„Feinabstimmung mit der Kommission“
Die gesamte Bundesregierung hält sich am Mittwoch in Brüssel auf, um dort den Ministerrat abzuhalten. Details zum bereits bekannten Programm zum im Juli beginnenden EU-Ratsvorsitz wurden angekündigt, Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach anlässlich des pompösen Auftritts von einer vor Vorsitzübernahmen üblichen „Feinabstimmung mit der Kommission“.
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Mit dem Ratsvorsitz gebe es „die Möglichkeit, noch stärker mitzugestalten, als wir es ohnehin schon tun“, sagte Kurz nach dem Ministerrat. Man wolle „Brückenbauer in der EU“ sein, das „Miteinander“ solle wieder zunehmen. Das Motto „Ein Europa, das schützt“ gelte für alle Bereiche, von Migration und Grenzschutz bis zur Integration des Westbalkan. Wichtig sei, „Europa sicherer gegen illegale Migration“ zu machen.
„Feinabstimmung“ an Ort und Stelle
Man wolle an Ort und Stelle die Gelegenheit nützen, „die Feinabstimmung“ mit der Kommission vorzunehmen, sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Auf dem Balkan sei „über Albanien eine neue Flüchtlingsroute aufgemacht“ worden, hier sehe man sich als Ratsvorsitzender auch in der Verantwortung. In der Flüchtlingskrise sei es zu „dramatischen Entwicklungen“ gekommen. Es sei auch „stümperhaft agiert“ worden.

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Kurz neben Österreichs EU-Botschafter Nikolaus Marschik, Strache und viele Minister
Man sei ab dem 1. Juli gefordert, einen „neuen Weg“ beim Flüchtlingsthema zu gehen, man solle darauf fokussieren, wo man in der EU einer Meinung sei, so Kurz. Das sei etwa der Außengrenzschutz und die Aufgaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Man müsse darauf schauen, das „Ertrinken beenden zu können“, so Kurz.
„Keine Denkverbote“ bei Personenfreizügigkeit
Strache sagte auf Nachfrage, „keine Einschränkung der Personenfreizügigkeit angeregt oder gefordert“ zu haben. Es müsse aber möglich sein, über nicht positive Entwicklungen zu diskutieren. Es könne keine Denkverbote geben.
ORF-Korrespondent Peter Fritz berichtet aus Brüssel
Welchen Zweck ein solch unüblicher Ministerrat in der EU-Hauptstadt hat, berichtet ORF-Korrespondent Peter Fritz aus der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel.
Es gebe das Problem, dass „Personal aus Osteuropa abgezogen wird und so eine dramatische Ausdünnung stattfindet und kaum mehr Ärzte und Pflegekräfte in Osteuropa“ seien, weil die anderen Staaten die „Qualifizierungsstruktur abziehen, zum Nachteil anderer Länder“. Strache gab zu, dass „auch zum Teil wir versagt haben, weil wir zu wenig ausgebildet haben“. Kurz sagte dazu, es gebe bei der Personenfreizügigkeit „nicht viel zu ergänzen“. Im Zweifelsfall reiche ein Blick ins Arbeitsprogramm der Regierung.

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Die Mitglieder der Bundesregierung bei der Anreise nach Brüssel
„Intensive Verhandlungsführung“
FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl umriss die außenpolitischen Herausforderungen für die EU und im Zuge des nächsten Halbjahres insbesondere auch für Österreich. EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) thematisierte die „Brexit“-Verhandlungen und die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen - beides seien auch Herausforderungen für den EU-Vorsitz, nötig sei eine „intensive Verhandlungsführung“.

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Der Ministerrat war nach 20 Minuten wieder vorbei - Beschlüsse sind im Ausland formell ohnehin nicht erlaubt
Auf die Frage, ob er die EU-Grenzschutzagentur Frontex weiter als Schlepperorganisation bezeichnen würde, war Strache um Klarstellung bemüht: „Ich habe Frontex nicht als Schlepperorganisation bezeichnet oder verurteilt, aber das politische Mandat damals war ein falsches. Wenn man Menschen vor der Küste Afrikas abfängt, um sie nicht zurückzubringen, sondern nach Europa, ist das der falsche Weg. Das hat letztlich der organisierten Kriminalität und der Schleppermafia bis zu einem gewissen Grad geholfen“, so Strache.
Regierung traf Kommission
Im nahe der Ständigen Vertretung gelegenen Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der EU-Kommission, traf der Regierungstross später mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und den EU-Kommissaren zusammentreffen - zur „Feinabstimmung“, wie Kurz sagte, daneben gab es bilaterale Gespräche zwischen einzelnen Ministern und Kommissaren.

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EU-Kommission mit österreichischer Regierungsdelegation als Gruppenbild
Aussprache „besonders intensiv“
Es sei eine „Aussprache“ zwischen der Regierung und der Kommission gewesen, auch im Vorgespräch mit den Koalitionsspitzen habe er den Eindruck gehabt, dass die Regierung „proeuropäisch“ ausgerichtet sei. Es sei tatsächlich wichtig, auf die Befindlichkeiten der einzelnen Regionen zu achten.
Er habe schon viele solcher Anlässe erlebt, sagte Juncker, dieser sei aber besonders intensiv gewesen, so der Kommissionspräsident. Lob gab es für die Minister, es habe sich um eine „sehr offene Aussprache“ gehandelt. Juncker betonte, der Präsidentschaft „mit sehr großen Erwartungen“ entgegenzusehen. Die Vorstellungen von Kommission und Regierung gingen „Hand in Hand“. „Sebastian“ sei ein guter Freund, man habe heute vor allem darüber geredet, „wie die Dinge sein könnten“. Der Vorsitz werde ein Erfolg werden, war sich Juncker sicher.
Kurz kündigte in seinem Statement eine Subsidiaritätskonferenz an. Noch einmal sagte er, „einen Schritt nach vorne beim Außengrenzschutz machen“ zu wollen. Generell wolle er „mehr Ordnung in der EU sicherstellen“, so Kurz. Juncker fügte hinzu, dass dafür bereits Finanzmittel eingeplant seien.
Kosten für Ratsvorsitz deutlich höher?
Zuletzt hatte die „Presse“ berichtet, dass der österreichische Ratsvorsitz deutlich teurer sein werde als bisher angenommen. Anlässlich der Budgetberatungen schickte die SPÖ Anfragen zu den Kosten für den Ratsvorsitz an alle Ministerien. Laut den der Zeitung vorliegenden Beantwortungen rechnet man mit 92,8 Mio. Euro an Sachkosten für das zweite Halbjahr 2018. Zusätzliche Personalkosten seien dabei noch nicht berücksichtigt.
Rechne man die Erfahrungswerte aus vergangenen Ratspräsidentschaften hoch und dazu, sei mit Kosten von 120 Millionen Euro zu rechnen. Bisher hatte Kurz stets von zusätzlichen 43 Mio. Euro an Kosten für den Ratsvorsitz gesprochen. SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried warf der Regierung eine absichtliche Täuschung der Öffentlichkeit vor. SPÖ-Chef Christian Kern ortete eine „Luxus-EU-Ratspräsidentschaft“ und sprach von einer „unnötigen und teuren Klassenfahrt nach Brüssel“. Der entsprechende Tweet dazu wurde später durch einen anderen ersetzt.
Kurz verteidigt: „Üblicher Vorgang“
Es sei „üblich, dass die Kommission die gesamte Bundesregierung einlädt, bevor der Ratsvorsitz übernommen wird“, so Kurz auf ORF-Nachfrage bei der Ankunft der Delegation. Man treffe „mit der gesamten Kommission zusammen, um das Programm zu präsentieren“, so der Kanzler. Strache bezeichnete das Kern-Statement als „eigenartige Kritik“, dieser sei stets „mit dem Privatjet geflogen, nicht wie wir in der Economyclass“, so Strache.
Ministerrat in Brüssel
Erstmals überhaupt ist die gesamte Bundesregierung inklusive beider Staatssekretäre nach Brüssel gereist - Anlässe: ein Ministerrat dort und ein Termin bei der EU-Kommission.
Bei dem Treffen mit der EU-Kommission gehe es darum, die Kontakte zu intensivieren, sagte ÖVP-Justizminister Josef Moser. Auch im Hinblick auf die kommende EU-Wahl gehe es ferner um eine gute Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament. „Wir wollen erfolgreich sein.“ Angesprochen auf Stolpersteine sagte Moser, „es gibt immer wieder Probleme, die da sind, aber es geht in die Richtung, Lösungen herbeizuführen. Dem dienen auch die heutigen Gespräche.“

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Regner sieht Österreich „in Schmuddelecke Europas“
Die Delegationsleiterin der SPÖ im EU-Parlament, Evelyn Regner, forderte ein Ende der Selbstinszenierung: „Während man sich gerne proeuropäisch gibt, werden alle wirklichen Probleme bei netten Fototerminen weggelächelt“, so Regner. Zugleich warnte sie vor den tatsächlichen Absichten der Regierung: Für eine gute Vorsitzführung sei „ein ehrliches Interesse am Ausgleich“ erforderlich, „stattdessen eskaliert und provoziert Schwarz-Blau ganz bewusst“, so Regner. Diese Regierung führe Österreich „in die Schmuddelecke Europas“.
„Künstliche Debatte über Sicherheit und Flucht“
Die Grünen erwarten von der Regierung „mehr, als nur ihre Wahlkampfmethoden von der letzten Nationalratswahl in die Ratspräsidentschaft hineinzuziehen“, sagte deren Ko-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Monika Vana. Erkennbar sei „ein fehlendes Bekenntnis der schwarz-blauen Regierung für ein gemeinsames Europa“. Stattdessen solle eine künstliche Debatte über Sicherheit und Flucht geführt werden. „Wichtige Reformen bleiben damit auf der Strecke.“
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