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Im Fegefeuer der Eitelkeiten?

Genialer Schriftsteller? Eitler Selbstdarsteller? Beides? Spätestens seit dem Welterfolg „Fegefeuer der Eitelkeiten“ spalten sich an Tom Wolfe die Meinungen. Davon scheinbar unberührt veröffentlichte der US-Autor bis ins hohe Alter. Eine gute Woche vor Philip Roth ist Wolfe mit 88 Jahren gestorben.

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Ganz in Weiß, mit Maßanzug und Hut, so spazierte Tom Wolfe bis zuletzt noch hin und wieder durch sein New York, durch seine Upper East Side, wie Christina Horsten von der deutschen Nachrichtenagentur dpa schreibt. Langsam sei er gegangen, aber stolz und aufrecht. Spätestens seit seinem Weltbestseller „Fegefeuer der Eitelkeiten“ galt Wolfe als fester Teil des Literaturolymps. Am Montag starb der US-Schriftsteller in einem Krankenhaus in Manhattan, wie seine Agentin der dpa am Dienstag bestätigte.

Wolfe umgab immer etwas Mystisches, auch aus seinem Alter hatte er immer gerne ein Geheimnis gemacht. Während sein deutscher Verlag 1931 als Geburtsjahr angab, sprachen andere Quellen von 1930, wie beispielsweise die New Yorker Stadtbibliothek, die 2015 für mehr als zwei Millionen Dollar das aus 190 Kisten bestehende Archiv des Schriftstellers kaufte. Seine Tochter Alexandra hat nun das Alter ihres Vaters mit 88 Jahren angegeben.

US-Bestseller-Autor Tom Wolfe

AP/Jim Cooper

Tom Wolfe im Stanhope Hotel in New York im Jahr 2004. Damals war er 73 Jahre alt.

Streitlustig bis zuletzt

Wolfe hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zwischendurch hatte er sich immer mal wieder zurückgemeldet, streitlustig wie eh und je. 2016 griff er in „Das Königreich der Sprache“ beispielsweise Charles Darwins Evolutionstheorie und den Literaturwissenschaftler Noam Chomsky an. 2012 legte er sich in „Back to Blood“ mit den Eliten der Sonnenmetropole Miami an.

Wolfe polarisierte schon immer. Millionenfach verkaufte und erfolgreich verfilmte Bücher sowie treue Fans auf der einen Seite, scharfe Kritik des literarischen Establishments auf der anderen. „Massenunterhaltung“ sahen Größen der amerikanischen Literatur wie Norman Mailer und John Updike in seinen Werken, John Irving lästerte über die „Geschwätzigkeit“ seines Kollegen und erklärte sich unfähig, Wolfes ersten Roman zu Ende zu lesen.

Miterfinder des New Journalism

Auch Literaturkritiker zeigten sich gespalten. An seinem Status als „erster Pop-Journalist“ („Guardian“) und zumindest Miterfinder des New Journalism, der Literarisches und Nichtfiktionales mischt, wurde nicht gerüttelt. Wolfe hat sogar den Begriff „New Journalism“ geprägt - mit einer gleichnamigen Essaysammlung aus dem Jahr 1973. Sein Name wurde seither in einem Atemzug mit den Stars des Genres genannt, Truman Capote, Joan Didion und Hunter S. Thompson.

Wolfe perfektionierte auch das, was er „Sättigungsreport“ nannte: Ein Journalist widmete sich einem Thema über einen langen Zeitraum hinweg und zeichnete alle Beobachtungen detailreich - manchmal im Minutentakt - auf. Der britische „Guardian“ zitiert ihn in seinem Nachruf dazu mit Worten aus dem Jahr 1970: „Um wirklich ranzukommen, musst du manchmal sehr lange an der Seite der Menschen bleiben, über die du berichtest; lange genug, damit du auch wirklich dabei bist, wenn etwas Aussagekräftiges in ihrem Leben passiert.“

Zeitdiagnostiker mit bösem Biss

Wolfe galt als Gesellschafts- und Zeitdiagnostiker, der für jedes Jahrzehnt das passende literarische Sittengemälde lieferte. Aber der Autor galt auch als eitler Selbstdarsteller, als „Amerikas größter Satz-für-Satz-Angeber“ („Guardian“), der genüsslich die Schwächen anderer Menschen beschrieb. Wolfe leugnete das nie. „Wenn die meisten Schriftsteller ehrlich mit sich selbst wären, würden sie zugeben, dass sie nur das erreichen wollen: Vorher nahm sie niemand wahr, jetzt schon.“

Erste literarische Gehversuche als Kind

Geboren wurde Wolfe in Richmond im US-Bundesstaat Virginia in eine reiche Professoren- und Plantagenbesitzerfamilie. Seine Mutter führte ihn in die Künste ein, ließ den kleinen Tom in Ballett- und Stepptanz ausbilden, zeichnete und las viel mit ihm. Kaum neun, soll der Bub versucht haben, eine Biografie über Napoleon sowie einen illustrierten Band über Mozarts Leben zu schreiben.

Er studierte an der Eliteuniversität Yale und bewarb sich dann als Journalist. „Ich habe mehr als hundert Bewerbungen an Zeitungen geschrieben“, erzählte er einst der „Paris Review“. „Drei Antworten habe ich bekommen. Zwei Absagen.“ Die „Springfield Union“ in Massachusetts stellte ihn an.

Schreibblockade beim „Fegefeuer“

Über einige andere Zeitungsjobs landete Wolfe schließlich in New York und bei der Belletristik. „Acht Monate lang saß ich jeden Tag an meiner Schreibmaschine und wollte das ‚Fegefeuer der Eitelkeiten‘ anfangen und nichts passierte. Mir wurde klar, dass ich es nur schaffen kann, wenn ich mir eine Abgabefrist setze.“

Das Werk über die Geldgier von Wall-Street-Bankern und Kredithaien erschien Mitte der 80er Jahre zunächst als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Rolling Stone“ und wurde dann als Roman ein Welterfolg und mit Tom Hanks, Melanie Griffith und Bruce Willis verfilmt. Später folgten Erfolge wie „Ein ganzer Kerl“ und „Ich bin Charlotte Simmons“ sowie zahlreiche Reportagen und Essays.

Selbstzweifel und Spaß am Schreiben

Die Selbstzweifel seien geblieben, sagte der zweifache Vater Wolfe, der mit seiner Frau im 14. Stock eines eleganten Appartementhauses direkt am Central Park wohnte. „Man geht jeden Abend ins Bett und denkt, dass man die brillantesten Seiten aller Zeiten geschrieben hat, und am nächsten Tag merkst du, dass es nur Gefasel ist. Manchmal auch erst sechs Monate später. Das ist eine konstante Gefahr.“

Trotzdem sei ihm die Lust an seinem Job nie vergangen, sagte er einmal in einem Interview. „Der größte Spaß am Schreiben ist das Entdecken.“

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