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Minderjährige nicht ausreichend geschützt

Ungarns kürzlich wiedergewählter rechtspopulistischer Premier Viktor Orban betreibt seit 2015 eine Kampagne gegen Flüchtlinge und liegt nicht zuletzt deshalb im Clinch mit der EU. Sein neuer Sieg Anfang April bestärkte Orban in seiner Kampagne gegen Flüchtlingsorganisationen. Nach dem EU-Parlament reagierte nun auch der Europarat mit einem kritischen Bericht über die Situation von Flüchtlingen in Ungarn.

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In dem am Freitag veröffentlichten Bericht zeigte sich der Europarat alarmiert über die Lage minderjähriger Flüchtlinge in den umstrittenen ungarischen „Transitzonen“ an der Grenze zu Serbien. In den fraglichen Zonen seien unbegleitete Jugendliche ab 14 Jahren in engen Containern untergebracht - eingesperrt mit Stacheldrahtzäunen und unter ständiger Aufsicht durch bewaffnete Wächter.

Die Autoren kritisieren vor allem, dass Flüchtlinge in Ungarn aufgrund einer Verschärfung des Ausländerrechts bereits ab 14 Jahren als Erwachsene eingestuft werden - und nicht ab 18 Jahren wie im internationalen Recht üblich. Dadurch fielen sie nicht unter die UNO-Kinderschutzkonvention.

„Klima des Vertrauens“ fehlt

Erarbeitet wurde der Bericht von zwei Mitgliedern der Expertengruppe zur Bekämpfung von Menschenhandel (GRETA) des Europarats. Sie hatten im vergangenen Dezember zwei „Transitzonen“ an der serbischen Grenze besucht. In einem der Containerlager befanden sich zum Zeitpunkt der Visite 26 unbegleitete Flüchtlinge im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.

Container für Flüchtlinge an ungarisch-serbischer Grenze

APA/AFP/Attila Kisbenedek

Flüchtlinge in Ungarn müssen an einer der vier Transitzonen in der Grenzregion einen Antrag stellen

Die Expertinnen und Experten des Europarats werfen der ungarischen Regierung vor, die Asylwerber in den „Transitzonen“ nicht ausreichend vor Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu schützen. Das Personal in den Lagern - vor allem Polizisten und Polizistinnen, Mitglieder des Geheimdienstes und der Anti-Terror-Polizei, Militärärzte sowie Vertreter des Amtes für Einwanderung und Asyl - sei nicht ausreichend ausgebildet, um mögliche Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu identifizieren, heißt es in dem Bericht. Auch seien die Lebensbedingungen in den abgesperrten und rund um die Uhr bewachten Zentren nicht geeignet, ein „Klima des Vertrauens“ zu schaffen, in dem sich die Flüchtlinge jemandem anvertrauen können.

„Jeder Asylwerber kann nach Serbien zurückkehren“

Bei einem großen Teil der Grenze zu Serbien und Kroatien war infolge der Flüchtlingskrise 2015 ein umstrittener Sperrzaun errichtet worden. Flüchtlinge können seither nur in vier „Transitzonen“ im direkten Grenzbereich einen Antrag stellen. Das ungarische Innenministerium, dem die „Transitzonen“ unterstellt sind, wies die Kritik des Europarats zurück. Die fraglichen Lager seien keinesfalls geschlossen, die Asylwerberinnen und Asylwerber seien dort nicht inhaftiert, hieß es in der Stellungnahme des Ministeriums. Die Lager seien in Richtung Serbien offen. „Jeder Asylwerber kann jederzeit nach Serbien zurückkehren.“

Einem im März vergangenen Jahres vom ungarischen Parlament verabschiedeten Gesetz zufolge werden aus Serbien eintreffende Asylwerber und Asylwerberinnen in Containerdörfern an der Grenze inhaftiert, bis über ihren Antrag entschieden ist. Bewerber und Bewerberinnen, deren Antrag abgelehnt wird, werden unmittelbar nach Serbien abgeschoben. Das Gesetz war international als Verstoß gegen das Völkerrecht kritisiert worden.

EU-Parlament sieht Demokratie in Gefahr

Erst vor wenigen Tagen hatte auch das EU-Parlament Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen gerügt. Zudem äußerte das EU-Parlament in seinem Bericht ernste Zweifel an der Demokratie in Ungarn und forderte ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wie in Polen. Es herrsche eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn“, so der Bericht. „Es ist irgendwie schockierend zu sehen, wie viele Warnungen es seit 2010 gegeben hat“, sagte die grüne EU-Abgeordnete Judith Sargentini, die mit der Erstellung des Berichts beauftragt worden war.

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