Hilfsmittel, um optisch abzuheben
Wie Menschen ihre Frisuren und Gesichter „herrichten“, sagt viel über sie aus. Das zeigt die Ausstellung „Mit Haut und Haar“ im Wien Museum, die 200 Jahre Schönheitspflege kurzweilig aufbereitet. Der Parcours führt von den frühen Badestuben bis zu Adolf Hitlers Seitenscheitel und Conchita Wursts Song-Contest-Perücke. Zwischen Norm und Spleen gilt: Gestaltung ist Trumpf.
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Vor der Rasur eine warme und danach eine kalte Kompresse, duftender Italoschaum aufgepinselt, Mentholbalsam auf die Wangen, nicht nur Aftershave, sondern auch Öl zur Beruhigung: Den Kunden von Barber Shops wird heute allerhand geboten, das lange Zeit vergessen war. Der Bart ist wieder da, und da der Hipster kein wildes Gestrüpp, sondern eine Pracht wie Ururopa tragen will, trägt er viel Geld zum Spezialisten.

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Ein Elfteiliger Zopf von 1865 zeigt die Kunstfertigkeit damaliger „Haararbeiten“
Adelige Bärte
In einen noch exklusiveren Genuss kamen die Stammkunden des Salon Marko, der 1899 eröffnete. Die Schubladen eines jetzt ausgestellten Vitrinenschrank tragen Schilder mit illustren Namen wie Prinz G. Fürstenberg und Graf A. Bismarck.
Darin wurden die persönlichen Rasiermesser der adeligen Herren aufbewahrt. Im Zeitalter der Bakteriologie wuchs die Angst vor Ansteckung. Bis ins 18. Jahrhundert ließen sich Herren in der Badestube rasieren und trimmen; das Ende der Bader brachte den Aufstieg der Friseure.

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Schubladen für die Rasiermesser der Stammkunden im Wiener Frisiersalon Marko um 1900
Der Begriff „frisieren“ leitet sich ab vom französischen „friser“, also „kräuseln“ oder „in Locken legen“. Der Friseurberuf samt Klientel war zunächst reine Männersache. „Frauen blieben im 19. Jahrhundert im Bereich des Privaten“, erklärte Kuratorin Susanne Breuss. Damen ließen sich zu Hause die Haare flechten und hochstecken. Die Bezeichnung „Friserinn“ steht unter einem Kupferstich von 1777/1780: Solche Frauen mit der Schere im Kittel kamen ins Haus. Erst ab den 1920er Jahren drängte weibliches Personal in die Frisiersalons.
Ausstellungshinweis
„Mit Haut und Haar. Frisieren, Rasieren, Verschönern“, bis 6.1.2019, Wien Museum, täglich außer Montag 10.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (450 Seiten, 29 Euro) erschienen.
Führerbart und Bubikopf
„In der Ausstellung geht es weniger um Mode und Schönheit als um die Frage, wie wir durch die Gestaltung unseres Aussehens kommunizieren“, sagte Breuss und betonte ihren anthropologischen Zugang. An den Beginn des Rundgangs stellt sie Spiegel, vom Taschenutensil über den Frisiertisch bis zum Allibert.

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Frisiertische aus unterschiedlichen Epochen
Wie sehen uns die anderen? Was signalisieren wir durch unser Aussehen? Das können Standeszeichen und politische Ansichten ebenso sein wie eine Verspieltheit oder Strenge des Charakters. „Ein Antlitz vom Kampf geformt“, titelt etwa ein Artikel mit einer Porträtreihe von Adolf Hitler, die 1936 in einem Sonderheft des „Illustrierten Beobachters“ erschienen ist. Die Passfotoserie setzt 1916 ein und zeigt den 27-Jährigen noch mit harmlosem Schnurrbart. Skurril: Jahr um Jahr rutscht der Scheitel des Führers mehr nach rechts, und sein Bart wird zum exakten schwarzen Quadrat. Der Ausstellungsteil daneben widmet sich dem Bubikopf: Bis in die 1920er Jahre war diese Kurzhaarfrisur ein emanzipatorisches Statement. In der Zwischenkriegszeit wurde dieser Schnitt in, galt als praktisch und modern.
Donauwellen im Haar
„In Wien sorgte der Bubikopf für sehr viel Aufsehen, und es setzte sich die Ansicht durch, dass Locken und Wellen dabei wichtig wären“, sagte Breuss. Eine Vitrine zeigt die Brennscheren und Lockenstäbe, die auch glattem Haar die feminine Kräuselung verliehen. Für Furore sorgte die „Marcel-Ondulation“, eine spezielle französische Technik, durch die der Wiener Sigmund Pessl zum Starfriseur wurde. Eine Fotoserie von Robert Haas führt 1937 in den Schönheitssalon Pessl, wo die „neue Frau“ Gesichtsbehandlungen genoss.

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Elektrische Haartrockner für Dauerwellen und Friseurwaschbecken aus den 1930er Jahren
Fast bedrohlich sehen hingegen die elektrischen Haartrockner aus, mit denen die 1906 erfundene Dauerwelle fixiert wurde. Haltbare Locken - damals ein Risiko: Zunächst lief frau Gefahr einer Verätzung durch die alkalische Lösung, dann versengten schlecht funktionierende Elektrogeräte die Locken. Solche Probleme kannte Kaiserin Elisabeth noch nicht. Sisi legte ihr bodenlanges Haar in die Hände ihrer vom Burgtheater abgeworbenen und fürstlich entlohnten Friseurin Fanny Feifalik, die ihren legendären Haarkranz flocht.
Conchitas Siegerscheitel
Lange Haare standen im Lauf der Geschichte für Sinnlichkeit ebenso wie für Rebellion. Die Männerzöpfe fielen übrigens nach der Französischen Revolution, die auch die weißen Perücken obsolet machte. Dennoch hatte das Luxusgewerbe der Perückenmacher seit dem 18. Jahrhundert in Wien einen guten Stand. Orthodoxe Jüdinnen verbergen ihr Haar oft unter der jiddisch als „Scheitel“ bezeichneten Kopfbedeckung. Ein Highlight der Schau ist die schwarze Langhaarperücke, die Conchita Wurst 2014 bei ihrem Song-Contest-Sieg trug.

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Die schwarze Langhaarperücke, die Conchita Wurst beim Song-Contest-Sieg 2014 trug
Als „Körperzeichen“ definiert der letzte Abschnitt der Schau Merkmale wie angestrebte Hellhäutigkeit oder Bräune, Schminke, Maniküre sowie Bartvarianten. „Gepflegt zu sein“ und sich „herzurichten“ ist kulturelle Arbeit am - vermeintlich - natürlichen Leib. Erfreulicherweise präsentiert die Schau „Mit Haut und Haar“ ihr Thema nicht als bloß weibliches Phänomen oder Problem. Macht doch nicht zuletzt die zeitgenössische (Retro-)Bartmode die männliche Lust deutlich, sich zu pflegen, zu verschönern und optisch abzuheben.
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Nicole Scheyerer, für ORF.at (Text), Dominique Hammer (Fotos), ORF.at