Vertrauen erschüttert
In diesem Jahr wird wegen der Krise in der Schwedischen Akademie kein Literaturnobelpreis vergeben. Das teilte das Jurygremium am Freitag mit. Das Gremium steckt in einer tiefen Krise, die nach eigener Aussage nicht nur das Vertrauen in die Akademie, sondern auch das Ansehen des Nobelpreises beschädigt hat.
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Der Preis für 2018 werde im kommenden Jahr zusammen mit dem Preis für 2019 vergeben. „Wir halten es für nötig, Zeit zu investieren, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Akademie wiederherzustellen, bevor der nächste Preisträger verkündet werden kann“, sagte der Interimsvorsitzende Anders Olsson.

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Kazuo Ishiguro erhielt den Nobelpreis für Literatur 2017 von Schwedens König Carl XVI. Gustaf überreicht
Donnerstagabend hatte die Akademie ihre wöchentliche Sitzung. Am selben Tag saß man nach Angaben eines Mitglieds auch mit der Nobelstiftung zusammen, die die Preisgelder für alle fünf Nobelpreise verwaltet. Die Stiftung hätte die Macht, das Preisgeld zurückzuhalten, auch wenn die Akademie einen Preisträger küren will.
Auch Kronprinzessin soll belästigt worden sein
Die Schwedische Akademie, die seit 1901 den Träger des Literaturnobelpreises auswählt, wird von einem Belästigungs- und Korruptionsskandal erschüttert. Man sei in einer ernsten Krise, teilte das traditionsbewusste Gremium vor Kurzem mit. „Das Ansehen des Literaturnobelpreises hat großen Schaden genommen.“

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Kronprinzessin Victoria und ihr Ehemann Daniel während der Nobelpreiszeremonie im Dezember 2017
18 Frauen hatten dem Mann eines Akademiemitglieds sexuelle Belästigung vorgeworfen. Eine Untersuchung der Akademie bestätigte „inakzeptables Verhalten in Form von unerwünschter Intimität“. Nach Berichten schwedischer Medien soll der Mann auch Kronprinzessin Victoria an den Po gegriffen haben. Außerdem soll seine Frau über Fördergelder für den eigenen Kulturverein mitentschieden haben.
Carl XVI. Gustaf ergriff das Wort
Mehrere Jurymitglieder legten ihre Arbeit nieder, weil sie nicht damit einverstanden waren, wie glimpflich das Paar davonkommen sollte. Auch die ständige Sekretärin Sara Danius musste in der Folge ihren Posten aufgeben - nach eigener Aussage auf Wunsch der Akademie.
Aktuell sind damit nur noch zehn der einst 18 Mitglieder aktiv. Das gefährde ernsthaft die Fähigkeiten der Akademie, „ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen“, hatte das schwedische Königshaus erklärt. König Carl XVI. Gustaf rief die Mitglieder auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und die Interessen des Gremiums in den Vordergrund zu stellen. „Ich habe die Entwicklung in der Schwedischen Akademie in letzter Zeit mit großer Unruhe verfolgt“, so der Monarch und Schirmherr am Mittwoch. Jetzt müsse die Akademie in Ruhe daran arbeiten können, das Vertrauen zurückzugewinnen.
Was sagt der Preis noch aus?
Wie wichtig ist der Literaturnobelpreis noch? ORF-Literaturexpertin Katja Gasser mit einer Analyse.
Die Arbeit an der Auswahl des Preisträgers sei zwar bereits weit fortgeschritten und werde in den kommenden Monaten auch weitergehen, teilte die Akademie weiters mit. Man wolle aber mehr Mitglieder an der Entscheidung beteiligen und Vertrauen zurückgewinnen, bevor ein Preisträger genannt werden könne.
Stiftung: Andere Nobelpreise nicht betroffen
Die Nobelstiftung, die das Preisgeld für alle fünf Nobelpreise verwaltet, unterstütze die Entscheidung der Akademie. Eigentlich solle der Preis jährlich vergeben werden. Eine Ausnahme könne jedoch gerechtfertigt sein, „wenn eine der preisverleihenden Institutionen in einer so gravierenden Lage ist, dass eine Preisentscheidung nicht als glaubwürdig vorgenommen würde“, teilte die Stiftung mit.
Die Krise in der Akademie habe dem Nobelpreis geschadet, hieß es weiter. Die Entscheidung, die Auszeichnung für Literatur 2018 nicht zu vergeben, werde helfen, die Reputation langfristig wiederherzustellen. „Nichts davon beeinflusst die Verleihung der Nobelpreise in anderen Kategorien“, betonte die Nobelstiftung. Die wissenschaftlichen Nobelpreise in Medizin, Physik und Chemie werden von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften vergeben, der Friedensnobelpreis von einem Komitee in Norwegen.
Die achte Verschiebung
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Nobelpreisvergabe verschoben wird. In den Statuten der Nobelstiftung ist das allerdings vor allem für den Fall vorgesehen, dass kein angemessener Kandidat gefunden wird. „Wenn keine der in Betracht gezogenen Arbeiten die im ersten Absatz angegebene Bedeutung aufweist, ist das Preisgeld bis zum folgenden Jahr zu reservieren“, heißt es in dem Regelwerk.
Siebenmal machte die Schwedische Akademie vor der Entscheidung von Freitag bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch. Unter anderen bekam der Ire George Bernard Shaw („Pygmalion“) seinen Preis für 1925 erst im Jahr 1926. Der Literaturnobelpreis wurde 1914, 1918, 1935 und dann von 1940 bis 1943 wegen des Zweiten Weltkriegs überhaupt nicht vergeben.
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