen, werden wohl auch hierzulande ein paar hartgesottene Fans finden. Saudi-Arabien ist schon weg vom Fenster, Südkorea auch kein Heuler. Und der Iran sorgte für eines der besten WM-Bilder außerhalb Russlands: Präsident Hassan Rouhani veröffentlichte ein Bild von sich beim WM-Schauen.

Belgien als ewiger Geheimtipp

Bleiben noch die europäischen Mannschaften. Wenn man nicht gerade durch Verwandte, Bekannte, Familie oder gute Freundinnen und Freunde genötigt ist, einem Land die Daumen zu drücken, ist die Auswahl zwar groß, so richtig aufgedrängt haben sich aber nur wenige. Am ehesten bietet sich Belgien an. Der fast schon ewige Geheimfavorit startete mit zwei Siegen, als kurzfristiger Fan hat man also gute Chancen, die Mannschaft öfter zu sehen zu bekommen. Mit durchaus schillernden Spielerpersönlichkeiten wie Marouane Fellaini, Kevin De Bruyne und Axel Witsel wird auch etwas fürs Auge geboten, ganz abgesehen davon, dass man auch als Laie die Spieler auf dem Feld recht einfach identifizieren kann.

Kevin De Bruyne (Belgien)

Reuters/Hannah McKay

Kevin De Bruyne, einer der belgischen Stars

Mit Serbien und Kroatien WM-Feeling in Österreich

Kroatien drängte sich spätestens mit dem klaren Sieg gegen Argentinien als Mannschaft der Stunde auf. Genauso wie für Serbien gibt es für Kroatien freilich auch jede Menge Menschen, die hierzulande mitfiebern und den Geist des Dabeiseins auch in Österreich aufkommen lassen.

Russland hat halbwegs überraschend schon zwei Siege zu Buche stehen, das allerdings bei „lösbaren Aufgaben“, wie es im Sportjargon so schön heißt. Ob das bisher neutrale Beobachter noch zu Begeisterungstürmen hinreißen wird? Beim Gastgeber schwingt freilich ein bisschen erschwerend die Politik des Landes mit. Angesichts einer offenbar wachsenden Zahl der Freunde Russlands werden sich auch hier ein paar Fans finden.

Dänemark hat einen Sieg und ein Unentschieden zu Buche stehen, vom „Danish Dynamite“ der 1980er Jahre ist man aber recht weit entfernt. Nachbar Schweiz setzte sich schon gegen Brasilien und Serbien in Szene. Und Polen und Schweden? Da muss man wohl das Land an sich mögen.

Doch zu den Großen halten?

Freilich kann man auch recht unoriginell zu den Großen halten, zu Brasilien, Deutschland oder Frankreich. Oder zu Portugal oder Spanien. Oder auch zu England, auch wenn dort schillernde Spieler, die es früher einmal gab, nicht zu sehen sind. Jeden gedrückten Daumen kann Argentinien brauchen, doch kann man sie nach den bescheidenen Leistungen noch zu den Großen zählen? Je länger das Turnier dauert, desto eher muss man sich - will man in einem Lager sein - ohnehin damit anfreunden, halt zu einer Mannschaft zu halten, die man einigermaßen okay findet.

Und es ist wohl davon auszugehen, dass einige der Großen dabei sein werden, auch wenn sich überraschend viele von ihnen in den Auftaktspielen eine Blöße gaben. In Deutschland geht schon das böse Wort „Vorrunden-Aus“ um - um das englischsprachige Medien die deutsche Sprache ähnlich beneiden wie um „Auftaktniederlage“.

Stars mit Abnützungserscheinungen

Vielleicht bringt die WM auch einen völlig neuen Star hervor - leiden die alten teilweise doch schon ein bisschen unter Abnützungserscheinungen. Ganz abgesehen davon, dass bei ihren Finanzvergehen die „großen drei“ Lionel Messi, Neymar und Cristiano Ronaldo eigentlich auf Gefängnishöfen und nicht in Stadien kicken müssten: Der Argentinier Messi setzte bisher seine allesamt enttäuschenden WM-Auftritte fort. Diesmal sieht es schon sehr trist aus.

Neymar (Brasilien)

GEPA/Sputnik/Grigoriy Sisoev

Neymar und das Comeback der Fußballerfrisur

Neymar sorgte vor allem mit seiner „Spaghetti“-Frisur für Schlagzeilen. Und Ronaldo überzeugte mit bereits vier Toren, polarisiert aber nach wie vor als Person. Die „Zu reich, zu schön“-Attitüde, die seiner Ausstrahlung innewohnt, liegt bei vielen weit über der Schmerzgrenze.

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