„Muslime Spielball der Politik“
Sieben Moscheen sollen geschlossen, die Arabische Kultusgemeinde aufgelöst und einige Imame ausgewiesen werden: Nach der Ankündigung der Regierung, stärker gegen den politischen Islam und Radikalisierungstendenzen vorgehen zu wollen, haben die betroffenen Verbände am Freitag Kritik zurückgewiesen. Die Arabische Kultusgemeinde will sich rechtlich gegen ihre Auflösung wehren.
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„Wir werden im Fall der Ausstellung eines Auflösungsbescheids alle uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausschöpfen“, hieß es in einer Aussendung. Man betonte außerdem, dass es noch keinen solchen Bescheid gegeben habe und die von der Regierung verkündete Auflösung nicht stattgefunden habe.
Nicht nur sechs Moscheen
Die Arabische Kultusgemeinde warf der Regierung in diesem Zusammenhang vor, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben und „aus politischem Kalkül die Objektivität des Verfahrens“ zu gefährden. Dass in ihren Moscheen salafistische Einstellungen verbreitet würden, bestritt die Kultusgemeinde und sprach von „haltlosen Vorwürfen“ seitens der Regierung. „Wir halten fest, dass wir uns zu den Werten der österreichischen Gesellschaft und zur österreichischen Verfassung bekennen.“
„Rechtsstaat zum Durchbruch verhelfen“
Der für das Kultusamt zuständige Minister Gernot Blümel (ÖVP) erläuterte Freitagabend in der ZIB2 den Beschluss der Bundesregierung, gegen Verstöße nach dem Islamgesetz vorzugehen und Moscheen zu schließen.
In den Moscheen der Arabischen Kultusgemeinde seien - im Gegensatz zu den Moscheen der Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB) - niemals Schlachten mit Kindern nachgespielt worden. „Die Arabische Kultusgemeinde hat keinerlei Berührungspunkte mit ATIB. Auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft hat mehrfach bestätigt, dass die Arabische Kultusgemeinde in diese Causa nicht verwickelt ist.“
Zudem würde die Kultusgemeinde nicht nur jene sechs Moscheen betreiben, die geschlossen werden sollen, sondern insgesamt zehn. Das habe man auch in der Stellungnahme an das Kultusamt dargelegt, hieß es in der Aussendung.
Regierung beruft sich auf Islamgesetz
Sowohl was das Vorgehen gegen die Imame als auch die Schließung der Moscheen betrifft, beruft sich die Regierung auf das Islamgesetz. So ist etwa die Auslandsfinanzierung von Imamen verboten. Zudem wird im Islamgesetz eine positive Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft gefordert. Dagegen hätten etwa Vertreter von Moscheen der Arabischen Kultusgemeinde mit salafistischen Äußerungen verstoßen.
Imame werden überprüft
In Österreich gibt es etwa 260 Imame, die unter anderem das Gebet in den Moscheen leiten. Bei 40 Imamen, die von ATIB beschäftigt werden, wird jetzt überprüft, ob sie das Land verlassen müssen.
Im Ö1-Mittagsjournal bestätigte ATIB-Sprecher Yasar Ersoy, dass Imame in Österreich aus dem Ausland finanziert wurden - Audio dazu in oe1.ORF.at. Es sei aber notwendig, da es in Österreich „keine adäquate Ausbildung“ für Imame gebe. „Um dieses Defizit zu decken“, würden die Imame ihr Gehalt aus der Türkei beziehen.
Er forderte die Regierung auf, ATIB als „starken Partner“ zu gewinnen. Mit über 100.000 Mitgliedern sei ATIB der größte Verein. „Es ist wichtig, dass wir gemeinsam an Lösungen arbeiten.“ ATIB arbeite derzeit daran, dass Imame aus Mitteln aus dem Inland verdienen. Ersoy bestritt zudem, dass in ATIB-Gebetsräumen politische Botschaften verbreitet würden. Als Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) werde in keiner ATIB-Moschee ausländischer Wahlkampf betrieben: „Das gibt es nicht.“
Vereinspolizeiliches Verfahren gegen ATIB
Man wolle mit der Regierung gemeinsam eine Lösung finden, damit Imame künftig aus Österreich sind, sagte der ATIB-Sprecher Freitagabend. Ersoy findet, „wir Muslime sind der Spielball der Politik geworden“. ATIB dagegen sehe sich als „Brückenbauer“. Deshalb sei man auch an einer gemeinsamen „Lösung interessiert“, sodass Imame künftig aus Österreich kommen und mit inländischen Mitteln finanziert werden, sah der Sprecher die Regierung gefordert.

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Der Verein ATIB steht schon länger unter Kritik und unter türkischem Nationalismusverdacht
Der Verein steht schon länger in der Kritik - vor allem wegen türkischen Nationalismusverdachts. Zuletzt sorgte eine Kriegsinszenierung mit uniformierten Kindern in einer ATIB-Moschee in Wien für Aufregung. Das Kultusamt und das Innenministerium wurden aktiv - nicht nur wegen der Kriegsspielaffäre, sondern auch im Hinblick auf Medienberichte über die Aktivitäten der rechtsextremen Grauen Wölfe in Moscheen. ATIB fungiert als eine Art Dachverband, der über 60 Vereine in ganz Österreich vertritt. Laut Regierung läuft das vereinspolizeiliche Verfahren zur Auflösung von ATIB noch.
Der Präsident der IGGÖ, Ibrahim Olgun, wollte am Freitag keine aktuelle Stellungnahme abgeben. Innerhalb der Glaubensgemeinschaft wurde auf die Sitzung des Obersten Rats am Samstag verwiesen.
Kritik von Erdogan-Sprecher
Der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, bezeichnete die Maßnahmen als einen Ausdruck „der islamophoben, rassistischen und diskriminierenden Welle, die durch dieses Land geht“. Es sei ein versuchter „Angriff auf muslimische Gemeinden“, um „politisches Kleingeld daraus zu schlagen“. Am 24. Juni finden in der Türkei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt.
Im Ausland lebende Türkinnen und Türken können bereits seit Donnerstag ihre Stimme abgeben. In Österreich leben rund 100.000 wahlberechtigte türkische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. ATIB-Sprecher Ersoy erklärte dazu: „Ich bin kein Freund der Polarisierung und Pauschalisierung.“ Es brauche eine „sachliche Politik auf Augenhöhe“, appellierte er an die Bundesregierung, „wir müssen zurück vom Gas gehen“.
SPÖ, NEOS und LP grundsätzlich für Maßnahmen
SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher bezeichnete im Ö1-Mittagsjournal den Schritt der Regierung als „erste gescheite Maßnahme“. Er kritisierte aber, die „charakterlich bedenkliche“ Aussage, dass die SPÖ dazu bisher nie etwas unternommen habe. Schon die damalige SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar habe Dutzende Imame gemeldet. Auch NEOS begrüßte die Maßnahmen der Regierung grundsätzlich, beharrte aber auf der rechtsstaatlich einwandfreien Umsetzung.
Die Schließung radikaler Einrichtungen und Moscheen sei zwar ein erster Schritt. Aber die Regierung müsse das Problem der Radikalisierung an den Wurzeln anpacken - und mehr Geld für Integrationsmaßnahmen samt Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stellen, um der Perspektivenlosigkeit Jugendlicher entgegenzusteuern, stellte Alma Zadic, Menschenrechtssprecherin der Liste Pilz, in einer Aussendung fest.
Michel Reimon, Kodelegationsleiter der Grünen im Europaparlament, sieht den Zeitpunkt der Regierungspräsentation "nicht zufällig gewählt“. Auch er sieht einen Zusammenhang mit der Wahl für Auslandstürken, die eben begonnen hat. Reimon: „Für viele türkische Wahlberechtigte ist das nun erst recht eine Motivation, Recep Tayyip Erdogan zu wählen.“ Die Regierung habe den Zeitpunkt der Verkündung mit Absicht gewählt, „denn Bundeskanzler (Sebastian, ÖVP, Anm.) Kurz braucht einen starken türkischen Präsidenten als Feindbild für seine Anti-Islam-Kampagne“.
Experten: „Spielt Erdogan in die Hände“
Auch Islamexperten gehen davon aus, dass gerade Erdogan besonders von den Entscheidungen der ÖVP-FPÖ-Regierung profitieren werde. Sie „spielen Erdogan in die Hände“, sind sich der Politologe Thomas Schmidinger und der Extremismusexperte und zugleich Finanzreferent bei den Grünen in Wels, Thomas Rammerstorfer, einig. Die Bekanntgabe zum Zeitpunkt der bereits begonnenen Wahl der Auslandstürken sei „verheerend“, sagte Rammerstorfer im Ö1-Mittagsjournal. Auch die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) bezeichnete den Zeitpunkt als unglücklich gewählt - mehr dazu in religion.ORF.at.
Im Kontext der türkischen Wahl könnte diese Aktion „Wasser auf den Mühlen der Rechten“ sein, fürchtet Schmidinger: „Den Gegnern des autoritären Regimes in der Türkei ist damit sicher nicht geholfen.“
Rechtsextreme Moschee in Wien-Favoriten
Rammerstorfer schrieb ein Buch über den Einfluss der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe in Österreich und Deutschland. Die den Grauen Wölfen zugeschriebene Moschee in Wien-Favoriten, die die Regierung per Bescheid nun schließen will, wird laut Schmidinger „definitiv von einer rechtsextremen Partei“ betrieben. Diese habe sich aber von den Grauen Wölfen abgespalten, da ihnen diese „zu gemäßigt“ seien.
Thomas Langpaul zum Vorgehen der Regierung
Waren die Schritte der Regierung gegen den „politischen Islam“ erwartbar? Thomas Langpaul berichtet.
Diese kleine Abspaltung habe bei der vergangenen Wahl in der Türkei 0,53 Prozent der Stimmen gehabt, sagte Rammerstorfer: „Ich habe den Verdacht, dass hier eine sehr kleine, unbedeutende Gruppe als Bauernopfer herhalten muss, dass die Regierung ihre angeblichen Maßnahmen inszenieren kann“ - Audio dazu in oe1.ORF.at. Vertreter des von der Schließung betroffenen Moscheevereins in Wien-Favoriten zeigten sich am Freitag schockiert über die Schließung: „Wir haben damit nicht gerechnet.“ Es sei bereits Einspruch gegen die Schließung erhoben worden - mehr dazu in wien.ORF.at.
Rammerstorfer glaubt nicht, des Problems der Desintegration vieler Menschen durch Repression und die Schließung von Moscheen Herr zu werden. Auch Schmidinger zeigte sich skeptisch, ob eine Verbotspolitik die Haltung der Betroffenen ändern könne. Beide Experten hielten integrations- und bildungspolitische Maßnahmen für sinnvoller.
Politologe erwartet weiter Steuerung aus Türkei
Schmidinger kritisierte die „populistische“ Vorgangsweise der Regierung. Dass das im Islamgesetz festgeschriebene Verbot der Auslandsfinanzierung nicht eingehalten werde, überrasche ihn nicht: „Ich verstehe es, dass man dann durchgreift.“ Es sei aber fraglich, ob das irgendetwas zum Positiven verändere. Viel eher werde sich dadurch der türkische Verein ATIB noch mehr an den Rand gedrängt fühlen und versuchen, die Imame mit legalen Umgehungsstrukturen zu finanzieren.
Der Politologe erwartet nicht, dass ATIB nun weniger von der Türkei gesteuert werde. Die Finanzierung aus dem Ausland gehe über eine Gehaltsüberweisung des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet). Von dort gebe es regelmäßige Überweisungen, war aus dem Kultusamt zu erfahren.
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