Regierung untermauert Forderung
Die Sozialversicherung und ihre „Privilegien“ bzw. ihr Vermögen sorgen für Debatten. Die Bundesregierung untermauerte nun ihre Forderung nach einer Reform der Sozialversicherung, der Hauptverband wies Vorwürfe zurück.
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Mehrere Zeitungen berichteten unter Berufung auf Regierungsunterlagen über Zahlenmaterial, das die Regierung aus Berichten des Rechnungshofs (RH), parlamentarischen Unterlagen und internen Unterlagen zusammengestellt habe.
Die Vorwürfe der Regierung
Laut diesen wurden von den Sozialversicherungen rund 1,3 Milliarden Euro an Beitragsgeldern an der Börse in Aktien oder Wertpapieren angelegt und über die Jahre ein Reinvermögen von rund sechs Milliarden Euro angehäuft, statt Beiträge zu senken, so der Vorwurf.
Pro Jahr würden rund 330 Millionen Euro für Zusatzpensionen als Draufgabe zur normalen ASVG-Pension ausbezahlt. Rund 1.280 ehemalige Sozialversicherungsmitarbeiter würden außerdem „Luxuspensionen“ beziehen, außerdem ist die Rede von einem Fuhrpark von 160 Dienstwagen. Einer der Direktoren lasse sich sogar täglich von Graz nach Wien chauffieren, berichteten „Kleine Zeitung“ und „Kronen Zeitung“.
Hauptverband weist Kritikpunkte detailliert zurück
Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger wies die Vorwürfe seitens der Bundesregierung detailliert zurück. „Ich bin schon etwas enttäuscht, dass auf diesem Niveau diskutiert wird und nicht faktenbasiert“, sagte Hauptverbandsvorsitzender Alexander Biach. Von „populistischen Unterstellungen“ ist in einem „Faktenblatt“ die Rede. Dass die Regierung den Sozialversicherungen ihre eigenen Gesetzesvorgaben - nämlich die Verpflichtung, Rücklagen zu bilden - vorhält, sorgt für Kopfschütteln.
Studiogespräch mit Hauptverband-Chef Biach
Der Vorsitzende des Hauptverbandes der Sozialversicherungen, Biach, spricht über die Vorwürfe der Regierung gegenüber den Sozialversicherungen.
Die österreichische Sozialversicherung habe einen Jahresumsatz von 62 Milliarden Euro und sei gesetzlich verpflichtet, eine Leistungssicherungsreserve in der Höhe eines Monatsaufwandes zu halten, so der Hauptverband in der Aussendung. Bezogen auf den jährlichen Umsatz seien das fünf Milliarden Euro. Es werde also ein gesetzlicher Auftrag wahrgenommen, wenn Rücklagen gebildet werden, heißt es in der Aussendung weiter.
„Veranlagung laufend von RH überprüft“
Die Veranlagung von Geldern der Versicherten sei präzise in Paragraf 446 ASVG geregelt. Sie habe mündelsicher, also mit den größten Sicherheiten des Kapitalmarktes, zu erfolgen. Veranlagung in Aktien und nachrangigen Schuldverschreibungen sowie in Derivaten sei gesetzlich ausdrücklich verboten, hielt der Hauptverband weiter fest. Kurzfristig nicht verplante Gelder in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro seien in Wertpapieren höchster Bonität (z. B. Staatsanleihen) veranlagt. Die Veranlagungen der Sozialversicherung würden von der Aufsichtsbehörde und dem Rechnungshof laufend geprüft.
„Auch der Vorwurf, die Sozialversicherung leiste sich 160 Dienstwagen, soll den Anschein erwecken, dass die Sozialversicherung ungehörig mit Versicherungsgeldern umgeht“, so der Hauptverband. Der Großteil der Fahrzeuge seien Transportfahrzeuge, Autos für Beitragsprüfer, Gesundheitsdienstleister und für Krankenbesuche. Richtig sei, dass es auch Dienstwagen in einer bundesweit tätigen Firma mit 26.000 Mitarbeitern gibt, so der Hauptverband weiter.
„390 Euro pro Funktionär“
Die 330 Millionen Euro für Zusatzpensionen sind laut Sozialversicherung zwar Fakt, es handle sich aber um alte Verträge, die einzuhalten sind. „Auch wenn mir das von der Gebarung her nicht passt, werde ich mich nicht über rechtliche Bestimmungen hinwegsetzen“, so Biach dazu. Im Übrigen seien die Zusatzpensionen seit 1996 abgeschafft und Vergangenheit. Für Neueintretende gebe es keine derartigen Regeln mehr.
Auch die von der Regierung kritisch in den Raum gestellte Zahl von 1.000 Funktionären rückt man im Hauptverband zurecht. Funktionäre seien ein Teil der Selbstverwaltung, viele würden de facto ehrenamtlich oder gegen geringfügigste Entschädigungen arbeiten. Im Schnitt gehe es um 390 Euro pro Funktionär.
„Schwere und unhaltbare Vorwürfe“
Die Sozialversicherungen und Krankenkassen seien ohnehin zu Reformen bereit, so Hauptverbandschef Biach weiter. „Da braucht es diese Aufregung nicht. Es ist nicht notwendig, so schwere und unhaltbare und teils persönliche Vorwürfe in den Raum zu stellen.“ Es gehe darum, die Leistungen der Sozialversicherungsträger zu harmonisieren und Aufgaben und Strukturen zu bündeln. „Von diesem Kurs werde ich nicht abgehen.“ Was es nicht brauche, seien „englische Verhältnisse und Leistungsverschlechterungen“.
Privatangestellte: System sturmreif schießen
Kritik kam auch vom Vorsitzenden der niederösterreichischen Christgewerkschafter, Alfred Schöls. Es sei unverständlich, dass es Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zulasse, dass mit unwahren Behauptungen die Stimmung gegen ein funktionierendes Sozialsystem befeuert wird. Der schwarze Schöls sprach von „Taschenspielertricks“. Die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) wies in einer Aussendung darauf hin, dass Kanzler Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit „haltlosen Vorwürfen ein erfolgreiches System sturmreif schießen und es für Privatisierungen vorbereiten wollen“.
„Versuche, Neidkomplexe zu schüren“
„Das Niveau der Debatte ist erschreckend tief. Ich kann der Regierung nur dringend empfehlen, das System nicht mit Brachialgewalt über Bord zu werfen“, meinte der schwarze Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Manfred Brunner, im „Kurier“. „Der Versuch, Neidkomplexe in der Bevölkerung zu schüren, soll die Debatte über die Zukunft des Gesundheitssystems zudecken. In Wahrheit droht die Zerschlagung eines der besten Systeme der Welt, es drohen Selbstbehalte und eine Privatisierungswelle. Darüber wird natürlich nicht gesprochen“, wurde in der Zeitung auch der rote Obmann der Steirischen Gebietskrankenkasse, Josef Harb, zitiert.
Appell an Regierung
Die Obleute der Sozialversicherungsträger appellierten am Dienstag an die Bundesregierung, sie bei geplanten Veränderungen einzubeziehen. Eine entsprechende Resolution sei am Montag einstimmig beschlossen worden, berichtete der „Kurier“ am Dienstag. Die Kassenvertreter geben sich darin selbstbewusst. „Gäbe es die Sozialversicherung nicht, man müsste sie erfinden“, heißt es in dem Papier wörtlich.
„Die Bundesregierung wird ersucht, bei geplanten Veränderungen, bevor diese öffentlich angekündigt werden, die Sozialpartnerschaft mit einzubeziehen“, so der Text der Resolution, der auch der APA vorliegt. „Ebenso ersucht die österreichische Sozialversicherung die Bundesregierung dringend, Gespräche mit der Selbstverwaltung der Sozialversicherung - den demokratisch legitimierten Versicherungsvertretern - unter Einbindung der Belegschaftsvertretung aufzunehmen. Dies ist der österreichische Weg, der sich über Jahrzehnte bewährt hat.“
Hoffen auf „konstruktiven Dialog“
Derzeit wähle die Bundesregierung jedoch eine Vorgehensweise, bei der eine umfassende Änderung in der Organisation und Finanzierung der gesamten Sozialversicherung geplant werde, ohne die betroffenen Entscheidungsträger systematisch einzubinden, so die Kritik. Man sei weiter zu einem konstruktiven Dialog interessiert. Spätestens bei der Umsetzung der Reformen sei die Mitwirkung der Sozialversicherung und ihrer Partner erforderlich, die Einbindung bereits in der Entscheidungsfindung daher unerlässlich.
Im „Kurier“ meldete sich auch der Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, zu Wort. „Ein bisschen selbstverwaltet geht nicht“, meinte er bezüglich der Frage, ob eine Mitsprache der Politik in der Kassenverwaltung verfassungskonform sei.
Regierung plant Zusammenlegung von 21 auf fünf
Die Sozialpartner stellten sich nicht gegen die Fusion, so Biach, im Gegenteil, sie werde bereits vorbereitet. Im Endausbau könne man durch die Zusammenlegung jedoch lediglich 120 Mio. Euro einsparen. Das große Geld sei das nicht. Das sei woanders zu holen, nämlich in der Finanzierung von Krankenanstalten und niedergelassenen Ärzten aus einem Topf.
Vorgesehen ist laut Regierungsprogramm eine Reduktion der derzeit 21 Sozialversicherungsträger auf „maximal“ fünf. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstallt (AUVA) muss 500 Mio. Euro einsparen, andernfalls wird sie aufgelöst. Einen Gesetzesentwurf soll es noch im Mai geben.
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