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„Ohne uns geht in Wahrheit nichts“

Der Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament, Othmar Karas, zeigt sich überzeugt, dass Österreichs ÖVP-FPÖ-Regierung ab 1. Juli eine professionell geführte EU-Ratspräsidentschaft abliefert. Dennoch wird sich erst weisen, inwieweit die hohen Erwartungen erfüllt werden, die neben Karas auch EU-Abgeordnete von FPÖ, SPÖ, Grünen und NEOS mit Österreichs EU-Ratsvorsitz verknüpfen.

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Gegenüber ORF.at sind sich alle befragten Europaabgeordneten jedenfalls einig: Es wartet weit mehr als das Abarbeiten eines dichten Programms, in dem das Finale der „Brexit“-Verhandlungen und die weitere Suche nach einem mehrjährigen EU-Finanzrahmen als „große Brocken“ hervorstechen. Die Rede ist von einem Europa am Scheideweg - notwendig seien nun zentrale Weichenstellungen, sei es für Österreichs weitere Rolle in Europa, sei es für die Zukunft der gesamten Europäischen Union.

Mehr als Dienstleister und Gastgeber

Es gebe derzeit das Gefühl, so Karas, dass Österreich „auf der anderen Seite des Tisches sitzt. Wir sitzen aber nicht auf einem anderen Teil des Tisches, und das sieht man an der Ratspräsidentschaft, wir sind Teil, wir sind mitverantwortlich.“ Der Ratsvorsitz müsse somit „als Auftrag verstanden werden, die Information und Kommunikation über die Rolle Österreichs innerhalb von Europa zu verstärken“.

Derzeit in Ratstroika

Ab 1. Juli Österreich übernimmt Österreich für sechs Monate von Bulgarien den EU-Ratsvorsitz. Österreich ist bereits jetzt Mitglied der Troika des EU-Rats, zu der derzeit neben Bulgarien auch Rumänien zählt, das ab Jänner 2019 übernimmt. Für Österreich ist es nach 1998 und 2006 der dritte und bis mindestens 2030 der letzte Ratsvorsitz.

Der Druck auf die österreichische Ratspräsidentschaft ist Karas zufolge jedenfalls sehr groß. Österreich sei während der sechs Monate nicht nur Dienstleister für die Europäische Union und aller Mitgliedsstaaten sowie Gastgeber für EU-Minister- und -Gipfeltreffen, Karas wünscht sich auch eine nachhaltige Rolle als Vermittler und Motor - erklärtes Ziel sei eine demokratischere, effizientere und handlungsfähigere EU.

EU-Parlament als „Partner des Rates“

Das EU-Parlament bezeichnet Karas als „Partner des Rates“, und gemeinsam gelte es, die auf dem Tisch liegenden Pakete abzuschließen. Notwendig sei Kooperation und nicht Schuldzuweisung, denn das „Europäische Parlament ist der Europäische Gesetzgeber, ohne uns geht in Wahrheit nichts“.

Ohne Konsens, ohne den Willen, etwas gemeinsam durchzusetzen, werde es keine Ergebnisse geben, und das gilt auch für die Themen, die „alles überlagern“. Ohne fertigen „Brexit“-Vertrag könne dieser von den Parlamenten nicht ratifiziert werden. Ohne Budget werde es bei den Aufgaben der Union „von der Bildung, über Jugendförderung bis zum Grenzschutz und die Forschung“ keine Ergebnisse geben. Und „wenn ich das Migrationspaket mit dem (EU-)Parlament nicht fertig mache, habe ich kein Migrationspaket“.

„Lauter Gefahren“

Entscheidende Schritte seien dann auch abseits des Arbeitsprogramms notwendig. So sei die Ratspräsidentschaft „eine große Chance für einen Stimmungswandel, auch im eigenen Land und nicht nur in Europa“. Schließlich werde sich bereits im Mai nächsten Jahres bei der Wahl eines neuen EU-Parlaments weisen, „ob sich die EU handlungsfähig und demokratisch weiterentwickelt oder zunehmend in Nationalismen, Protektionismen und Egoismen zerfällt“.

Ob bei den Entwicklungen in Ungarn, Polen und zuletzt in Italien, der Ermordung von Journalisten auf Malta und in der Slowakei, der Stärkung der politischen Ränder oder den immer wiederkehrenden Rufen nach EU- und Euro-Austritten: Karas ortet „lauter Gefahren“ für die Grundfesten der EU. Und die Kampfansage des ÖVP-Politikers an alle jene, „die Europa zerstören, blockieren oder schwächen wollen“, richtet sich auch gegen die FPÖ.

Für die Ratspräsidentschaft sei für ihn aber das Regierungsprogramm ausschlaggebend, das auch in der Europa-Agenda „die Handschrift von (Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian, Anm.) Kurz“ trage. Er selbst sei mit der FPÖ aber „in keiner Koalition“, und die politische Auseinandersetzung mit der „Europagegnerfraktion“ (Europa der Nationen und der Freiheit, ENF) müsse im EU-Parlament auch geführt werden, wenn die FPÖ in Österreich mitregiert.

Getrennte Wege im EU-Parlament

Geht es nach FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky, haben die getrennten Wege in Brüssel keinerlei Auswirkungen auf die Koalition in Wien. Vom österreichischen Ratsvorsitz erhofft sich Vilimsky indes vor allem neuen Schwung in der Debatte über die Ausrichtung der EU.

Vilimsky zufolge gelte es nun, den Diskussionsprozess auch auf EU-Ebene dorthin zu bewegen, worauf sich die österreichische Regierung bereits verständigt habe, nämlich „künftig weniger an Kooperationen, dafür dort, wo kooperiert wird, mehr und intensiver und besser“. So wie in vielen osteuropäischen Staaten ortetet Vilimsky dazu „zum Teil“ auch in Österreich „die Strömung, dass die EU nicht zu viel eingreifen soll“.

Hoffen auf „Besonnenheit der Verhandler“

Was die Schwerpunktthemen „Brexit“ und EU-Budgetrahmen betrifft, hofft Vilimsky auf die „Besonnenheit der Verhandler“. Beim „Brexit“ werde es „kein Problem sein, beide Seiten zufriedenstellend auseinander zu bringen“ - als Voraussetzung nennt Vilimsky hier „einigermaßen guten Willen“. Beim EU-Budget müsse sich hingegen erst weisen, „wohin die Reise geht“. Auch hier unterstütze er Österreichs Position, wonach eine nach dem „Brexit“ kleinere Gemeinschaft auch nicht mehr Geld benötige.

Fünf Szenarien für EU

Das „Weißbuch zur Zukunft Europas“ der EU-Kommission zeichnet Szenarien, wie die weitere Zukunft der EU aussehen könnte:

  • „Weiter wie bisher“
  • „Schwerpunkt Binnenmarkt“
  • „Wer mehr will, tut mehr“
  • „Weniger, aber effizienter“
  • „Viel mehr gemeinsames Handeln“

Migration? „Das wird ein Schwerpunktthema“, sagt Vilimsky, damit einher gehe auch die Forderung der „eigentlich gesetzlichen Verpflichtung des Schutzes der Außengrenzen“.

Angesprochen auf die Rolle des EU-Parlaments, wünscht sich Vilimsky eine Stärkung des „einzig direkt gewählten Vertretungskörpers der Europäischen Union“ - aber auch eine um die Hälfte verkleinerte Abgeordnetenzahl. Die Richtung, wohin sich die EU entwickelt, werde sich laut Vilimsky im kommenden Jahr bei der EU-Wahl, konkret durch das Abschneiden der „Zentralisten“ bzw. „Föderalisten“, weisen.

„Volksschulmilchmädchenrechnung“

Für SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner gilt es, noch während des Ratsvorsitzes indes gerade auf die FPÖ zu schauen. Das liege zum einen an deren „europafeindlicher“ Haltung, es stelle sich aber auch die Frage, „wie passt das zusammen“, so Regner, die den Freiheitlichen hier vorwirft, im EU-Parlament „gegen alles“ zu stimmen, „was sie in Österreich wollen“. Dennoch sei es wünschenswert, dass der Ratsvorsitz ein Erfolg wird und man am Ende sagen könne: „Es ist in der Europäischen Union etwas weitergegangen.“ Von Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sehe sie aber „in erster Linie PR-Arbeit“ - entsprechend gedämpft seien auch ihre Erwartungen an den EU-Ratsvorsitz.

Was die Schwerpunktthemen betrifft, sei der „Brexit“ „natürlich vorgegeben“ - bereits vorgegeben seien hier aber auch die politischen Linien, und auf Österreich warte somit „klassische Arbeit“. Weit „haariger“ werde es beim mehrjährigen Finanzrahmen. Eine Einigung noch unter Österreichs Ägide betrachtet Regner zwar als schwierig, entgegen der weitläufigen Meinung aber als durchaus machbar. Dagegen spreche aber auch wieder die bisherige Vorgehensweise der österreichischen Regierung, „eine Volksschulmilchmädchenrechnung, die sich nicht ausgehen kann“.

Ganz nach dem österreichischen Ratsvorsitzmotto wünscht sich Regner „Ein Europa, das schützt“, allerdings nicht nur die Außengrenzen. Österreich müsse sich während des Ratsvorsitzes auch für ein Europa einsetzen, das sozial und vor Steuerungerechtigkeit schützt. Die dafür notwendigen Ambitionen werden von Regner bei der Regierung bisher aber vermisst.

„Keine guten Signale“

Auch die Grünen orten bei der Sozialpolitik, aber auch beim Klimaschutz und den Menschenrechten bisher vor allem weiße Flecken. Angesichts der „in vielen Bereichen zu starken Eigenpositionen“ werde Österreich auch kaum als „neutraler Makler“ auftreten, was aus Sicht der grünen EU-Abgeordneten Monika Vana an sich Bedingung für die Ratspräsidentschaft sei.

Neben der Blockadehaltung beim EU-Budget verweist Vana auf die in Österreich ungeachtet aller EU-Bedenken auf den Weg gebrachte Indexierung der Familienbeihilfe. Österreich riskiere somit während seiner EU-Ratspräsidentschaft ein Vertragsverletzungsverfahren, und das sei „faktisch und symbolisch schon kaum mehr zu überbieten“.

Allesamt „keine guten Signale“, so Vana, die in diesem Zusammenhang das von Kurz ins Spiel gebrachte „Elitenthema“ Subsidiarität mit „Schwächung und Rückbau der EU und ein bisschen Renationalisierung“ übersetzt. Dazu kommt das von der Regierung ins Zentrum gerückte Thema Migration, bei dem Vana eine Fortsetzung des Wahlkampfs befürchtet. Von der FPÖ erwartet sich Vana schließlich, dass diese während der EU-Ratspräsidentschaft „noch etwas stillhalten“ werde, aber dann „etliche Konflikte mit der ÖVP“ ausbrechen dürften.

„Wird schwierige Präsidentschaft“

„Ich erwarte mir grundsätzlich eine konstruktive Haltung und einen Lösungsansatz“, sagt die NEOS-EU-Abgeordnete Angelika Mlinar zum anstehenden EU-Ratsvorsitz. Mit einer Regierung, „die zum Teil in der europafeindlichen Fraktion ENF sitzt“, werde es wohl dennoch eine „schwierige Präsidentschaft für Österreich“.

Dabei gelte es, „große Brocken zu lösen“, wobei Mlinar beim „Brexit“ noch reichlich Handlungsbedarf sieht und von einer „problematischen“ Haltung Österreichs beim EU-Budget spricht. Mit Blick auf das bei der Kommission und im EU-Parlament schon „fix und fertig auf dem Tisch“ liegende Migrationspaket äußert Mlinar indes die Hoffnung, „dass sich Österreich diesem annimmt und zu einer Lösung führt“.

Grundsätzlich müsse man sich während der EU-Ratspräsidentschaft darum kümmern, was für die 500 Millionen Bürger der Europäischen Union wichtig sei, „und nicht, was den österreichischen Boulevard glücklich macht“. Allerdings sei Österreich etwa beim langjährigen Finanzrahmen „nicht auf Lösungen ausgerichtet“ - hier wird Mlinar zufolge politisches Kleingeld verdient, und das gehe auf Kosten des gesamten europäischen Projekts.

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