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Vom Räuber zum Computerhacker

2016 hat es in ganz Schweden nur zwei Banküberfälle gegeben, 2008 waren es noch 110. Ein statistischer Einbruch, der nichts mit Sicherheitsmaßnahmen oder härteren Haftstrafen zu tun hat, sondern mit der spärlichen Beute. Bargeld ist in schwedischen Geldinstituten Mangelware. Schon in wenigen Jahren soll es laut Reichsbank gar keine Scheine und Münzen mehr geben. Sicherheitsrisiken bergen die bargeldlosen Systeme dennoch.

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1661 war Schweden das erste Land Europas, das Banknoten druckte. Gut 350 Jahr später könnte es die erste Nation werden, die Bargeld wieder abschafft. Egal ob in Bussen, auf Straßenmärkten, öffentlichen Toiletten oder bei der kirchlichen Kollekte - die Skandinavier zahlen fast alles mit Karte und Bezahl-Apps auf dem Smartphone. Viele Geschäfte akzeptieren Scheine und Münzen nicht einmal mehr. Mittlerweile haben weniger als die Hälfte der schwedischen Bankfilialen überhaupt noch Bargeld gelagert. Anders als früher zahlen sich Banküberfälle für Räuberinnen und Räuber einfach nicht mehr aus.

Mann steht am Bankomat

APA/Barbara Gindl

In keinem anderen Land der Welt, wird weniger Geld über Bankomaten behoben als in Schweden. Dort sind es nur 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Spektakuläre Überfälle sind Geschichte

In Schweden gab es vor einigen Jahren noch spektakuläre Raubüberfälle. Im September 2009 landete beispielsweise eine Gruppe von Räubern mit einem Hubschrauber auf dem Dach eines Bargelddepots im Süden Stockholms, das Banken belieferte. Laut „Guardian“ hatten die maskierten Männer 15 Minuten Zeit, um die Geldsäcke aus dem Depot zu schleppen, weil die Polizei nicht mit dem eigenen Hubschrauber anrücken konnte. Eine Bombendrohung im Polizeihangar und der Fund einer Tasche mit der Aufschrift „Bombe“ machten einen schnellen Einsatz unmöglich. Die Räuber konnten 39 Millionen Kronen erbeuten, damals umgerechnet etwa 3,8 Millionen Euro.

Auch in Österreich geht die Anzahl der Raubüberfälle in Banken und Geldinstituten zurück. Laut polizeilicher Kriminalstatistik gab es in diesem Bereich im Jahr 2006 noch 127 Raubdelikte, von denen die Polizei etwa die Hälfte aufgeklärt hat. 2016 waren es nur noch 39, und die Aufklärungsrate lag über 70 Prozent. Das liege einerseits an den immer besseren Sicherheitssystemen, sagt Vincenz Kriegs-Au, Sprecher des Bundeskriminalamts, auf Anfrage von ORF.at. Da die Banken aber immer weniger Bargeld lagernd haben, sei auch schlicht weniger zu erbeuten. Dem stünden die hohen Strafen für schweren Raub gegenüber, so Kriegs-Au.

Die „goldene Zeit“ des Bankraubs

Die „goldene Zeit“ des Bankraubs waren die 1960er und 70er Jahre, auch in Österreich. Damals war mehr Bargeld im Umlauf als heute. Es gab keine Bankomaten - die ersten wurden 1980 in Wien aufgestellt. Gehälter, Pensionen oder Stipendien wurden in bar bezahlt, die Miete oder die Gasrechnung mit Schilling-Scheinen und -Münzen beglichen. „Vor 50 Jahren hatte hier nur jeder vierte ein Girokonto“, sagt der Ökonom Helmut Stix von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Die Anzahl der Konten nahm danach zwar schnell zu, doch viele hätten nach wie vor Erlagscheine auf der Bank mit Bargeld eingezahlt, so Stix gegenüber ORF.at.

Bankgeschäfte werden heute nur noch selten mit Bargeld abgewickelt. Der Bargeldumlauf ist in Österreich aber immer noch hoch. Eine Studie der ÖNB aus dem Jahr 2016 zeigte, dass acht von zehn Zahlungen im Alltag in bar abgewickelt werden. Das entspricht einem Anteil von 65 Prozent am Gesamtwert aller Zahlungen. Eine Vergleichszahl aus Schweden gibt es aus dem Jahr 2015. Damals erhob die Reichsbank, dass nur zwei von zehn Zahlungen mit Bargeld abgewickelt werden.

Luxusgüter statt Bargeld

Laut Studie der schwedischen Zentralbank kommen heute zwei Drittel der Konsumentinnen und Konsumenten gänzlich ohne Bargeld aus. Viele Geschäfte akzeptieren dort überhaupt kein Bargeld mehr. Das hat auch Folgen für die schwedische Kriminalstatistik. In dieser beinahe bargeldlosen Gesellschaft würden mittlerweile vermehrt Luxusgüter geraubt, analysiert die US-Zeitschrift „The Atlantic“.

Eine Bande habe über Monate hinweg Produkte von „Apple“ aus den Lkws der schwedischen Post gestohlen, während diese Lieferwagen auf der Autobahn unterwegs waren. Immer wieder würden Räuber mit Autos in die Schaufenster von Luxusboutiquen rasen und Luxusgüter wie Schmuck, Handtaschen oder Designermode erbeuten.

Bulldozer in Geschäft

APA/AFP/Jonathan Nackstrand

Im März 2017 versuchte eine Bande eine Luxusboutique in der Stockholmer Innenstadt zu überfallen. Sie konnte nichts erbeuten - ihr Fahrzeug blieb im Sicherheitsgitter hängen.

Kriminelle Aktivitäten dürften sich zudem ins Netz verlagert haben: Die Anzahl von Betrügereien bei elektronischen Bezahlsystemen haben sich in Schweden laut „Guardian“ in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Der Handel mit Hehlerware, Drogen, illegalen Waffen oder bedrohten Tier- und Pflanzenarten wird nicht mit schwedischen Kronen, sondern in der digitalen Währung Bitcoin abgewickelt. Der Annahme, dass es in einer bargeldlosen Gesellschaft weniger Kriminalität gebe, widerspricht die Entwicklung in Schweden eindeutig.

Schweden als Vorbild?

Seit dem Jahr 2007 nimmt die Menge an Bargeld, die in Schweden im Umlauf ist, ab. 2030, so die Prognose der schwedischen Zentralbank, könnte die Krone in Bargeldform abgeschafft werden. Stattdessen soll eine neue elektronische Währung kommen, die E-Krona. Der Ökonom Niklas Arvidsson vom Royal Institute of Technology ist davon überzeugt, dass es schon in fünf Jahren so weit ist. Bereits heute zahlen 70 Prozent der Schweden mit „Swish“, einer App, die sechs schwedische Großbanken entwickelt haben. Mit der App können Zahlungen in wenigen Sekunden mit dem Handy abgewickelt werden. Einen IBAN braucht man dafür nicht, lediglich die Mobilnummer des Empfängers.

Dass Schwedens Abschied vom Bargeld allerdings ein Vorbild für andere Länder sein könnte, gilt als unwahrscheinlich. Nur in Dänemark und Japan beobachten Ökonominnen und Ökonomen eine ähnliche Entwicklung. Weltweit steigt die Bargeldmenge pro Jahr um fünf Prozent. Und in vielen Ländern nimmt auch die Zahl der Bargeldtransaktionen zu, erläutert Niklas Arvidsson in einem Vortrag. In Brasilien hat sich die Anzahl der Bargeldzahlungen seit 2002 versiebenfacht.

Kein Sparstrumpf unter der Matratze

In einer Gesellschaft ohne Bargeld gebe es mehr Transparenz - so lautet das wichtigste Argument jener, die sich vom Bargeld verabschieden wollen. Schwarzarbeit und korrupte Machenschaften abzuwickeln, wäre wesentlich schwieriger. Und die Geldpolitik hätte es wesentlich leichter, die Wirtschaft in Zeiten der Krise anzukurbeln, ist etwa Kenneth Rogoff, Geldtheoretiker an der Harvard-Universität und ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, IWF, überzeugt.

Gibt es kein Bargeld, ist man auf Bankkonten angewiesen. Man kann es in Zeiten schlechter Zinsen nicht unter der Matratze horten. Gibt es keine oder sogar negative Zinsen, so die Annahme des Ökonomen, würden es die Menschen vermehrt ausgeben und so die Konjunktur ankurbeln. Und das Bargeld selbst kostet auch. Guido Schäfer von Institut für Analytische Volkswirtschaftslehre der Wirtschaftsuniversität Wien hat berechnet, das jede Bargeldzahlung in Österreich ungefähr 40 Cent kostet. „Im Umgang mit Bargeld fallen Personalkosten an, Energiekosten und Produktionskosten, die tendenziell jedes Jahr ein bisschen steigen“, so Schäfer.

Hacker, die Bankräuber der Zukunft

Ohne Bargeld wäre die Abhängigkeit von den Banken jedoch immens. Die Geldinstitute könnten auch bei positiven Zinssätzen hohe Gebühren für Einlagen und Kontoverwaltung verlangen. Großflächige Stromausfälle, Internetausfälle oder Serverabstürze würden die Gesellschaft zum Stillstand bringen. Menschen, die nicht in Ballungszentren leben oder Schwierigkeiten haben, sich mit neuen Technologien anzufreunden, könnten ohne Bargeld stark eingeschränkt sein. Probleme, die auch im beinahe bargeldlosen Schweden noch nicht gelöst sind.

Dass ein gänzlich digitales Bezahlsystem Ziel krimineller Aktivitäten sein kann, ist der schwedischen Zentralbank durchaus bewusst. Die „Financial Times“ zitiert Stefan Ingves, den Gouverneur der Zentralbank, der meint, man sei dieses Problem bisher zu lax angegangen. Der Ökonom bringt ein plastisches Beispiel: Würde Putin die schwedische Insel Gotland besetzen, könne er dort einfach das Bezahlsystem deaktivieren, so Ingves. In so einer Situation brauche es Bargeld und eine analoges System für den Notfall, warnt der Ökonom.

Genauso wichtig sei in diesem Zusammenhang der Datenschutz. Ohne Bargeld hinterlassen alle Zahlungen eine technologische Spur. Daten, die ein begehrtes Gut sein könnten. In einer bargeldlosen Gesellschaft würden Hacker die Rolle von Bankräubern übernehmen. All das scheint auch die Schwedinnen und Schweden abzuschrecken: Laut einer Umfrage vom Beginn dieses Jahres wollen 70 Prozent weiterhin die Möglichkeit haben, mit Bargeld zu bezahlen. Durchgeführt wurde die Umfrage von einem schwedischen Bankomatbetreiber.

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