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Sprachnachweis „diskriminierend“

Die von der Regierung am Montag vorgestellten Pläne für eine österreichweite Regelung der Mindestsicherung rufen bei Juristen Zweifel hervor, ob alle Vorschriften mit der Verfassung und EU-Recht zu vereinbaren sind. Im Mittelpunkt der Kritik steht der von der Regierung geplante Arbeitsqualifizierungsbonus.

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Dieser Bonus von 300 Euro ist in der maximal möglichen Mindestsicherung von 863 Euro monatlich bereits enthalten - für Inländer mit zumindest Pflichtschulabschluss. Ausländern werden die 300 Euro gestrichen, wenn sie nicht bestimmte Kenntnisse in Deutsch (B1-Niveau) oder Englisch (C1-Niveau) und die Erfüllung der Integrationsanforderungen wie einen Wertekurs nachweisen können.

Diese Streichung bei EU-Bürgern, die fünf Jahre im Land sind, hält der EU-Rechtsexperte Walter Obwexer für unzulässig: „EU-Bürger dürfen keinen besonderen Integrationsvoraussetzungen unterworfen werden“, sagte er im Ö1-Morgenjournal - mehr dazu in oe1.ORF.at. Bei Asylberechtigten und langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsbürgern sei die Kürzung der 300 Euro zumindest „nicht unproblematisch“.

Sprachnachweis für EU-Bürger?

Grundsätzlich seien die fünfjährige Wartefrist auf die Mindestsicherung für Ausländer und der zusätzliche 300-Euro-Bonus rechtskonform. Entscheidend sei aber die konkrete Ausgestaltung der neuen Regeln. EU-Bürger müssen laut Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den ersten fünf Jahren Aufenthalt selbst über ausreichende Mittel zur Sicherung ihrer Existenz verfügen. Danach dürften EU-Bürger ab dem Zeitpunkt des Daueraufenthaltsrechts aber nicht anders behandelt werden als Österreicher und müssten daher auch ohne Sprachnachweis Anspruch auf die Maximalhöhe der Mindestsicherung haben, so Obwexer.

Europarechtsexperte Walter Obwexer

APA/Hans Punz

Für den Europarechtsexperten Obwexer verstoßen manche Punkte der Mindestsicherung gegen EU-Recht

Der EU-Rechtler Franz Leidenmühler sieht im „Standard“-Interview den Sprachnachweis auch bei Asylberechtigten als heikel an. Das widerspreche einer EU-Richtlinie, dass Asylberechtigten der Zugang zur notwendigen Sozialhilfe wie Staatsangehörigen gewährt werden muss. Für Leidenmühler ist der Nachweis von Sprachkenntnissen eine „diskriminierende Zugangsvoraussetzung“.

Für AK-Experten „problematisch“

Die Experten der Arbeiterkammer (AK) halten die Pläne der Regierung für „problematisch“: Durch die Kürzungen bei Familien mit mehreren Kindern und die Maßnahmen bei anerkannten Flüchtlingen werde die Armutsgefährdung steigen, sagte AK-Ökonomin Sylvia Leodolter am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz in Wien.

AK-Ökonom Markus Marterbauer forderte mehr Unterstützung bei der Qualifizierung, insbesondere durch Deutschkurse. Das Integrationsjahr für Flüchtlinge sollte bleiben. Die Regierung sollte die aktuelle Hochkonjunktur und die gute Budgetlage nutzen, um in die Qualifizierung von Arbeitslosen und prekär Beschäftigten zu investieren, damit sie auf dem Arbeitsmarkt teilnehmen können. Das würde zwar kurzfristig Kosten verursachen, wäre aber mittel- und langfristig eine lohnende Investition, weil sie nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen wären.

Fall für Höchstgerichte

Mit dem Arbeitsqualifizierungsbonus will die Regierung es rechtlich ermöglichen, Flüchtlingen und Ausländern weniger Mindestsicherung zu zahlen. Ein anerkannter Flüchtling mit positivem Asylbescheid, aber schlechten Deutschkenntnissen, der noch nie einen Beitrag zum österreichischen System geleistet habe, bekomme daher nur 563 Euro, hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag gesagt.

Dass Drittstaatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen 300 Euro gestrichen werden, ist laut Obwexer „zweifelhaft“. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention müssen Asylberechtigte dieselbe öffentliche Fürsorge wie Staatsbürger erhalten. Derzeit prüft der EuGH die Mindestsicherung in Oberösterreich. Ein Asylberechtigter hatte Beschwerde gegen seine Schlechterstellung eingelegt.

Verfassungsrechtler zur Mindestsicherung

Rechtsexperten sehen mehrere heikle Punkte bei der neuen Mindestsicherung. Einer ist die Wartefrist von fünf Jahren für Ausländer, meint Verfassungsrechtler Theo Öhlinger.

Für den Verfassungsrechtler Theo Öhlinger ist bei den geplanten Kürzungen für Asylberechtigte auch fraglich, ob die 563 Euro ausreichend für die Erfordernisse eines menschenwürdigen Lebens sind. Auch Obwexer sieht bei dieser Frage die Höchstgerichte am Zug. Denn die Länder haben darüber hinaus noch die Möglichkeit, die Mindestsicherung zu kürzen, wenn die Wohnkosten bei ihnen niedriger sind.

Integrationsmaßnahmen nicht vereiteln

Obwexer verwies bei den Drittstaatsangehörigen auch auf ein Urteil des EuGH in einem Fall aus den Niederlanden: Es ist ein Verstoß gegen die europarechtlichen Vorgaben, wenn für jede nicht bestandene Prüfung über Sprach- oder Landeskenntnisse 1.000 Euro Verwaltungsstrafe kassiert werden. Denn ein Staat dürfe zwar Integrationserfordernisse verlangen, aber die Modalitäten müssten so gestaltet sein, dass sie nützliche Integrationsmaßnahmen nicht vereiteln.

Der geplante Arbeitsqualifikationsbonus wäre zwar „ein bisschen etwas anderes“, so Obwexer. Dennoch wäre es problematisch, wenn eigentlich integrierten Personen, die ausreichend - aber nicht auf dem geforderten hohen Niveau - Deutsch können, 300 Euro gestrichen würden.

SPÖ kritisiert „Kürzungsorgie“

Scharfe Kritik gibt es auch von SPÖ und Liste Pilz. Die SPÖ kritisierte die geplante Reform als „Kürzungsorgie“ bei den sozial Schwächsten. „Anstatt mehr Unterstützung bei Jobqualifizierung und Integration anzubieten, wird hier nur gekürzt, egal ob In- oder Ausländer“, kritisierte SP-Sozialsprecher Josef Muchitsch und warf der Regierung vor, den Sozialstaat zerstören zu wollen. Die Regierung spare im Gesundheitssystem und in der Mindestsicherung, dafür gebe es Steuergeschenke für Immobilien-Investoren („ÖVP-Wahlkampfgroßspender“).

Für Daniela Holzinger von der Liste Pilz bringt die Reform der Mindestsicherung eine Reihe von Belastungen für Menschen am Rande der Gesellschaft. Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) verteidigte die geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung dagegen mit Verweis auf den bereits eingeführten Steuerbonus für erwerbstätige Familien („Familienbonus“).

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