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Kunst und ihre bizarren Mechanismen

Vor genau 50 Jahren hat die radikale Feministin Valerie Solanas in New York drei Schüsse auf Andy Warhol abgefeuert. Der Pop-Art-Künstler überlebte knapp. In der Folge wusste er die entstandene Aufmerksamkeit geschickt zu nutzen. Der Mordversuch wurde zum wesentlichen Grundstein für die Weltkarriere Warhols, der die Spuren des Attentats in seinem Schaffen wirkungsvoll zu inszenieren wusste.

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Warhol und Solanas waren bereits länger miteinander bekannt. Die feministische Schriftstellerin hatte sich im Umfeld von Warhols Künstlerkommune Factory bewegt und war in einer der Arbeiten Warhols als Schauspielerin zu sehen. Mit ihrer damals verfassten Schmähschrift „SCUM Manifesto“, in der sie auf radikale Weise mit der Unfähigkeit der Männer abrechnete, hatte sie es in New York zu geringfügiger Aufmerksamkeit gebracht. Von Warhol und seiner Riege an Künstlerinnen, Künstlern und Freaks erwartete sie entscheidende Impulse für ihre eigene Karriere.

Attentäterin von Andy Warhol (Mitte)

picturedesk.com/Everett Collection/Orion

Valerie Solanas (Mitte): Das Attentat trieb die Preise für Warhols Werke in die Höhe

Warhol war in den 1950er Jahren als Industrie- und Werbegrafiker bekannt geworden, schlug jedoch ab den 1960er Jahren zunehmend eine künstlerische Laufbahn ein. Er schuf Siebdrucke, die mit seriellen Verfremdungen von Porträts Prominenter, aber auch mit Konsumgütern wie Dosensuppe arbeiteten. Warhol experimentierte ebenso mit dem Medium Film und inszenierte multimediale Events. Von Weltruhm war noch keine Rede, doch er war Liebling der New Yorker Kunstszene.

Ablehnung als Auslöser

Als entscheidender Auslöser für die Schussattacke gilt die Ablehnung Warhols eines von Solanas verfassten Theaterstückes. „Up Your Ass“ war selbst Warhol zu provokant gewesen. Eine folgenreiche Zurückweisung: Solanas hatte Warhol am Nachmittag des 3. Juni 1968 in der Factory abgepasst und feuerte kurz darauf mit einem Revolver dreimal auf ihn.

"Campbell's Soup II" von Andy Warhol

Reuters//Luke MacGregor

„Campbell’s Soup Cans II“ (1969): Sie gehören zu Warhols bekanntesten Werken

Der letzte Schuss traf Warhol in die Brust. Bei der Ankunft Im Krankenhaus war er für kurze Zeit klinisch tot. Auch der anwesende Kunstkritiker Mario Amaya wurde angeschossen. Ein anderer Factory-Mitarbeiter war nur deshalb verschont geblieben, weil Solanas’ Waffe Ladehemmungen hatte. Die Täterin flüchtete, stellte sich aber wenige Stunden später der Polizei.

Der Grundstein für einen Mythos

Warhol habe zu viel Kontrolle über ihr Leben ausgeübt, schilderte Solanas gegenüber dem Untersuchungsrichter. Ebenso hatte sie im Zug der Vernehmungen auf ihr „SCUM Manifesto“ verwiesen, worin auch die Rede davon ist, dass Männer ausgerottet gehörten – wenn auch mit einem starken polemischen Unterton.

Der Anschlag war ein Thema, das Medien und die Öffentlichkeit intensiv beschäftigte. Der Grundstein zum großen Mythos Warhol war gelegt worden. Und Warhol machte nach seiner Genesung beim medialen Spiel gerne mit.

Attentat als Preistreiber

Warhol bezog ein neues Atelier und legte größten Wert auf Sicherheit. Er gab diverse Führungsagenden ab, was die Factory zunehmend zu einer Kunstmaschinerie hat werden lassen, die die Entwicklung der Pop-Art maßgeblich prägte. Das Open-House-Prinzip der Factory, in der gearbeitet, gewohnt und gefeiert worden war, hatte ein Ende.

"Brigette Bardot" von Andy Warhol

Reuters/Toby Melville

Bild aus Warhols Porträtserie der französischen Schauspielerin Brigitte Bardot (1974)

Doch vor allem hatte das Attentat einen Effekt: Die Preise für Warhols Arbeiten wurden schlagartig in lichte Höhe getrieben. Zwar konnte sich Warhol damals nicht über mangelndes Interesse an seinen Arbeiten beklagen. Doch Drucke, die bis dahin um wenige hundert Dollar gehandelt wurden, erzielten auf einmal Preise im fünfstelligen Bereich.

Anfang und Ende der Pop-Art

Der stets um Öffentlichkeit bedachte Warhol hatte keine Hemmungen, das Attentat großflächig medial auszuschlachten. Die Narben der Schusswunden hat er von Starfotograf Richard Avedon kunstvoll ablichten lassen. Warhol hat auch die gestiegene Bedeutung jener Werke, die während des Vorfalls beschädigt worden waren, zur Vermarktung genutzt.

Gemälde von Andy Warhol

Reuters/Stefan Wermuth

Ebenfalls ikonisch: Die Marylin-Monroe-Gemälde des US-Künstlers

Warhol stieg in der Folge zu einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts auf, der als wichtigster Vertreter der Pop-Art Wesentliches zu deren globalen Bedeutung beigetragen hat. Wobei es noch eine andere Lesart des Attentates gibt: Manchen gilt es im Sinne eines authentischen und vom Kunstmarkt unbeeinflussten Kunstschaffens als das Ende der wahren Pop-Art.

Spuren in der Popkultur

Der gewaltsame Vorfall hat in der Popkultur für Inspiration gesorgt. Im Jahr 1996 wurde die Geschichte unter dem Titel „I Shot Andy Warhol“ von der kanadischen Regisseurin Mary Harron verfilmt. Zehn Jahre später kam der Stoff in Form des Films „Factory Girl“ mit Sienna Miller erneut in die Kinos. Beide Filme nähern sich dem Thema anhand Solanas’ Geschichte, die überaus tragisch zu Ende gegangen ist. Nach der dreijährigen Haftstrafe für den Mordversuch lebte sie als Obdachlose und starb im Jahr 1988 an einer Lungenkrankheit. Warhol war ein Jahr zuvor an den Folgen einer Operation verstorben.

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