Der „Hut des Präsidenten“
In der Debatte über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 vertritt Österreich zusammen mit anderen Nettozahlern wie den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Finnland bisher strikt den Standpunkt, dass es nach dem „Brexit“ und ungeachtet großer neuer EU-Vorhaben zu keiner Aufstockung der Beiträge kommen soll. Ab 1. Juli ist es für Österreich allein mit dem Festhalten an der eigenen Position aber nicht mehr getan.
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An diesem Tag übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft, und mit dieser Funktion stehen dann auch die schwierige Suche nach einem Kompromiss und im besten Fall das Finden einer Einigung auf dem Programm. Geht es nach Guntram Wolff von der Denkfabrik Brussels European and Global Economic Laboratory (BRUEGEL), habe es für Österreich dann „natürlich keinen Zweck“, davon auszugehen, dass die eigene Position mit dem Ratsvorsitz leichter durchzubringen sei.
Kommission will 1,1 Prozent
Österreich tritt mit den anderen Nettozahlern Niederlande, Dänemark, Schweden und Finnland dafür ein, dass das EU-Budget nicht den derzeitigen Rahmen von einem Prozent des Bruttonationalprodukts (BNE) übersteigt. Der Vorschlag der EU-Kommission dagegen sieht 1,11 Prozent der Wirtschaftsleistung vor und jener des EU-Parlaments 1,3.
Mit „jedes Mal, wenn man die Ratspräsidentschaft übernimmt, dann hat man zwei Hüte auf“, bringt Wolff die Problematik gegenüber ORF.at auf den Punkt. Es sei zwar durchaus legitim, auch die eigenen Interessen weiter zu vertreten, „mit dem Hut des Präsidenten“ müsse man allerdings „letztlich schon den Kompromiss suchen“.
„Nach außen harte Haltung“
Auch beim Brüsseler Centre for Policy Studies (CEPS) geht man davon aus, dass sich Österreich zumindest hinter den Kulissen um einen Kompromiss bemühen, „nach außen“ möglicherweise aber weiterhin „harte Haltung“ demonstrieren wird. „Die Regierung wird wohl zweigleisig verfahren“, sagt dazu CEPS-Direktor Daniel Gros, der wie Wolff gleichzeitig anzweifelt, dass es bereits unter Österreichs Ratsvorsitz zu einer Einigung kommen werde.
Gründe dafür gibt es viele, wobei Gros hier auch auf die Debatte über die „Nettozahlerpositionen“ verweist, die jede Budgetverhandlung „vergiftet“. Unter vorgehaltener Hand ist von anderer Seite aber auch davon die Rede, dass es für einen gänzlich ausgereiften Standpunkt bei den Mitgliedsländern schlichtweg noch zu früh sei, da in den europäischen Hauptstädten noch immer die Steilvorlage der Kommission „verdaut werden“ müsse. Diese sieht neben höheren Beiträgen auch Kürzungen bei den bisherigen Fördermitteln vor, und allein in dieser Frage gibt es bisher kaum eine Annäherung hin zu einem gemeinsamen Nenner.
„Alle werden Federn lassen“
Für BRUEGEL-Direktor Wolff erscheint es aber auch nicht weiter verwunderlich, dass jedes Land zunächst an seiner Position festhält und diese auch im Rat vertritt. Was bei Österreichs Position sehr wohl auffalle, sei einerseits ein Beharren darauf, dass bei „alten Positionen“ - und hier vor allem bei den Agrar- und Kohäsionsagenden - nicht gekürzt werden, andererseits aber „neue Positionen“ wie Grenzschutz gestärkt und drittens das Budget nicht erhöht werden soll.
Am Ende müsse aber „eine Null rauskommen“, und das bedeute, das man entweder mit den Einnahmen nach oben gehen oder bei den alten Prioritäten kürzen müsse, „oder die neuen Prioritäten werden halt noch nicht hochgefahren“. Die neuen Aufgaben reichen vom Ausbau des Außengrenzschutzes bis zum Ausbau des Erasmus-Programms. Wolle man daran festhalten, dann „braucht man in der Tat eine Budgeterhöhung“, so Wolff, der in diesem Zusammenhang auch an die zu füllende „Brexit“-Lücke erinnert.
Ob es zu einer Beitragserhöhung kommen werde, sei derzeit zwar noch nicht gänzlich absehbar, seinem „Bauchgefühl“ nach aber wahrscheinlich. Außer Frage steht für Wolff aber bereits jetzt: Es geht Richtung Kompromiss „bei dem alle irgendwie Federn lassen werden“.

APA/AP/Olivier Matthys
Für den EU-Finanzrahmen für 2021 bis 2027 gab es auf Ebene der EU-Staats- und –Regierungschef bereits Ende Februar bei einem Sondergipfel in Brüssel ein erstes Vorfühlen. Für Kanzler Kurz war schon damals eine Beitragserhöhung keine Option, und daran hat sich bis heute wenig geändert.
Verhandlungstaktik?
Gros verweist bei der Frage, ob es am Ende auf eine Beitragserhöhung hinausläuft, indes auf entsprechende Signale in Deutschland. Dort habe die Regierung ungeachtet der Skepsis innerhalb der Bevölkerung bereits angedeutet, dass man um einen höheren Beitrag wohl nicht herumkommen werde. Dem derzeit stärkeren Wirtschaftswachstum, durch das sich die aktuell bei rund einem Prozent des Bruttonationalprodukts (BNP) liegenden Beiträge ohnehin erhöhen dürften, gesteht Gros dabei nur eine „atmosphärische“ Rolle im Hintergrund zu, und zwar „in dem Sinne, dass die Finanzminister etwas mehr Spielraum haben“.
Was die genauen Hintergründe der österreichischen Position betrifft, könne man indes nur mutmaßen: Ob berechtigte Forderung, Verhandlungstaktik oder Reaktion auf die EU-Skepsis in der Bevölkerung bzw. die Haltung des Koalitionspartners FPÖ – „bis auf das Erste“ spielen wohl „alle Elemente eine Rolle“, sagt Gros gegenüber ORF.at dazu.
Angst „in der Sache unbegründet“
Dabei ist bisher selbst beim Kommissionsplan noch offen, mit welcher Mehrbelastung Österreich bei einer Umsetzung zu rechnen hätte. Laut Rainer Münz vom politischen Strategiezentrum der Europäischen Kommission ist in diesem Zusammenhang die zuletzt kolportierte „Mehrbelastung von einer Milliarde Euro bei einem Land, das derzeit nur 2,9 Milliarden pro Jahr zahlt, eine Angst, die in der Sache unbegründet ist: Das kann gar nicht sein." - Audio dazu in oe1.ORF.at.
Auch nach Angaben der Budgetexpertin des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO), Margit Schratzenstaller, gibt es zu den Kommissionsplänen bisher noch keine Berechnung, „was das für das einzelne Mitgliedsland heißt“, da zunächst „die groben Linien und Strukturen“ abzustecken seien. Gleichzeitig betrachtet die WIFO-Expertin Zusatzkosten für „sämtliche Länder“ bereits als ausgemachte Sache - und zwar selbst wenn das EU-Budget auf dem Niveau bleibt, auf dem es bisher schon ist.
„Mammutprojekt“
Vonseiten der österreichischen Bundesregierung ist unterdessen von einem „Mammutprojekt“ die Rede, das man nun während der Ratspräsidentschaft angehen wolle. Der für die EU-Agenden zuständige Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) verteidigte zuletzt auch vor dem Nationalrat die Position Österreichs, nämlich wie bisher ein Prozent des BNP in das Gemeinschaftsbudget einzuzahlen. Mit Verweis auf das erwartete Wirtschaftswachstum werde auch dann der EU-Haushalt wachsen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte bereits Ende Februar bei einem ersten Abtasten der EU-Staats- und Regierungschefs im Rahmen eines Sondergipfels in Brüssel eine starke, aber auch sparsame EU gefordert. Dort, „wo es möglich ist“, solle die EU „schlanker“ werden, um mehr Mittel für große Projekte zu haben, sagte Kurz damals - und an dieser Position hält die Regierung bis heute fest.
Wenn es um Kürzungen geht, geht schließlich auch zwischen der Kommission und dem EU-Parlament die Meinung auseinander. Einig sind sich die beiden EU-Institutionen aber darin, dass ohne die Bereitschaft, mehr Geld in die Hand zu nehmen, die von der Union von den Mitgliedsstaaten erwarteten Aufgaben niemals umsetzbar seien - ganz nach den mittlerweile geflügelten Worten von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker müsse Europa mehr wert sein als täglich eine Tasse Kaffee.
Links:
Peter Prantner, ORF.at, aus Brüssel/Agenturen