„Wimmelkino“ mit Botschaft
Wes Andersons Markenzeichen sind seine streng symmetrischen „Kinowimmelbilder“: Und auch in seinem neuen Animationsfilm „Isle of Dogs“ wimmelt es gewaltig. Diesmal hat der US-Regisseur eine japanische Küstenstadt entworfen, samt einem faschistoiden Bürgermeister, der darin herrscht. Die internationale Kritik liebt Andersons Komödie, auf Japanisch-Sprechende wirkt sie allerdings befremdlich.
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„Isle of Dogs – Ataris Reise“ ist der zweite Film (nach „Fantastic Mr. Fox“), den Anderson mit animierten Tierpuppen gedreht hat. So sind ihm keine Grenzen gesetzt, wenn er eine weitere Anderson’sche Setzkastenwelt kreiert: Landschaften, in denen man mit den Augen regelrecht spazieren gehen kann, eine Miniaturstadt im Detail und vor allem die zerklüftete Müllinsel, die „Isle of Dogs“, die dem Film seinen Titel gibt. Andersons Filme sind „Eye Candy“ im allerbesten Sinn.
2018 Twentieth Century Fox
Postermotiv „Mittagspause auf einem Wolkenkratzer“ in der Hundeversion: Atari und seine Freunde blasen Trübsal
Und einen weiteren Vorteil hat das Animieren für Anderson. Er kann die Tiere wie Menschen agieren und sprechen lassen. Harvey Keitel, Tilda Swinton, Jeff Goldblum, Bill Murray, Liev Schreiber, Brian Cranston und Edward Norton leihen den Hunden ihre Stimme. Scarlett Johannson haucht Hundediva Nutmeg mit ihrer Stimme Leben ein, einer ehemaligen Showhündin mit samtweichem Fell, von der alle Rüden auf Trash Island träumen.
Freiheitskampf der Vierbeiner
Die Romanze, die Nutmeg mit dem verwegensten der Inselstreuner beginnt, ist wunderschön erzählt. Doch man spürt: Mit dem Herzen ist der Regisseur bei seinem Hauptplot, dem Freiheitskampf der Vierbeiner gegen ihre menschlichen Unterdrücker - und dem Subtext, den dieser transportiert. Schon in „Fantastic Mr. Fox“ ging es ja um mehr als um das bewegte Leben einer Fuchsfamilie: Vielmehr war Andersons erster Tieranimationsfilm von 2009 ein Aufruf, Banden zu bilden, sich zu solidarisieren und dem Neoliberalismus (in Gestalt eines skrupellosen Legebatteriebesitzers) zu trotzen.
2018 Twentieth Century Fox
Vorne: Anführer Chief, gesprochen von Bryan Cranston. Hinten links Boss, gesprochen von Bill Murray
Kinohinweis
Unter dem Titel „Wes Anderson Collection“ präsentiert das Wiener Filmcasino bis 26. Juni 2018 das Gesamtwerk des Filmemachers. „Isle of Dogs“ startet am 11. Mai österreichweit im Kino.
„Isle of Dogs“ erzählt ebenfalls von Vertreibung und Widerstand - und bedient sich dazu nicht nur tierischer Helden, sondern wendet einen weiteren Kunstgriff an. Anderson versetzt die Handlung in die „Ferne“, genauer gesagt, nach Japan. Hier entwirft er die fiktive Küstenstadt Megasaki City, deren Bürgermeister, Kobayashi, Katzen liebt und Hunde hasst. Ein willkürliches Freund-Feind-Schema, wie man es aus vielen faschistischen Systemen kennt.
Säuberungswelle in Megasaki
Eine „Säuberungswelle“ schwappt gleich zu Beginn des Films über Megasaki City, Hundefänger schwärmen aus und deportieren die eben noch geliebten und verhätschelten Vierbeiner auf die weit im Ozean gelegene Mülldeponie Trash Island, um sie dort ihrem Schicksal zu überlassen. Eine Insel als Zwischenlager für die gesellschaftlich nicht Erwünschten. Man braucht nicht viel Fantasie, um Parallelen zu aktuellen politischen Debatten zu sehen.
2018 Twentieth Century Fox
Der Fernseher verheißt nichts Gutes: Der Bürgermeister will Megasaki City „hundefrei“ machen
Weil aber Andersons Filme letztlich immer Geschichten der Hoffnung sind, kommt an diesem Punkt der kindliche Held ins Spiel: Der zwölfjährige Atari Kobayashi, Neffe des machtgierigen Bürgermeisters, ist ein weiteres jener Anderson’schen Wunderkinder, wie man sie aus „Rushmore“ und „Royal Tenenbaums“ kennt: Er widersetzt sich seinem Onkel und fliegt mit einem selbst gebastelten Flugzeug auf die Insel. Seine Mission: seinen geliebten Hund Spots zu finden. Auf der Insel angekommen wird Atari zum Verbündeten der Hunde im Kampf gegen die von Propaganda verblendeten Menschen.
Japan-Klischees
Der kleine Held ist im Puppentrick ebenso als Japaner dargestellt wie der erwachsene Bösewicht. Und doch ist man in Japan skeptisch. Warum dient ausgerechnet das eigene Land als exotische Kulisse? Warum verdichtet Anderson in seinem Film sämtliche Japan-Klischees: Sumo-Ringer (auf selbstverständlich symmetrischen Matten), Taiko-Trommeln, blutrote japanische Schriftzeichen, Kirschblüten und Haiku-Gedichte?
Man könnte argumentieren, dass die japanische Ästhetik für Anderson nicht mehr ist als ein Verfremdungseffekt, ähnlich dem, den Bert Brecht in „Der Gute Mensch von Sezuan“ einsetzt: Aus der Distanz der „fremden Kultur“ soll das Erkennen der eigenen gesellschaftlichen Zustände besser gelingen.
Macht sich Anderson über Asiaten lustig?
Dennoch müht sich etwa der Kritiker des britischen Independent, Anderson eine hochmütige „kulturelle Aneignung“ der fremden Kultur nachzuweisen. Was reichlich absurd scheint, ist doch der Film aus Perspektive von Hunden erzählt, auf die die Spezies Mensch per se merkwürdig wirkt. Fest steht, dass sich Anderson und seine Koautoren Jason Schwartzman, Roman Coppola und der japanische Star-DJ Kunichi Nomura tatsächlich nicht viel Mühe mit den (raren) menschlichen Dialogen gegeben haben.
2018 Twentieth Century Fox
Gemeinsam mit seinen tierischen Freunden zimmert Atari ein Floß, um Trash Island zu verlassen
Japanische Muttersprachlerinnen und Muttersprachler wunderten sich in Medienberichten, dass die Dialogzeilen ihrer Landsleute in „Isle of Dogs“ so hölzern und veraltet klingen. Untertitelt sind sie auch nicht, sodass man als Japanisch-Unkundiger nichts versteht. Und so wirft etwas das Onlineportal Slate die Frage auf: Macht sich Anderson über Asiaten lustig?
Vielleicht sollte man den Vorwurf erweitern: Macht sich Anderson über Menschen - insbesondere Erwachsene - lustig? Dann lässt sie sich schnell mit Ja beantworten. Die einzigen, die in „Isle of Dogs“ neben den Hunden moralisch bestehen, sind Kinder. Atari (Stimme: Koyu Rankin) und eine altkluge amerikanische Gastschülerin (Stimme: Greta Gerwig) werden letztlich über die Borniertheit der Erwachsenen triumphieren.
Bildet Banden, schmiedet Pläne
Schließlich waren Andersons Filme schon immer Manifeste gegen das Erwachsenwerden. Und der kindliche Spiel- und Entdeckertrieb des Regisseurs ist auch das Geheimnis seines Erfolgs. Seine Filme scheinen lächelnd auf das erwachsene Effizienzdenken herabzublicken. Stattdessen plädieren sie für die Rückeroberung eines verlorenen, kindlichen Paradieses. Am Ende von „Isle of Dogs“ wird jedenfalls einmal mehr die Botschaft lauten: Bildet Banden! Schmiedet Pläne! Und setzt sie zum Wohle aller, Tier und Menschen, um.
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Maya McKechneay, für ORF.at