Themenüberblick

Hunderte Milliarden für Lippenstift und Co.

Geht es der Wirtschaft schlecht, beginnt die Kosmetikindustrie zu florieren - diese paradoxe Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahren ganz deutlich gezeigt. Und die Branche wächst: Weltweit werden jedes Jahr Schmink- und Pflegeprodukte für Hunderte Milliarden Euro verkauft, und die Absatzzahlen steigen weiter. Und in kaum einer anderen Branche gibt es mehr Unternehmensankäufe als im Beauty-Sektor.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Das Phänomen ist schon lange bekannt, nach den Anschlägen auf das World Trade Center bekam es auch einen Namen: Der damalige Vorstandsvorsitzende des US-Kosmetikkonzerns Estee Lauder, Leonard Lauder, bemerkte, dass das Unternehmen in den Monaten nach dem 11. September 2001 wesentlich mehr seiner teuren Lippenstifte verkaufte. Während sich die Börsenkurse im Tiefflug befanden und viele Branchen ums Überleben kämpften, florierte die Kosmetikindustrie. Der Manager kreierte daraufhin den „Lipstick Index“ - einen alternativen Indikator für wirtschaftliche Entwicklung in Krisenzeiten.

Kosmetik statt neuer Küche

Dass in Zeiten des konjunkturellen Niedergangs mehr Schmink-, Duft- und Pflegeprodukte verkauft werden, wurde erstmals ab 1929 in den USA beobachtet. Während der folgenden vierjährigen Weltwirtschaftskrise halbierte sich die industrielle Produktion der USA, der Umsatz bei Lippenstiften und Co. stieg jedoch stark an. Eine ähnliche Entwicklung sieht die „Financial Times“ auch seit Beginn der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren.

Frau wird geschminkt

Getty Images/Blue Jean Images

Wird das verfügbare Einkommen wegen der stagnierenden Wirtschaftslage kleiner, dann halten sich die Haushalte mit größeren Investitionen wie einer Waschmaschine, einem Auto oder einer neuen Kücheneinrichtung zurück. In harten Zeiten wolle man sich aber etwas gönnen. Deswegen steigt der Absatz von teuren Parfums, exklusiven Cremen und Schminkprodukten.

250 Milliarden plus in sechs Jahren

Der globale Kosmetikmarkt wird derzeit mit 400 Milliarden Euro beziffert. In den nächsten sechs Jahren wird der Branche ein rasantes Wachstum prognostiziert. Bis 2024 sollen die weltweiten Umsätze auf 650 Milliarden Euro steigen. Zum Vergleich: Das österreichische Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 330 Milliarden Euro. Und anders als bei Kleidung, Schuhen oder Taschen profitiert nicht nur der Onlinehandel von dieser Entwicklung, gerade der Einzelhandel legt bei der Kosmetik zu.

Erfolgreich sind vor allem jene Kosmetikgeschäfte, die den Kundinnen und Kundin ein Shoppingerlebnis bieten können. Dort gibt es nicht nur Visagisten, die zeigen, wie man die Produkte verwenden kann. Es gibt große Events, wenn neue Produktlinien in die Regale kommen, und VIP-Programme mit Preisvorteilen für Vielkäuferinnen und -käufer. Zu den erfolgreichsten Händlern gehört die internationale Kette Sephora, die zum französischen Luxuskonzern LVMH gehört, der auch Louis Vuitton, Fendi und Givenchy beherbergt. LVMH ist im vergangenen Jahr auch wegen Sephora um 13 Prozent gewachsen.

Soziale Netzwerke wichtiger als Hochglanzmagazine

Neben der Rezession hilft der Kosmetikindustrie auch eine erfolgreiche Werbestrategie. Viele Unternehmen arbeiten schon seit Jahren mit Influencern in Sozialen Netzwerken zusammen, die Make-up vorführen, testen und im besten Fall bewerben. Laut „Financial Times“ mit gutem Grund: Anzeigekampagnen in Hochglanzmagazinen haben weniger Einfluss auf das Kaufverhalten der Kosmetikinteressierten als schicke Fotos auf Instagram, Werbeclips auf Snapchat und Anleitungsvideos auf YouTube.

Auf der Rangliste von YouTube belegt das Thema „Beauty“, also Videos zu Make-up, Haarstyling und Hautpflege, den zweiten Platz hinter Clips zu Video- und Computerspielen. Nikkie Tutorials, eine der erfolgreichsten Beauty-Bloggerinnen, hat mehr als zehn Millionen Abonnenten auf der Videoplattform. Jede ihrer Schminkanleitungen wird mehrere Millionen Mal angeklickt. Diese Abonnenten schauen nicht nur, sie kaufen auch: Laut Eurobarometer geben rund 20 Prozent der 15- bis 35-Jährigen an, dass Blogs und Onlinetutorials ihre Einkäufe stark beeinflussen.

Beauty-Gurus verdienen mit

Die Kooperationen zwischen Influencern und Kosmetikunternehmen gibt es in verschiedenen Varianten. Manchmal entdecken die Beauty-Gurus ein Produkt und promoten es von sich aus. Die Firmen schenken ihre Produkte außerdem her, in der Hoffnung, positive Kritiken zu bekommen, oder sie bezahlen für gefällige Rezensionen, die dennoch vertrauenswürdiger wirken als klassische Werbung.

Solche Werbepostings können einiges kosten. Zu den bestbezahlten Onlinestars gehört Kylie Jenner, die laut dem Podcast „Behind the money“ mehr als eine Million Dollar pro Werbeschaltung auf Instagram kassiert. Jenner, die zum berühmtberüchtigten Kardashian-Clan gehört, wollte diesen Einfluss wohl auch für sich selbst nützen. 2017 gründete sie ihr Unternehmen Kylie Cosmetics, das seitdem mehr als 360 Millionen Euro umgesetzt hat, ohne eine einzige klassische Werbeanzeige zu schalten.

Kleine Marken haben große Chancen

Dass Influencer im Kosmetikbereich wichtiger sind als klassische Medien und teure Werbeanzeigen in Magazinen, macht es für kleine Firmen einfacher, ihre Produkte bekannt zu machen und zu wachsen. Typischerweise bewirbt eine bekannte Beauty-Bloggerin ein unbekanntes Produkt, Nachfrage und Bekanntheit wachsen, und die erfolgreichsten Firmen bekommen schließlich ein Übernahmeangebot eines internationalen Kosmetikriesen.

Estee Lauder und L’Oreal gehören zu den Unternehmen, die sich laufend nach neuen Kosmetikproduzenten umsehen. Estee Lauder beispielsweise kaufte die online bekannt gewordene Marke Too Faced im Jahr 2016 für 1,35 Milliarden Euro. 105 solcher Unternehmensankäufe hat es im vergangenen Jahr laut „Financial Times“ gegeben, 70 Prozent mehr als 2016.

Flexibler und innovativer

Dass diese kleineren Firmen auf dem Kosmetikmarkt so erfolgreich sind, liegt laut „Financial Times“ auch an ihrer Flexibilität. Sie greifen neue Trends wesentlich schneller auf als große Konzerne. Schimmernde Highlighter, Puder, die das Gesicht konturieren, und matte Flüssiglippenstifte findet man erst seit Kurzem im Sortiment bekannter Luxusmarken. Kleinere Make-up-Firmen bieten diese Produkte schon seit Jahren an und sind damit überaus erfolgreich.

Zu den erfolgreichsten Kosmetikfirmen des vergangenen Jahres gehören laut „Guardian“ die Marke Fenty, die der Popstar Rihanna gegründet hat, und die Marke Pat McGrath Labs, hinter der die gleichnamige, international gefragte Visagistin steht. Beide legen bei ihren Produkten großen Wert auf Vielfalt und eine breitgefächerte Zielgruppe. Puder, Lidschatten und Lippenstifte sollen auf dunkler Haut genauso gut funktionieren wie auf heller. Ein Ansatz, für den beide von der Onlinecommunity belohnt wurden: Ihre Produkte sind regelmäßig ausverkauft.

Links: