Die Rolle des Geldes
Auf den Gewürzplantagen in Madagaskar eskaliert die Gewalt. Um sich vor Dieben zu schützen, formieren sich immer mehr Vanillebauern zu Bürgerwehren. Mit Macheten und Gewehren bewaffnet wachen sie über ihre begehrten Schoten. Nicht selten kommt es während der Patrouillen zu gewaltsamen Konflikten, die im schlimmsten Fall mit dem Tod enden.
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Wegen der Vanille wird auf der afrikanischen Insel, die bis zu 70 Prozent des globalen Vanillebedarfs abdeckt, seit Jahren geraubt und gemordet. Dutzende Tote sollen es im letzten Jahr gewesen sein. Offizielle Zahlen dazu gibt es allerdings nicht. Medien berufen sich zumeist auf Augenzeugen, die die Gewalt beobachten. Besonders in der als „Vanille-Dreieck“ bekannten Region SAVA (Sambava, Antalaha, Vohemar und Andapa) im Nordosten des Landes stünden Überfälle auf der Tagesordnung, heißt es. Da viele Bauern der Polizei misstrauen, greifen sie zur Selbstjustiz.
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Landwirte verteidigen mit Schusswaffen ihre Plantagen vor Dieben
So wurden Anfang des Jahres laut dem britischen „Guardian“ fünf mutmaßliche Diebe auf einen Marktplatz in der Region geschleppt und mit Macheten getötet. Nicht zum ersten Mal. Schon in den Jahren zuvor berichteten mehrere Medien über Lynchmorde in der SAVA-Region. Und 2003 zitierte BBC einen Bauern aus Antalaha: „Es gibt jede Menge Diebe, Hinrichtungen und Korruption. Wenn du deine Plantage verlässt, wirst du bestohlen. Wenn du bleibst, könntest du getötet werden.“
Preisanstieg sorgt für Gewaltspirale
Der Ökologe Benjamin Neimark, der an der britischen Lancaster University lehrt und über Madagaskar publiziert, macht die steigende Kriminalität an der Preisexplosion von Rohvanille fest. „Seit der Markt in den 90er Jahren liberalisiert wurde, befinden sich die Bauern im Krisenmodus“, sagt er im ORF.at-Gespräch. Der nun boomende Markt und die Aussicht auf schnelles Geld hätten noch mehr Erntediebe, Geldwäscher und Marktspekulanten, die vom lukrativen Geschäft profitieren wollen, angelockt. Zugleich sei damit aber auch die Unsicherheit und Angst in den Dörfern nahe den Vanilleplantagen gestiegen, so Neimark weiter.
Schwarzgebräunte Vanille:
Die Vanille gehört zu der Familie der Orchideen und stammt aus Mexiko. In Madagaskar werden die Blüten von Hand bestäubt. Die grünen Schoten werden gepflückt und in einem langwierigen Prozess, der Schwarzbräunung, getrocknet und fermentiert.
Tatsächlich verzeichnete das Gewürz in den letzten Jahren einen enormen Wertzuwachs. Durch größere Ernteausfälle 2015 und den Zyklon „Enawo“, der Anfang März 2017 die SAVA-Region traf und 30 Prozent der Plantagen vernichtete, sank das Angebot. „Die globale Nachfrage nach echter Vanille ist aber größer geworden“, so Erwin Kotanyi vom gleichnamigen Gewürzhersteller. Und befeuert durch eine von Spekulanten und Schmugglern erzeugte Verknappung konnte der Kilogrammpreis binnen weniger Jahre so auf bis zu 650 Euro klettern - nur Safran erzielte höhere Preise.
Grafik: ORF.at; Quelle: Eurovanille
Im Durchschnitt betrug der Preis im vergangenen Jahr, so lässt der französische Importeur Eurovanille auf ORF.at-Anfrage wissen, rund 400 Euro. Aufgrund der starken Schwankungen zahlte ein Händler aber auch 650 Euro pro Kilogramm. „Vor fünf Jahren haben wir noch 30 Euro gezahlt, heute fast 700“, sagte Kotanyi, der als Obmann des Verbandes der Gewürzindustrie fungiert. Einen ähnlichen Kurs verzeichnete die Vanille übrigens schon Anfang der 2000er Jahre, damals verknappte ebenfalls ein Zyklon das Angebot und ließ den Kilopreis auf maximal 400 Euro steigen. Als sich die Ernte erholte, brach der Preis ein und harrte eine Dekade lang im Keller.
„Mehr Vanillediebe als Vanillebauern“
Gerade wegen dieser Reminiszenz wollen viele Madagassen, für die Vanille oft die einzige Einnahmequelle ist, die derzeitige Preisspitze nutzen, sagt Neimark. Sie erweitern ihre Anbauflächen, um mehr Schoten an Zwischenhändler und Exporteure zu verkaufen. Zwar würden Landwirte durch das boomende Vanillegeschäft von einer besseren Verhandlungsposition profitieren. Allerdings müssten sie auch ihre Plantagen besser schützen.
APA/AFP/Rijasolo
Die grünen Vanilleschoten werden getrocknet und erhalten so ihr Aroma
Wie das im Detail aussieht, untersuchte auch das dänische Institut für investigativen Journalismus, DanWatch, im Dezember 2016. Viele Landwirte samt Familien schlafen auf ihren Vanillefeldern, um ihre kostbare Ernte zu verteidigen, Wachleute errichten Straßensperren und durchsuchen das Gepäck von Fremden. In den Dörfern gibt es öffentliche Tribunale, hinzu kommen umstrittene Bürgerwehren, die die mutmaßlichen Diebe nicht der Polizei übergeben, sondern an Ort und Stelle töten.
Hoher Preis, niedrige Qualität
Mit der ausufernden Gewalt gehen auch Qualitätseinbußen der Vanille einher. Um nicht Opfer eines Diebstahls zu werden, pflücken manche Bauern ihre grünen Vanilleschoten nämlich noch vor der eigentlichen Erntezeit im Juni. In den bis zu 30 Zentimeter langen, unreifen Kapseln konnte sich aber noch nicht die volle Menge des wichtigen Inhaltsstoffs Vanillin bilden. Selbst nach der Fermentation, bei der die Schote ihren typisch schwarzbraunen Glanz erhält, kann sich das Vanillearoma nicht entwickeln.
Reuters/Pierre-Yves Babelon
Heute kostet ein Kilogramm der schwarzgebräunten Vanille rund 700 Euro
Freilich nicht zur Freude großer Vanilleimporteure. Der Direktor des im kanadischen Montreal ansässigen Branchenriesen Aust & Hachmann, David van der Walde, konstatierte kürzlich im Magazin „Spektrum“, dass die Vanille, die er jetzt um mehrere hundert Euro pro Kilogramm verkauft, qualitativ schlechter sei als jene, die er vor ein paar Jahren für rund 30 Euro angeboten habe. Kotanyi bestätigte den Qualitätsverlust teilweise. In manchen Gebieten sei der Aromawert niedrig, sagte er. „Aber die Bourbonvanille hat laut unseren Kontrollen weiterhin einen hohen Vanillingehalt.“
Während die einen also über die Flut an unreifen Schoten klagen, profitiert ein Gruppe davon besonders: Marktspekulanten. Zunächst erwerben sie die zu früh geerntete Vanille kostengünstig, um sie dann in vakuumversiegelten Behältern aufzubewahren. Ist der Preis hoch, werden die Schoten in das Ausland verkauft, ist er niedrig, bleiben sie gelagert. Durch Spekulationen entsteht ein künstlicher Engpass, der Preis schnellt hoch - und die Gewalt könnte steigen.
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