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International abgestimmte Aktion

Der Streit zwischen Russland und dem Westen nach dem Giftanschlag von Salisbury ist weiter eskaliert. Am Montag wiesen nach Großbritannien auch die USA und 15 weitere EU-Staaten mehrere Dutzend russische Bürger aus. Aus Moskau wurde bereits die Ankündigung von Gegenmaßnahmen laut.

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Die USA verwiesen nach Informationen aus Regierungskreisen 60 Russen des Landes und schlossen das Generalkonsulat in Seattle. Hochrangige Regierungsmitarbeiter sagten am Montag in Washington, bei den betroffenen Personen handle es sich um „bekannte Mitarbeiter der Geheimdienste“. Die 60 russischen Staatsbürger arbeiteten in der Botschaft in Washington und in anderen diplomatischen Vertretungen im ganzen Land.

Auch zwölf Mitarbeiter der russischen Vertretung am UNO-Hauptquartier in New York sollen das Land verlassen müssen. Australien gab am Dienstag die Ausweisung von zwei russischen Diplomaten bekannt. Damit griffen die Länder auf eine der härtesten Maßnahmen zurück, die ein Land ergreifen kann. Die nächste Stufe wäre bereits der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

Tusk verkündet Ausweisungen

Bei sämtlichen Ausweisungen handelt es sich augenscheinlich um eine mit der EU abgestimmte Aktion. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk mit, dass auch eine Reihe weiterer EU-Staaten dem Vorbild Großbritannien gefolgt ist. Tusk schrieb, dass 14 EU-Staaten beschlossen hätten, russische Diplomaten auszuweisen. Weitere Sanktionen seien in den kommenden Tagen nicht auszuschließen, so Tusk auf Twitter. Im Laufe des Montagabends stießen zu den ursprünglich von Tusk genannten Staaten noch Spanien und Ungarn hinzu.

Allein Deutschland verwies vier russische Diplomaten des Landes. „Denn nach dem Giftanschlag von Salisbury trägt Russland noch immer nicht zur Aufklärung bei“, so der deutsche Außenminister Heiko Maas. „Wir setzen damit auch ein Zeichen der Solidarität mit Großbritannien.“ Darüber hinaus kündigten auch Norwegen, Albanien, die Ukraine und Kanada Ausweisungen russischer Diplomaten an.

Schaltung nach Brüssel, Washington und Moskau

Peter Fritz (Brüssel), Robert Uitz-Dallinger (Washington) und Carola Schneider (Moskau) zur Eskalation der Spannungen zwischen Russland und dem Westen.

Laut der britischen Premierministerin Theresa May handelt es sich bei den Sanktionen gegen den Kreml um die größte gemeinschaftliche Ausweisung russischer Diplomaten in der Geschichte. Insgesamt seien davon mehr als 100 Personen in 18 Ländern betroffen, sagte May am Montag im Londoner Parlament.

Österreich weist keine Diplomaten aus

Österreich wird sich den Maßnahmen hingegen nicht anschließen. „Wir sind in der Bundesregierung gut abgestimmt und werden keine Diplomaten ausweisen“, teilten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme mit. Im Ö1-Morgenjournal sagte Kneissl, dass es in „schwierigen Situationen“ immer auch einen Platz für „Dialog“ geben müsse - Audio dazu in oe1.ORF.at

Auf die Frage, warum man sich nicht den restlichen EU-Staaten anschließe, antwortete die Außenministerin: „Es gibt keinen 100-prozentigen Beweis, dass Russland hinter dem Giftanschlag steht.“ Man werde die vollständige Aufklärung abwarten und keine voreiligen Schlüsse ziehen. „Was haben wir davon, wenn nur noch Schweigen herrscht?“, so Kneissl.

Bereits zuvor sagten Kneissl und Kurz unisono, dass man hinter der Entscheidung stehe, den EU-Botschafter aus Moskau zurückzurufen. „Wir setzen aber keine nationalen Maßnahmen. Vielmehr wollen wir die Gesprächskanäle nach Russland offen halten“, so Kurz und Kneissl. „Österreich ist ein neutrales Land und sieht sich als Brückenbauer zwischen Ost und West.“

Moskau sieht „Provokation“ mit „Folgen“

Russland verurteilte die Ausweisungen scharf. Moskau werde natürlich darauf reagieren, teilte das Außenministerium am Montag mit. „Es versteht sich von selbst, dass der unfreundliche Schritt der Ländergruppe nicht folgenlos bleiben wird“, hieß es. Die verhängten Maßnahmen seien eine „Provokation“.

„Sehr hoher Symbolwert“

Wie ist die konzertierte Ausweisung russischer Diplomaten durch Länder der EU und die USA zu bewerten - und warum ist Österreich nicht dabei? ZIB-Auslandschef Andreas Pfeifer analysiert.

Der russische Botschafter in Washington protestierte laut einer Meldung der Nachrichtenagentur RIA gegen die Ausweisung. Die USA zerstörten das Wenige, das noch an Beziehungen zwischen beiden Staaten übriggeblieben sei. Die Reaktion Russlands werde im gleichen Maße erfolgen. Die USA verstünden nur die Sprache der Stärke. Die russische Nachrichtenagentur zitierte den russischen Senator Wladimir Dschabarow mit den Worten, sein Land werde im Gegenzug 60 US-Diplomaten ausweisen.

Kritik in Deutschland

In Deutschland gab es auch Kritik an der Ausweisungsentscheidung, sogar von Teilen der mitregierenden SPD. SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich kritisierte die Entscheidung als „übereilt“. Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich sprach von einem „verhängnisvollen Weg“, Hansjörg Müller von der rechtspopulistischen AfD wertete die Ausweisung sogar als einen „gefährlichen Anschlag auf den Weltfrieden“. „Stellt ihn vor Gericht“, schrieb er auf Twitter mit Blick auf Maas.

Vorwurf weiter zurückgewiesen

Russland hatte von Beginn an den Vorwurf Großbritanniens zurückgewiesen, hinter dem Giftanschlag auf den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal zu stecken. Die russische Regierung wich von dieser Position auch nicht ab, als sich vergangene Woche die restlichen EU-Staaten hinter Großbritannien stellten. Die Führung in Moskau warf der EU vielmehr vor, sie lasse sich in eine von Großbritannien und den USA inszenierte Kampagne hineinziehen, mit der ein Keil zwischen die Europäische Union und Russland getrieben werden solle.

Großbritannien veröffentlichte bisher keine Beweise für eine Verwicklung Russlands in den Anschlag. Aus London hieß es aber, dass Russland „höchstwahrscheinlich“ hinter dem Anschlag stecke. Dem schlossen sich die EU-Staaten am Freitag an. Großbritannien verwies bereits 23 russische Diplomaten des Landes. Die Regierung in Moskau reagierte darauf mit der Ausweisung britischer Diplomaten.

May: Möglicherweise 130 Menschen Gift ausgesetzt

May bekräftigte am Montag vor dem Parlament hingegen die Vorwürfe gegen Moskau. Die britischen Behörden hätten Informationen, wonach Russland in den vergangenen zehn Jahren Forschungen zum Einsatz von Nervengiften anstellte. Wahrscheinlich sei es dabei um Tötungen gegangen, sagte May. Durch den Anschlag auf Skripal könnten laut der britischen Regierungschefin mehr als 130 Menschen dem verwendeten Nervengift ausgesetzt worden sein.

Den britischen Darstellungen zufolge wurde das Attentat auf den ehemaligen Spion und seine Tochter mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe ausgeführt, das aus der Sowjetunion stammt. Unklar ist, wo das verwendete Gift hergestellt wurde. Zurzeit sollen Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) die Proben vom Tatort untersuchen.

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