Zeit für „echte Verhandlungen“
Einen Tag nach den gemeinsamen Angriffen in Syrien haben die USA, Frankreich und Großbritannien dem UNO-Sicherheitsrat in New York den Entwurf für eine neue Resolution zu dem Bürgerkriegsland vorgelegt. Der von Frankreich verfasste Entwurf schlug die Schaffung eines „unabhängigen Mechanismus“ für die Untersuchung des mutmaßlichen C-Waffen-Angriffs in der einstigen Rebellenhochburg Duma vor.
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Dadurch soll auch die Verantwortlichkeit für den Angriff geklärt werden, hieß es. Zudem wurde das syrische Regime von Machthaber Baschar al-Assad in dem Papier zur vollständigen Zusammenarbeit mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) aufgefordert. Ein OPCW-Team versucht derzeit in Syrien den Giftgasvorwurf aufzuklären. Am Montag tritt der Exekutivrat zu einer Sondersitzung zusammen.

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Satellitenbild eines durch den Angriff zerstörten Lagers für C-Waffen westlich der syrischen Stadt Homs
OPCW soll binnen 30 Tagen berichten
Die OPCW soll dem Resolutionsentwurf zufolge zudem innerhalb von 30 Tagen darlegen, ob Syrien seine Bestände an C-Waffen vollständig offengelegt hat. Der Westen hatte der Assad-Regierung vorgeworfen, heimlich an ihrem Chemiewaffenprogramm festgehalten zu haben. Außerdem forderte der Entwurf einen „humanitären Zugang ohne Einschränkungen“ in ganz Syrien. Die Regierung solle darüber hinaus „ohne Vorbedingungen“ und „konstruktiv“ Verhandlungen mit den Rebellen aufnehmen.
Resolutionsentwurf Russlands abgelehnt
Die Gespräche im Sicherheitsrat über den Entwurf sollen nach Angaben aus Diplomatenkreisen am Montag beginnen. Wann über den Entwurf abgestimmt werden soll, blieb hingegen offen. Paris wolle Zeit für „echte Verhandlungen“ lassen, hieß es. Eine von Russland eingebrachte Resolution war zuvor gescheitert. Nur Russland, China und Bolivien stimmten für das Papier, das eine „Verurteilung der Aggression gegen Syrien durch die USA und ihre Verbündeten in Verletzung internationaler Gesetze und der UNO-Charta“ vorsah. Acht Länder stimmten gegen die Resolution, vier enthielten sich.
„Neokoloniales Auftreten“
Russland hatte nach den Luftschlägen die Sondersitzung einberufen. Dabei war es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Russland und den USA gekommen. Russlands UNO-Botschafter Wassili Nebensja nannte den Angriff eine aggressive Aktion Amerikas und seiner Alliierten. Die USA machten eine bereits katastrophale humanitäre Situation noch schlimmer. Die von Washington betriebene Eskalation destabilisiere den gesamten Nahen Osten.

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Die UNO-Botschafterin der USA, Nikki Haley
USA bei Giftgaseinsatz „schussbereit“
Unverhohlen ignorierten die USA und ihre Verbündeten internationales Recht, sagte Nebensja. Das sei „neokoloniales Auftreten“ und erinnere an das Verhalten von „Hooligans“. Der Sicherheitsrat werde völlig ignoriert, seine Autorität unterminiert. Nebensja sagte, es gebe keinerlei Beweise für den Einsatz chemischer Waffen in Duma. Gleichzeitig schlossen die USA weitere Luftschläge nicht aus. Sollte Syrien erneut C-Waffen einsetzen, seien die USA „schussbereit“, so UNO-Botschafterin Nikki Haley.
Nach Haleys Einschätzung seien die Militärschläge legitim und angemessen gewesen. „Zivile Opfer wurden sorgfältig vermieden“, sagte sie. „Dies war keine Rache oder Vergeltung und keine Demonstration der Stärke“, sagte Haley. Stattdessen hätten die USA und ihre Verbündeten das syrische Regime zur Verantwortung für den Einsatz chemischer Waffen gezogen. Die Bilder toter Kinder nach dem Einsatz chemischer Waffen in der Stadt Duma vor einer Woche seien keine gefälschten Nachrichten gewesen. Haley warf Russland eine Desinformationskampagne vor.

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Die Luftschläge fanden laut den USA, Großbritannien und Frankreich in Absprache statt
Haley kündigte in einem CBS-Interview am Sonntag neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland an. Finanzminister Steven Mnuchin werde die Strafmaßnahmen am Montag bekanntgeben. Die Sanktionen sollen sich gegen Unternehmen richten, die Produkte herstellen, die in Verbindung mit Assad oder dem Einsatz von Chemiewaffen stehen.
USA vermuten Sarin-Einsatz
Bezüglich Duma teilte eine US-Regierungsvertreterin mit, dass es Hinweise darauf gebe, dass in Duma neben Chlorgas auch das Nervengift Sarin eingesetzt worden sei. Sie führte unter anderem Berichte über die Symptome der Opfer an. Für den Einsatz von Sarin spreche auch die große Zahl der Toten und Verletzten. Die verfügbaren Informationen zum Einsatz von Chlorgas seien gleichwohl „viel besser“, sagte die Regierungsvertreterin.
Berichte aus Washington, Paris und Moskau
Was der Militärschlag gegen Syrien bewirkt hat und wie es danach weitergehen kann, berichten die ORF-Korrespondenten Hannelore Veith (Washington), Carola Schneider (Moskau) und Eva Twaroch (Paris).
Nur kurz nach den Luftangriffen verkündete die syrische Armee auch die vollständige Rückeroberung der Region Ostghuta, in der die Stadt Duma liegt. Ein Armeesprecher sagte am Samstag nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA, alle „Terroristen“ hätten Duma verlassen. Die syrische Armee hatte Mitte Februar unterstützt von Russland eine Militäroffensive zur Rückeroberung der vor den Toren von Damaskus gelegenen Rebellenenklave gestartet.
Trump: „Mission erfüllt“
US-Präsident Donald Trump hatte nach den Angriffen von einem „perfekt durchgeführten Luftschlag“ gesprochen. Er bedankte sich bei Großbritannien und Frankreich. Das Ergebnis hätte nicht besser sein können, schrieb er am Samstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Mission erfüllt!“
Auch das US-Verteidigungsministerium wertete die Angriffe als Erfolg. Alle Ziele seien „erfolgreich getroffen worden“, so Pentagon-Sprecherin Dana White. Der Direktor des US-Generalstabs, General Kenneth McKenzie, dementierte Angaben Russlands, wonach eine „bedeutende Zahl“ der Raketen von der syrischen Luftabwehr abgefangen worden sei. Laut McKenzie wurde keines der gut hundert Geschoße abgeschossen. Der Einsatz sei „präzise“ und „effektiv“ gewesen, fügte der General hinzu. Zivile Opfer gebe es nach derzeitigen Erkenntnissen nicht.
Pentagon: Rückschlag für C-Waffen-Produktion
Nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums haben die Angriffe die Möglichkeiten Syriens stark eingeschränkt, Chemiewaffen herzustellen. Das Chemiewaffensystem erstrecke sich zwar nicht nur auf die drei angegriffenen Ziele, sagte ein Sprecher des Pentagons am Samstag. Es existiere weiterhin auch noch Ausrüstung, um derartige Waffen zu produzieren. Dennoch hätten die Angriffe dem Arsenal einen starken Rückschlag versetzt.
Auch gemäß Angaben der französischen Regierung sei das syrische Chemiewaffenarsenal „zu einem großen Teil“ zerstört worden. Außenminister Jean-Yves Le Drian führte zudem aus, Frankreich verfüge über „verlässliche Informationen“, dass die syrische Staatsführung hinter dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff in Duma stecke. US-Verteidigungsminister Jim Mattis hatte gesagt, dass „derzeit“ keine weiteren Angriffe geplant seien.
Putin sieht Völkerrechtsverstoß
Der russische Staatschef Wladimir Putin warf dem Westen am Samstag vor, gegen Völkerrecht verstoßen zu haben. Auch warf er den Westmächten vor, den Friedensprozess für das Bürgerkriegsland zu gefährden. Der Angriff werde nicht ohne Konsequenzen bleiben, so Putin. „Die USA verschlimmern die humanitäre Situation nur weiter, unter der die Menschen in Syrien schon so leiden“, wurde Putin am Samstag zitiert.

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Das Bild der syrischen Agentur SANA zeigt das zerstörte Scientific Studies and Research Center in Damaskus
Drei Ziele ins Visier genommen
Bei dem Vergeltungsschlag hatten die Westmächte verschiedene Ziele ins Visier genommen. Nach US-Angaben waren das ein Forschungszentrum bei Damaskus, eine mutmaßliche Lagerstätte für chemische Waffen sowie eine Kommandoeinrichtung bei Homs. Die französischen Streitkräfte hätten zwölf Raketen auf zwei Ziele in Homs gefeuert. Dabei habe es sich um eine Lager- und eine Produktionsstätte gehandelt.
Es ist nicht das erste Mal, dass die USA und Präsident Trump die Assad-Regierung direkt angreifen. Das US-Militär hatte vor einem Jahr die syrische Luftwaffenbasis al-Schairat beschossen - als Reaktion auf den Giftgasangriff mit Dutzenden Toten auf die Stadt Chan Scheichun, für den UNO-Experten die Regierung von Assad verantwortlich machten. Das Eingreifen der USA galt aber weitgehend als symbolisch.
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