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Monatliche „Karawane ins Elsass“

Die Debatte über den Sitz des Europaparlaments in Straßburg ist vielleicht so alt wie die Institution selbst. Es ändert dennoch nichts daran, dass mehr als 700 Europaabgeordnete samt ihren Mitarbeitern und tonnenweise Akten einmal im Monat für vier Tage zur Plenarsitzung ins französische Elsass reisen.

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Und pünktlich zum monatlichen Ritual der Parlamentsnomaden ist dann auch immer wieder die Debatte zurück: Dieser Aufwand, diese Kosten, diese Umweltlasten - muss das sein? Warum stoppt niemand den Wanderzirkus?

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) fing vorige Woche damit an. Der doppelte Parlamentssitz in Straßburg und Brüssel sei „Unsinn“ in einer Zeit, da Europa sparen müsse, sagte der Konservative. Dann stimmte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ein und betonte: „Die Arbeit des Europäischen Parlaments sollte auf einen Standort konzentriert werden.“

„Wind auf jeden Fall dafür“

Damit rennen sie bei vielen Abgeordneten offene Türen ein. „Den Bürgerinnen und Bürgern in Europa ist nicht vermittelbar, dass das Parlament den Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg aufrechterhält“, sagte der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann der dpa am Montag. „Wir sind auf jeden Fall dafür, das Europaparlament an einem Standort zu konzentrieren.“

Umzugsarbeiten im Europäischen Parlament

Europäisches Parlament

Einmal im Monat werden in Brüssel Kisten für die Straßburg-Woche gepackt

Derzeit sind es drei Standorte. Drei Wochen im Monat arbeiten die Abgeordneten, wenn nicht im Wahlkreis, dann in Brüssel in einem voll ausgestatteten Parlamentskomplex samt Plenarsaal. Dann kommt die Straßburg-Woche, und das halbe Europaviertel setzt sich mit Lastwagen, Sonderzügen und Flugzeugen in Bewegung. Die Verwaltung des Hauses sitzt in Luxemburg.

42 Tage im Jahr genutzt

Es fiel schon bei früherer Gelegenheit auf, dass das alles ziemlich aufwendig ist. Genaugenommen ist die Debatte über den Parlamentssitz vielleicht so alt wie die Institution selbst. Voriges Jahr wurden die sieben Kandidaten vor der Wahl des Parlamentspräsidenten gefragt, ob sie für einen Einheitsstandort seien. Sieben von sieben sagten: Ja.

Vor fünf Jahren probten Abgeordnete den Aufstand gegen den Wanderzirkus. Vor sieben Jahren auch. Und vor zehn Jahren. Und vor zwölf Jahren. Schon Simone Veil, 1979 Präsidentin des ersten direkt gewählten EU-Parlaments, kämpfte gegen die „Karawane“ ins Elsass.

Die Argumente sind in all den Jahren weitgehend unverändert. „Die Kosten für die Pendelei betragen bis zu 200 Millionen Euro pro Jahr, und es werden 11.000 bis 19.000 Tonnen CO2 produziert“, sagte Europaabgeordneter Peter Liese (CDU). Nach offiziellen Angaben fallen mehr als 3.100 Dienstreisen pro Monat nur wegen der Verteilung der Standorte an. Das Straßburger Parlament wird nur 42 Tage im Jahr genutzt wird, muss aber das ganze Jahr klimatisiert und betrieben werden, wie es in einer Resolution von 2013 heißt.

Frankreich blockiert mit Veto

Viele Abgeordnete sind schlicht genervt von dem ständigen Hin und Her, und sie fürchten den Zorn der Steuerzahler. „In einer Zeit, in der in Europa überall gespart werden muss, ist das aus meiner Sicht nicht mehr verantwortbar“, sagte Liese. Er zeigt sich deshalb begeistert von der neuen Initiative Kurz-Merkel.

Umzugsarbeiten im Europäischen Parlament

Europäisches Parlament

1999 waren die Kisten noch gelb - umstritten war der „Wanderzirkus“ aber schon damals

In all den Jahren stach aber auch immer dasselbe Gegenargument: Frankreich ist gegen eine Verlegung und sitzt am längeren Hebel. Denn der Sitz des Hauses ist historisch gewachsen und in den EU-Verträgen festgeschrieben. Das könnten die 28 EU-Staaten nur einstimmig ändern, aber Paris macht nicht mit.

„Brauchen gute Argumente“

Die Wanderzirkusgegner wissen das und versuchen, die französische Regierung mit allerlei charmanten Gegenangeboten zu umgarnen. Als es im Frühjahr 2017 um die Verlegung von EU-Agenturen aus Großbritannien nach dem „Brexit“ ging, wurde die Idee gestreut, man könnte ja die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in Straßburg ansiedeln. Hunderte gut bezahlte Fachleute samt Kongresstourismus wären wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust des Parlaments. Aber die Idee zog nicht, und die EMA zieht nun nach Amsterdam.

Jetzt brachte die deutsche Abgeordnete Terry Reintke (Grüne) eine schöne neue Europauni im Parlamentsgebäude ins Gespräch. Liese sagte: „Wir brauchen gute Argumente, und man muss auch ein überzeugendes Angebot machen, wie der Verlust für die Stadt Straßburg kompensiert werden kann.“

Macron hält am Standort Straßburg fest

Doch lässt sich Frankreich umstimmen? So weitgehend die Reformpläne von Staatschef Emmanuel Macron für die EU auch sind - in dieser Frage blieb er bisher ganz bei der französischen Linie: Auf den Parlamentssitz in Straßburg verzichten? Ein No-Go.

„Ich bin nicht für ein Europa, dessen Entscheidungszentren alle am gleichen Ort wären“, sagte Macron jedenfalls im April der elsässischen Zeitung „Dernieres Nouvelles d’Alsace“. Er hänge daran, europäische Institutionen und Agenturen in verschiedenen Ländern zu haben. „Ich habe mehrfach gesagt, dass ich am Standort Straßburg festhalte“, sagte Macron. „Ich werde bei der entscheidenden Rolle Straßburgs als europäische Stadt und Stadt der europäischen Institutionen nicht nachgeben.“

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