Freundschaftsdienst in der Tundra
Die russische Gasprom baut im Osten Sibiriens eine der längsten Gaspipelines der Welt. Ab Dezember 2019 soll sie Erdgas aus Irkutsk und Jakutien nach China liefern. Das erste Mal sind dann der weltgrößte Erdgaslieferant und einer der weltgrößten Erdgasimporteure direkt miteinander verbunden. Dabei geht es um mehr als nur den wirtschaftlichen Erfolg.
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Permafrostboden, dichte Wälder, Temperaturen, die zwischen minus 40 Grad im Winter und plus 40 Grad im Sommer schwanken können: Es gibt geeignetere Gegenden für Großbaustellen als den Osten Sibiriens. Und doch baut der russische Gasriese Gasprom dort seit dreieinhalb Jahren an seinem bisher größten und teuersten Projekt: „Sila Sibiri“, übersetzt die „Kraft Sibiriens“.

Grafik: OSM/ORF.at; Quelle: Gasprom
Hunderte Arbeiter sind an dem Bau beteiligt. Jeden Tag schweißen sie Stück an Stück - jedes einzelne zwölf Meter lang und 1,4 Meter im Durchmesser. Mehr als 150 Rohrelemente kommen jeden Tag dazu; teils vier Meter tief im Boden vergraben, teils oberirdisch auf Stelzen. Zwei Kilometer wächst die stählerne Schlange täglich, schrieb die „Financial Times“. Am Ende soll sich die Pipeline 3.000 Kilometer durch Ostsibirien ziehen - vom Gasfeld Kowyktinskoje am Nordwestufer des Baikalsee bis nach Blagoweschtschensk, wo sie nach Süden abbiegt. Dort liegt das eigentliche Ziel des Mammutprojekts: China.
„Wende nach Osten“
Am 1. September 2014 waren Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesischen Vizepremier Zhang Gaoli dabei, als die ersten beiden Rohrstücke der zukünftigen Pipeline verschweißt wurden. Drei Monate zuvor hatten Moskau und Peking ein 30-jähriges Gasabkommen geschlossen. „Unsere verehrten chinesischen Partner haben es innerhalb eines Tages auf eine Stufe mit unserem größten Gaskunden geschafft“, hieß es damals von einem euphorischen Gasprom-Chef Alexej Miller. Von einer „Wende Russlands nach Osten“ war im selben Jahr ganz generell die Rede.

APA/AFP/RIA Novosti/Presidential Press Service/Alexei Nikolsky
Der Baubeginn der Pipeline wurde von der russischen und chinesischen Führung zelebriert
Für Russland und den staatlichen Gaslieferanten Gasprom liegt der Schritt Richtung Osten nahe. Spätestens seit der Annexion der Krim im März 2014 sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen mindestens unterkühlt. Viele osteuropäische Länder warnen vor der Abhängigkeit von russischem Gas und machen Stimmung gegen neuen Pipelineprojekte wie „Nord Stream 2“. Zugleich ist der Gashandel mit Europa längst nicht mehr so lukrativ wie noch vor einigen Jahren. Auch wenn die Gasexporte nach Europa mit fast 200 Mrd. Kubikmeter im vergangenen Jahr ein Rekordhoch erreichten.
China auf der Suche nach Energiesicherheit
Peking wiederum versucht nicht zuletzt aus Umweltbedenken die eigene Wirtschaft aus der Abhängigkeit der Kohle zu führen und setzt zunehmend auf Erdgas. Mit seinen eigenen Gasvorkommen lässt sich der Energiehunger Chinas aber kaum stillen. Die einfach abzubauenden Gasfelder laufen nach und nach trocken, bei den schwer erreichbaren Vorkommen rechnet es sich (noch) nicht, sie anzuzapfen. Das macht russisches Erdgas zu einer willkommenen Absicherung für die chinesische Energieversorgung.
Wie abhängig China von den russischen Gaslieferungen tatsächlich sein wird, ist aber eine andere Frage. Im Westen bieten sich die zentralasiatischen Staaten als Gaslieferanten an. Die überwiegende Mehrheit des nach China importierten Erdgases kommt zurzeit aus Turkmenistan. Seit fünf Jahren besteht überdies eine Pipelineverbindung im Süden, nach Myanmar.
Entsprechend hart und lang fielen die Verhandlungen Pekings mit Moskau aus, die dem Gasabkommen von 2014 vorangingen. Zehn Jahre saßen die beiden Staaten am Verhandlungstisch. „Die Chinesen waren sehr zäh“, zitierte die „FT“ eine in die Verhandlungen involvierte Person. Einer der Erfolge Pekings: Anders als ursprünglich geplant, stimmte Gasprom zu, das Erdgas nicht nach West-, sondern nach Ostchina zu transportieren, so die Zeitung.
Frage der Lukrativität
Tatsächlich wurden seit Beginn der Bauarbeiten immer wieder Zweifel laut, wie lukrativ das Geschäft für Russland tatsächlich ausfallen wird. 2025 soll die Leitung die volle Kapazität leisten und rund 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China liefern. Ob sich das für Gasprom dann aber tatsächlich rechnet, ist fraglich.
Rund 50 Mrd. Euro kostet den Staatskonzern nach offiziellen Angaben allein die Errichtung der nötigen Infrastruktur - also der Pipeline und der Förderanlagen. Zum Vergleich: Die in Europa noch umstrittene Nordseepipeline „Nord Stream 2“ ist mit etwas mehr als neun Mrd. Dollar projektiert.

Gazprom.com
Die 3.000 Kilometer lange Pipeline ist für Gasprom ein teures Prestigeprojekt
Die genauen Bedingungen des russisch-chinesischen Gasdeals sind Verschlusssache. Laut „FT“ soll der Gaspreis aber an den globalen Ölpreis gekoppelt sein. Das bedeutet im Gegenzug aber auch: Sollte der Ölpreis in den kommenden Jahren nicht merklich ansteigen, könnte sich das Megaprojekt für Russland als Verlustgeschäft herausstellen.
Brücke als Symbol
In den offiziellen Aussendungen Gasproms ist davon wenig überraschend nichts zu merken. Mehr als 75 Prozent der Pipeline sei inzwischen fertiggestellt, verkündete das Unternehmen im März und sprach vom „ehrgeizigsten Projekt der globalen Gasindustrie“. Inzwischen laufen in der russischen Grenzstadt Blagoweschtschensk bereits die Arbeiten an jenem Pipelineabschnitt, der die Grenze zwischen Russland und China über- oder besser unterqueren soll. Bei Blagoweschtschensk trennt der Fluss Amur die beiden Staaten. In sein Flussbett soll die Erdgasleitung versenkt werden.
Über den Fluss wird in Zukunft aber auch eine Brücke führen, ihre Pfeiler stehen bereits. Nach ihrer Fertigstellung wird sie Blagoweschtschensk mit der chinesischen Millionenstadt Heihe verbinden. Im Gespräch war das grenzüberschreitende Bauwerk bereits seit Jahren. Realität wird es nun aber erst im Windschatten der Pipeline. Die Brücke lässt bereits erahnen, welche Ziele mit dem Gasabkommen verknüpft sind.
Stählernes Bindeglied
Das Megaprojekt „Kraft Sibiriens“ mag für Russland wirtschaftlich eine - wenn auch riskante - Chance darstellen. Sein Erfolg ist für Moskau aber nicht allein wirtschaftlich festzumachen. „In Russlands hochkomplexem Netz von Diplomatie, Außen- und Handelspolitik spielt die wirtschaftliche Logik des Deals nur eine kleine Rolle im Vergleich zum immateriellen Wert eines Freundes, Verbündeten und Partners im Osten“, schreibt die „FT“.
Das gilt wohl umso mehr in Zeiten, in denen sich der Westen und Russland mit gegenseitigen diplomatischen Strafmaßnahmen überziehen und die USA und China auf einen Handelskrieg zusteuern. Wenn die neue Pipeline im Dezember 2019 eröffnet wird, kann Moskau in seiner Beziehung zu Peking auf ein - stählernes - Bindeglied mehr zurückgreifen.
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