Kein Filmfestival kommt dieser Tage ohne feministische Statements aus - schon gar nicht Cannes. Doch während von Gleichberechtigung die Rede ist, sucht man sie im Programm vergebens. Männerfilme auf der Leinwand, Glanz und Glamour auf dem roten Teppich; es scheint alles beim Alten.
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Propaganda für die gute Sache: Nicht von ungefähr auf dem roten Teppich, wo sonst nur knappe Kleider und coole Gesten zählen, haben die Wortführerinnen der internationalen „#MeToo“-Debatte Ende letzter Woche eine symbolträchtige Aktion gestartet. 82 von ihnen schritten gemeinsam zur Eröffnung. Jede stand für jeweils einen Film einer Frau. In 70 Jahren Festivalgeschichte waren das 82 Filme - verglichen mit 1.688 Werken von Männern.
Reuters/Jean-Paul Pelissier
Jurypräsidentin Cate Blanchett (4. v. r.) bei einer Aktion für Gleichberechtigung auf dem roten Teppich in Cannes
Angeführt wurde die Anordnung von Cate Blanchett, die heuer als Jurypräsidentin fungiert. Sie gab sich kämpferisch: „Frauen sind keine Minderheit auf der Welt, aber die Filmindustrie sendet eine andere Botschaft.“ Und: „Als Frauen haben wir jede mit ganz eigenen Herausforderungen umzugehen, aber auf dieser Treppe stehen wir vereint als Ausdruck unserer Entschlossenheit und unseres Einsatzes für Fortschritt.“
Ein Filmchen als Trostpflaster
Bloß hält der Fortschritt mit der Kampfrhetorik nicht Schritt, es ist noch ein weiter Weg zu gehen. In diesem Jahr stammen von 21 Filmen nur drei von Regisseurinnen. Im Hauptwettbewerb wird etwa „Les filles du soleil“ der französischen Filmemacherin Eva Husson gezeigt. Der macht die Sache nicht besser, es geht darin um kurdische Kämpferinnen, die als hübsche Heldinnen im Irak-Krieg inszeniert werden.
Kaum eine Rezensentin lässt ein gutes Haar an dem Film. Im „Spiegel“ etwa heißt es, die Frauen würden auf ihre Sehnsüchte reduziert, denken an der Front mit Tränen in den Augen schmachtend an die Familie - und außerdem würden die Soldatinnen mit Ausnahme der Anführerin genauso flach gezeichnet, wie man das von männlicher Dutzendware kennt.
Die „Boxenluder“ der Filmindustrie
Die Debattenbeiträge unter dem „Spiegel“-Artikel zeigen, wie viel Überzeugungsarbeit noch geleistet werden muss: „Heutzutage ist es sehr leicht auch an exotische Filme zu kommen. Wer sich mit feminosexistischen Filmen auskennt, der kann doch einfach eine Liste machen.“ Oder, noch besser: „Das Naheliegendste wird ausgeblendet: vielleicht gab es (diesmal?) einfach keine besseren Filme einer Frau. Und weil, - auch - von der Autorin, ja permanent ein höherer Frauenanteil gefordert wird, werden nun Filme gezeigt, die dort - rein qualitativ - eigentlich nichts zu suchen haben.“
Der Begriff „Boxenluder“
Als „Boxenluder“ wurden abwertend die sogenannten „Grid Girls“ in der Formel 1 bezeichnet. Leicht bekleidet wurden sie als Promoterinnen bei Rennen eingesetzt, bzw. mussten sie an sonnigen Tagen Schirme halten, um die Rennfahrer vor der Sonneneinstrahlung zu schützen. Nach heftigen Protesten wurden die „Grid Girls“ unlängst durch Kinder ersetzt - ähnlich wie im Fußball.
Sprich, dieser kruden Logik folgend: Frauen machen eben schlechtere Filme, die zu Recht nicht bei Festivals gezeigt werden, was nicht heißt, dass über Frauen weniger berichtet wird. In Cannes hieß es schon immer: Große Regisseure präsentieren ihre Filme, weibliche „Stars und Sternchen“ ihre Roben. So titelt auch diesmal, als hätte es „#MeToo“ nie gegeben, der deutsche „Express“: „Cannes ganz heiß - Kendall Jenner bringt im Nackt-Kleid alle zum Schwitzen“. Knapper geht das im Zwischentitel: „BH ist Fehlanzeige“.
Worum ging es? Frau Jenner, auf Wikipedia beschrieben als „US-Model, Reality-TV-Teilnehmerin und Promoterin“, trug ein transparentes Top und postete ein entsprechendes Foto mit dem Kommentar „oops“ auf Instagram. Eine andere „Instagram-Influencerin“ wird im „Stern“ in einer eigenen Story mit den Worten abgefeiert: „In einer Traumrobe präsentierte sich Caro Daur in Cannes. Die 23-Jährige braucht sich zwischen den Stars nicht zu verstecken.“
Das ist die Welt des Produzenten Harvey Weinstein, in der Frauen Objekte sind, auf die man jederzeit zugreifen kann. Ihren Lackmustest, ob die Ära Weinstein beendet ist, wird die Filmindustrie in etwa drei Jahren bestehen müssen. Aufgrund der langen Vorlaufzeiten von Filmproduktionen und Filmstarts wird man erst dann sehen, ob sich die Zahl der Regisseurinnen drastisch erhöht hat.
In Cannes will man jedenfalls bis 2020 Fakten schaffen. Festival-Leiter Thierry Fremaux ist einer der ersten Unterzeichner eines Aufrufs für Geschlechtergerechtigkeit. Es handelt sich dabei um die Charta einer französischen Initiative, die fordert, dass Frauen und Männer in zwei Jahren zu gleichen Teilen bei Filmfestivals vertreten sind; ein ambitioniertes Ziel. Immerhin, eines ist jetzt schon erreicht: Fünf von neun Jury-Mitgliedern sind Frauen. Die dürfen entscheiden, welche Männer die besten Filme gedreht haben.