„Politisch, aber nicht parteipolitisch“
503 antisemitische Vorfälle hat das Forum gegen Antisemitismus 2017 in Österreich registriert – mehr als doppelt so viele wie noch 2014. 26 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wünschen sich einen „starken Führer, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss“, wie unlängst eine Umfrage ergab. Die Zustimmung zur Demokratie in der Gesellschaft nahm laut einer weiteren Umfrage in den letzten zehn Jahren ab.
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Schon sehr viel länger gibt es die Forderung nach mehr politischer Bildung in Schulen. „Wenn man über die geschichtlichen Vorgänge Bescheid weiß, ist man besser vor politischen Rattenfängern gefeit“, sagte 1992 der ehemalige Bundespräsident Thomas Klestil, der die Forderung nach politischer Bildung als eigenes Unterrichtsfach unterstützt hatte. Vonseiten der Schüler und Schülerinnen wird politische Bildung seit Jahrzehnten als Pflichtfach gefordert – zuletzt 2017 vom Bundesschulsprecher.

ORF.at/Zita Köver
Seit 1978 soll politische Bildung als Unterrichtsprinzip in allen Gegenständen berücksichtigt werden
„Fächerkanon scheint in Stein gemeißelt“
Ein eigenes Fach ist politische Bildung dennoch nur in der Berufsschule. In allen anderen Schultypen wird politische Bildung als Kombination, zum Beispiel mit Geschichte, geführt; in der Volksschule als Teil des Sachunterrichts. Außerdem ist politische Bildung, ebenso wie etwa Medienbildung und interkulturelles Lernen, eines von zehn Unterrichtsprinzipien, die in allen Schulstufen und Schultypen in jedes Unterrichtsfach einfließen sollen.
„Der Fächerkanon der Schulen scheint in Stein gemeißelt“, sagt Philipp Mittnik, Geschichts- und Politikdidaktiker und Leiter des Zentrums für politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Wien. Zudem gebe es „große Befürchtungen, wer dieses hochsensible Fach unterrichten sollte“. Ginge es nach Politikdidaktikern, wäre politische Bildung ein eigenständiges Fach – mit Demokratieerziehung und Menschenrechten im Fokus.
Bildungsministerium: „Noch keine finale Lösung“
Die Kombination mit bezugsnahen anderen Gegenständen wie Geschichte und Geografie sei durchaus „vorteilhaft, um Politik nicht als etwas Isoliertes, sondern mit anderen Materien Vernetztes darzustellen“, hieß es dazu aus dem Bildungsministerium auf Nachfrage von ORF.at. Das Unterrichtsprinzip ermögliche zudem fächerübergreifende Zugänge und auch Vertiefungen und Ergänzungen im Rahmen des jeweiligen Gegenstandes.
„Ein eigener Gegenstand führt vielleicht in der öffentlichen Wahrnehmung zu mehr Aufmerksamkeit, allerdings ist zu befürchten, dass in anderen Gegenständen politikrelevante Themen ausgeklammert und diese ausschließlich dem Gegenstand politische Bildung zugeordnet werden“, so das Bildungsministerium. Eine endgültige Lösung gebe es aber noch nicht – es sei „jedenfalls ein starkes Anliegen von Minister (Heinz, Anm.) Faßmann, politische Bildung zu stärken“.
Politische Bildung im Chemieunterricht
Laut Mittnik beziehen sich Lehrende, die nicht ohnehin politische Bildung im Rahmen einer Fächerkombination unterrichten, „so gut wie nie“ auf das Unterrichtsprinzip politische Bildung. Diese Beobachtung bestätigen auch angehende Lehrende des Faches Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung, mit denen ORF.at in einer Lehrveranstaltung zu politischer Bildung an der Universität Wien sprach: „Viele Lehrer denken, das wird ja eh in Geschichte gemacht, warum sollten wir in Physik oder Englisch politische Bildung machen.“
Zudem würden Lehramtsstudierende, die nicht das Fach Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung gewählt haben, während des Studiums kaum mit politischer Bildung in Berührung kommen, so ein Student mit der eher seltenen Fächerkombination von Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung mit dem Fach Chemie. Er glaube daher nicht, dass das Unterrichtsprinzip politische Bildung an österreichischen Schulen oft Einzug in den Chemieunterricht findet – „obwohl es sich mit Themen wie Kampf um Rohstoffe, begrenzte Ressourcen und erneuerbare Energien natürlich anbieten würde“.
„Es hängt ganz stark von der Lehrperson ab“
Stichwort Lehrende: In deren Ausbildung sieht Mittnik große Defizite. „Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass nicht einige einen sehr guten Unterricht in politischer Bildung anbieten.“ Dazu ausgebildet würden sie bisher aber nicht ausreichend. Ähnlich sehen das die Studierenden. Der Grund: Es gebe viel zu wenige Lehrveranstaltungen zum Thema. „Wenn man nicht selbst dahinter ist, sich nicht selbst informiert und engagiert, stelle ich es mir ziemlich herausfordernd vor, wenn man dann vor der Klasse stehen muss“, so eine Studentin.
Auch im Fach Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung hänge es „ganz stark von der Lehrperson ab“, wie sehr politische Inhalte in den Unterricht einfließen, ergänzt ein Student. Es gebe Lehrerinnen und Lehrer, die sagten, „ich unterrichte Geschichte, und das restliche ist mir egal“, andere seien allerdings sehr engagiert.
Ein Problem sieht ein Student auch in der zunehmenden Kompetenzorientierung im Unterricht. Es gebe einen „Druck hin zu abprüfbaren Kompetenzen“: Fähigkeiten sollen „möglichst bewertbar in Excel-Tabellen gepresst werden“. Politische Bildung lasse sich aber nur schwer mit diesem Konzept vereinen. Schülerinnen und Schülern in politischer Urteilskompetenz Noten zu geben sei nur „mäßig produktiv“, um politische Bildung zu vermitteln.
„Alarmierende Studien“
Nachdem die politische Bildung und die Politikdidaktik in Österreich kaum Renommee hätten, so Mittnik, würde politische Bildung oft fälschlicherweise mit politikwissenschaftlichen Grundlagen gleichgesetzt. Die Politikwissenschaft verfolge in vielen Bereichen aber völlig andere Ziele als die politische Bildung: „Der Politikwissenschaft geht es vor allem um die formelle Beschreibung von politischen Prozessen. Die politische Bildung will Schülerinnen und Schüler zum politischen – nicht parteipolitischen – Handeln animieren und sie dazu bringen, abgesicherte politische Urteile zu fällen.“
Im Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip politische Bildung des Bildungsministeriums wird die Überwindung von Vorurteilen, Stereotypen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie als Ziel der politischen Bildung genannt. Ein Ausbau der politischen Bildung an den Schulen ist laut Mittnik jedenfalls notwendig. „Die Studien zu Demokratieverständnis in Österreich sollten alarmierend genug sein.“ Von Forderungen, Politik aus der Schule zu verbannen, hält er nichts, denn: „Schülerinnen und Schüler sind Teil dieser Demokratie.“
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