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Auf Kriegsfuß mit den Finanzmärkten

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich am Sonntag einer Wiederwahl stellt, hat seine Landleute dazu aufgerufen, den Absturz der Landeswährung Lira mit Stützungskäufen zu bremsen.

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„An meine Brüder, die Dollars und Euros unter ihren Pölstern haben: Geht und wechselt euer Geld in Lira um“, sagte Erdogan Ende Mai bei einer Wahlkampfveranstaltung in der osttürkischen Stadt Erzurum. „Wir werden dieses Spiel gemeinsam zerstören.“ Mit „Spiel“ meinte Erdogan offenbar die Abwertung der Lira, für die er alle möglichen Kräfte, nur nicht seine Politik verantwortlich macht.

Die türkische Landeswährung hat heuer gegenüber dem Dollar etwa 20 Prozent ihres Werts verloren. Finanzinvestoren kehrten dem Land den Rücken, nachdem Erdogan angekündigt hatte, die Notenbank nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 24. Juni unter politische Kontrolle stellen zu wollen. Ihm ist ihre Hochzinspolitik ein Dorn im Auge.

Experten sehen Problem auch in Erdogan

Ironischerweise führte Erdogans Ankündigung aber dazu, dass die Währungshüter stark an der Zinsschraube drehten, um den Verfall der Landeswährung einzudämmen. Zuletzt hob die Notenbank den Schlüsselzins von 13,5 Prozent auf das Rekordniveau von 16,5 Prozent an. Die Talfahrt der Lira setzte sich trotzdem fort, weil weiterhin mit einem Sieg Erdogans bei der Präsidentschaftswahl gerechnet wird.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

AP/Matt Dunham

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht mit den Finanzmärkten auf Kriegsfuß und vice versa

Neben den Investoren geben sich auch Experten skeptisch zu den Präsidentenplänen, denn sie sehen Erdogan selbst als Problem für die Festigkeit der türkischen Währung. Die Sorge in Sachen Lira sei, dass sich Investoren zunehmend - auch schon vor der Bekanntgabe von Erdogans Plänen für nach der Wahl - aus der türkischen Währung zurückziehen, erklärte kürzlich John Hardy, Analyst bei der Saxo Bank, einem dänischen Onlinebroker.

Nervöse Investoren

Das türkische Wirtschaftswachstum hätte auch den Lira-Kurs verbessern müssen, aber das größere internationale Wachstum habe den Kurs wieder gedrückt. Emotionen seien der Hauptgrund für den Verfall der Lira dieses Jahr gewesen. Erdogans Kommentare hätten das nicht gerade verbessert, sagte Ziad Daoud, Chefökonom für den Nahen Osten bei Bloomberg.

Auch seien die Investoren über staatliche Eingriffe in die Währungspolitik, die auch noch die Unabhängigkeit der Zentralbank antasten würden, beunruhigt. Einigen sei durch die Aussagen von Erdogan geradezu mulmig zumute geworden. Unglücklicherweise sind allerdings nervöse Investoren das Letzte, was Erdogan für die Stabilisierung der Lira brauchen kann", so Daoud in einem Kommentar.

Präsident will Zentralbank lenken

Erdogan will die Notenbank im Falle eines Wahlsieges stärker unter seine Fittiche nehmen. Er geht davon aus, dass die Währungshüter dann seinem Wunsch nach niedrigeren Zinsen folgen werden, hatte Erdogan kürzlich in einem Interview mit Bloomberg TV gesagt. Wenn die Bevölkerung wegen der Politik der Zentralbank Probleme habe, würde sie den Präsidenten dafür verantwortlich machen, so Erdogan. Daher müsse er eingreifen. Die türkische Notenbank hatte zuletzt die Zinsen angehoben, um gegen die hohe Inflation im Land und die schwache Währung anzukämpfen, das hielt die Talfahrt der Lira jedoch nicht auf.

Markige Sprüche im Wahlkampf

Am 24. Juni wird in der Türkei erstmals gleichzeitig sowohl der Präsident als auch das Parlament gewählt - dementsprechend heiß läuft inzwischen der Wahlkampf. Bereits Anfang Mai hatte Erdogan mit markigen Worten die Finanzmärkte des eigenen Landes unter Druck gebracht. Die Türkei müsse die Zinsen senken, weil sie die „Mutter allen Übels“ und Grund für Inflation seien, sagte der Präsident.

Außerdem holte er zu einem Rundumschlag gegen alles aus, was mit internationalen Finanzmärkten zu tun hat. „Devisenspekulanten, die Zinslobby und Feinde der Türkei unter dem Deckmantel von Ratingagenturen sind unsere Sache nicht“, sagte Erdogan vor Unternehmensvertretern. Anfang Mai hatte die US-Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) die Bewertung der türkischen Kreditwürdigkeit auf „BB-“ gesenkt - unter anderem mit Verweis auf die hohe Inflation.

Wirtschaft in heikler Lage

Bereits seit März ist die Lira stark unter Druck und fällt von einem Rekordtief zum nächsten. Zuvor hatten die historisch niedrigen Zinsen in Industrieländern lange Zeit viel Geld internationaler Investoren in Schwellenländer wie die Türkei gelockt. Doch die Leitzinserhöhungen in den USA und die in Aussicht stehende allmähliche Abkehr vom Krisenmodus der Geldpolitik im Euro-Raum lassen nun umgekehrt wieder Geld aus Schwellenländern abfließen. Das setzt die dortigen Währungen unter Druck.

Die Türkei ist davon besonders stark betroffen, weil sich hier die Wirtschaft trotz eines nach offiziellen Zahlen äußerst hohen Wachstums in einer sehr heiklen Lage befindet. Die schwache Landeswährung verteuert die Importe - und das in einem Land, dessen Einfuhren die Ausfuhren chronisch übersteigen.

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