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„Erschreckende Ereignisse“

Auch am Tag nach dem Bekanntwerden der ÖVP-FPÖ-Pläne reißt die Kritik an der Arbeitszeitflexibilisierung, die auch die Möglichkeit eines Zwölfstundenarbeitstags vorsieht, nicht ab. Heftige Kritik kam von SPÖ und Gewerkschaft. Die SPÖ kündigte ein eigenes Begutachtungsverfahren in der Causa an, der ÖGB prüft bei einer Sitzung Freitagmittag mögliche Maßnahmen bis zum Streik.

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SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sprach am Freitag bei einer Pressekonferenz von „erschreckenden Ereignissen“ im Parlament. Für Unbehagen sorgt vor allem der Umstand, dass die Regierungsparteien das Gesetzesvorhaben noch vor dem Sommer im Parlament durchziehen wollen - ohne Begutachtung und ohne breite Diskussion. „Das hat es noch nie gegeben im österreichischen Parlament, dass so ein weitreichendes und Millionen Arbeitnehmer betreffendes Gesetz so durchgepeitscht wurde.“

Wirtschaftsausschuss statt Sozialausschuss

SPÖ und Gewerkschaft wurden am Donnerstag offenbar auf dem falschen Fuß erwischt, als die Klubs von ÖVP und FPÖ ihre neuen Arbeitszeitregeln als Initiativantrag im Nationalrat einbrachten. Der Antrag wurde nicht dem Sozialausschuss, sondern dem Wirtschaftsausschuss zugewiesen und soll bereits Anfang Juli im Nationalrat beschlossen werden.

SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, Gabriele Heinisch-Hosek und Josef Muchitsch im Rahmen einer PK der SPÖ

APA/Roland Schlager

Schieder, Heinisch-Hosek und Muchitsch (v. l. n. r.) bei der Pressekonferenz

Zuvor konnten die Fraktionen in der von der SPÖ beantragten Präsidiale zur Frage der Zuweisung keinen Konsens erzielen, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) entschied daraufhin, dass die Zuweisung an den Wirtschaftsausschuss aufrecht bleibt. SPÖ-Mandatar Hannes Jarolim unterstellte Sobotka daraufhin „austrofaschistische Anwandlungen“, ÖVP-Klubchef August Wöginger fand das tags drauf „skandalös“ und forderte eine Entschuldigung.

„Mehrere Fouls“

Schieder sprach von gleich „mehreren Fouls“ bei dieser von den Regierungsparteien gewählten Vorgangsweise und warf ÖVP und FPÖ „Sozialabbau und den Abbau von Arbeitnehmerrechten“ vor. Es handle sich vor allem um ein Gesetz für die Wirtschaft. „Das Arbeitsleben von Millionen Arbeitnehmern wird dadurch weitreichend negativ beeinflusst.“ Die SPÖ werde das nicht einfach hinnehmen.

„Wir werden uns zur Wehr setzen und als Notwehrmaßnahme eine eigene Begutachtung organisieren“, kündigte Schieder an. Dabei sollen Gewerkschaften, NGOs, Jugendorganisationen, Kirchen und andere zivilgesellschaftliche Gruppierungen bis Ende Juni die Möglichkeit haben, Stellungnahmen an die SPÖ abzugeben. Die SPÖ werde diese dann in die parlamentarische Arbeit einbringen.

Grafik zur Arbeitszeit

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Muchitsch: „Von Wirtschaftskammer und IV bestellt“

SPÖ-Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch bezeichnete die Regierungspläne als „ganz klar von Industriellenvereinigung (IV) und Wirtschaftskammer (WKÖ) bestellt“. Es handle sich um einen „Schritt zurück beim Arbeitnehmerschutz“. Muchitsch wies auf das gesundheitsgefährdende Potenzial eines Zwölfstundentags hin. „Je länger gearbeitet wird, umso höher steigt die Unfallgefahr.“ Bei Pendlern bestehe nach einem solchen Arbeitstag bei der Heimfahrt „die große Gefahr der Übermüdung“. Das alles sei „eine Schweinerei“.

Über das Vorgehen von ÖVP und FPÖ zeigte sich Muchitsch am Freitag immer noch „fassungslos“. Als Vorsitzender des Sozialausschusses habe er beiden Parteien ein ordentliches Begutachtungsverfahren und einen möglichen Beschluss in der ersten Plenarsitzung nach dem Sommer angeboten. Der „neue Stil“ der Regierung sei aber „Drüberfahren“.

„Prüfen alle Möglichkeiten von Kampfmaßnahmen“

Nach der Pressekonferenz eilte Muchitsch zu einer ÖGB-Sitzung, in der auch das weitere Vorgehen der Gewerkschaft beraten werden soll. „Ich bin überzeugt, es wird zahlreiche Aktivitäten geben.“ Auf die Frage, ob Streiks geplant sind, verwies Muchitsch auf die anstehende Sitzung. „Ich gehe davon aus, dass wir alle Möglichkeiten von Kampfmaßnahmen prüfen.“ SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek wies unterdessen vor allem auf die negativen Folgen für Frauen hin. Die Vorschläge der Regierung seien „extrem frauen-, familien- und gesellschaftsschädlich“, meinte Heinisch-Hosek.

Vergleich mit „Plan A“ zurückgewiesen

Vergleiche mit den im „Plan A“ der SPÖ vorgeschlagenen Arbeitszeitflexibilisierungsmodellen, in denen von der Möglichkeit von zwölf Stunden täglicher Arbeitszeit bei Gleitzeit die Rede ist, wiesen die SPÖ-Vertreter zurück. Wenn die SPÖ von Flexibilität rede, sei damit Flexibilität für die Arbeitnehmer gemeint, von einem generellen Zwölfstundentag war nie die Rede, und er sei für die Sozialdemokratie auch nicht vorstellbar, betonte Schieder.

Auch aus den Ländern kam sowohl scharfe Kritik als auch Zustimmung - etwa aus der Steiermark. Die Wirtschaftskammer spricht von einer notwendigen Flexibilisierung, die Arbeiterkammer (AK) nennt die Maßnahmen „zutiefst ignorant“ - mehr dazu in steiermark.ORF.at. Gleiches Bild im Westen - die Wirtschaft jubelt, die Arbeitnehmervertreter empört - mehr dazu in tirol.ORF.at und vorarlberg.ORF.at. Im Burgenland ist der SPÖ „zum Heulen“ zumute - mehr dazu in burgenland.ORF.at.

NEOS: „Husch-Pfusch“ und EU-rechtswidrig

NEOS unterstützt zwar grundsätzlich die Pläne der Koalition. Allerdings forderte NEOS-Arbeitsmarktsprecher Gerald Loacker eine ordentliche Begutachtung und warnte vor EU-rechtswidrigen Passagen. „Ja, die Arbeitszeitflexibilisierung ist überfällig. Wenn die Regierung aber glaubt, hier auf die schnelle ein Husch-Pfusch-Gesetz durchpeitschen zu können, liegt sie falsch“, so Loacker.

Dass ÖVP und FPÖ den Gesetzesvorschlag nicht in Begutachtung schicken, bezeichnete Loacker als „Frechheit gegenüber dem Parlament sowie den Bürgerinnen und Bürgern“. Er warnte, dass die geplanten Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz für zusätzliche leitende Mitarbeiter („dritte Ebene“) zu weitreichend seien und der EU-Arbeitszeitrichtlinie widersprechen könnten. Außerdem bringe der Entwurf „neue unbestimmte Rechtsbegriffe, die zukünftig für einige Rechtsstreitigkeiten sorgen werden“. Mehr Gewicht forderte er auch für Betriebsvereinbarungen.

Kritik auch von Liste Pilz

Auch von der Liste Pilz (LP) kam Kritik: Mit den Maßnahmen werde der Einbindung der Väter in die Kindererziehung und Haushaltsarbeit „ein konservativer Riegel“ vorgeschoben, so Frauensprecherin Maria Stern. Der Regierung gehe es darum, „ihre Wahlkampfspender zufriedenzustellen, und diese wollen jetzt endlich ihre Rendite sehen“. Es werde ein Schaden für „Hunderttausende Familien und Kinder in unserem Land sowie für die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen vorsätzlich herbeigeführt“, so Arbeits- und Sozialsprecherin Daniela Holzinger.

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