Schwebende Klanglandschaften
Claude Debussy hat in seinen Liedern, seiner Klaviermusik, seinen Orchesterwerken und in seiner einzigen vollendeten Oper „Pelleas et Melisande“ schwebende Klanglandschaften erschaffen. Vor genau 100 Jahren starb der französische Pianist und Komponist, dem das Attribut „impressionistisch“ anhaftet - und der doch so viel mehr war.
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Viel mehr als für die Impressionisten habe sich Debussy für die Symbolisten interessiert, sagt Benedikt Leßmann vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien gegenüber ORF.at. Ebenso wie für Musik habe Debussy sich für andere Künste interessiert, sagt Leßmann, „allen voran für die symbolistische Literatur von (Stephane) Mallarme, (Paul) Verlaine und (Charles) Baudelaire oder von (Edgar Allen) Poe, (Gabriele) D’Annunzio und (Maurice) Maeterlinck, aber auch für die Malerei etwa eines (James McNeill) Whistler.“

Bibliotheque Nationale de France
Debussy 1893 an der Marne
Unverkennbar in Debussys Schaffen seien auch Einflüsse deutscher, russischer und außereuropäischer Provenienz. „Debussy selbst betonte gerne seine Unabhängigkeit. Tatsächlich hat er sich aber an vielen verschiedenen Musikrichtungen abgearbeitet: an der französischen Tradition (etwa dem Opernkomponisten Jules Massenet), aber auch an Kollegen seiner eigenen Generation wie (Ernest) Chausson oder (Eric) Satie.“
Mit zehn Jahren aufs Konservatorium
Debussy kam am 22. August 1862 in St. Germain-en-Laye bei Paris zur Welt. Die Familie lebte in einfachen Verhältnissen, Claude war das älteste von fünf Geschwistern, er besuchte nie eine Schule, seine Mutter unterrichtete ihn. An die Musik herangeführt wurde er durch Aufenthalte bei einer Tante mit kunstaffinem Umfeld.

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Debussy im Alter von zehn Jahren
Mit zehn Jahren kam er aufs Pariser Konservatorium, eine ebenso renommierte wie konservative Bildungseinrichtung, der Debussy 13 Jahre treu blieb, obwohl er gern gegen ihre eingefahrenen musikalischen Regeln verstieß, die seinem Verständnis von Musik nicht gerecht wurden: „Die Musik ist eine geheimnisvolle Mathematik, deren Elemente am Unendlichen teilhaben. Sie lebt in der Bewegung des Wassers, im Wellenspiel wechselnder Winde; nichts ist musikalischer als ein Sonnenuntergang“, schrieb Debussy in einem Brief.
Glücklos in Rom
Manchmal machte sich der junge Rebell allerdings auch die starren Regeln des Konservatoriums zunutze. Nämlich wenn sie seiner Karriere förderlich waren, wie der Stuttgarter Debussy-Kenner Jochen Scheytt schreibt: 1884 bekam Debussy einen vierjährigen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom zugesprochen, ein Stipendium, für das er sich zweimal zuvor vergeblich beworben hatte. In dem Werk „L’enfant prodigue“ („Das Wunderkind“) hätte Debussy dann seinen eigenen Stil verleugnet, so Scheytt, und die erfolgreiche Kantate in einer musikalischen Sprache abgefasst, die der erzkonservativen Jury gefallen musste.
Das stark verschulte Rom-Stipendium brachte Debussy kein Glück. Er kehrte der Stadt vorzeitig den Rücken und lästerte später über den so prestigeträchtigen, aber künstlerisch als steril empfundenen Aufenthalt. Inspirierender war da schon die Pariser Weltausstellung 1889. Der damals 27-Jährige kam in Kontakt mit arabischer Musik, spanischer Folklore und der traditionellen Gamelan-Musik aus Bali und Java mit ihren für europäische Ohren ungewohnten, pentatonisch gestimmten Instrumenten – eine klangliche Irritation, die Debussy in seine eigenen Werke übernahm, hörbar etwa in seinem Klavierzyklus „Estampes“ von 1903.
Durchbruch 1894
Die parallele Rückung von Akkorden und die Verwendung von Ganztonleitern seien typische kompositorische Verfahren Debussys, sagt Leßmann gegenüber ORF.at. Debussy selbst erklärte einmal: „Le plaisir est la regle“ - das Vergnügen sei die einzige Regel, die er akzeptiere. Der Durchbruch gelang Debussy 1894 mit einer Vertonung eines Textes des symbolistischen Dichters Stephane Mallarme, „Prelude a l’apres-midi d’un faune“. Ebenso berühmt: Debussys einzige vollendete Oper „Pelleas et Melisande“ (1902).

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Symbolist und Inspiration für Debussy: Dichter Stephane Mallarme
„Neben Arnold Schönberg und Igor Strawinsky ist Claude Debussy der einflussreichste moderne Komponist der Zeit nach Richard Wagner. Nur lässt sein Antiakademismus die spezifische Revolution Debussys diskret erscheinen“, schreibt der zeitgenössische französische Pianist Pierre-Laurent Aimard (60) über die Musik seines Landsmanns. „Debussy ist so reich, mysteriös und rein, dass er mich immer noch im Innersten berührt“, so der Pianist.
Von Progressiven wie Konservativen geschätzt
„Die Wirkung Debussys in Frankreich war speziell nach der Uraufführung seiner Oper ,Pelleas et Melisande‘ im Jahr 1902 so groß und lähmend, dass von einem ‚Debussysmus‘ die Rede war“, sagt der Wiener Musikwissenschaftler Leßmann. „Bald nach seinem Tod 1918 gewann jedoch eine ganz andere Richtung die Oberhand, die man oft als neoklassizistisch bezeichnet. Auch Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie (Olivier) Messiaen oder (Pierre) Boulez interessierten sich stark für Debussy. In der Nachwirkung ist er, so könnte man pointiert sagen, ein Komponist gewesen, der von Progressiven wie von Konservativen geschätzt wird.“

Centre Debussy
Debussy und Strawinsky (1910)
Der Komponist so bedeutender Werke wie „La mer“, „Nocturnes“ und der Suite „Children’s Corner“ (die Debussy seinem einzigen Kind widmete) war am Vorabend des Ersten Weltkrieges auch ein glühender Patriot. Einen „musicien francais“ nannte er sich – einen patriotischen französischen Musiker in Abgrenzung vom Kriegsgegner, den „Austro-Boches“, Österreichern und Deutschen, die Debussy „aus dem letzten Loch pfeifen sehen wollte“.
Ansteckender Chauvinismus
Lukas Haselböck lehrt am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst und ordnet den Nationalismus Debussys so ein: „Im Vor- und Umfeld des Ersten Weltkriegs ließen sich sowohl die Komponisten der Wiener Schule als auch Debussy vom damals grassierenden Chauvinismus anstecken. 1914 sprach Debussy in einem Atemzug von der ,barbarie allemande‘ und der Aversion gegen (Richard) Strauss und Schönberg, und Letzterer vertrat immer wieder die Meinung, dass der deutsch-österreichischen Musik der Vorrang zukomme.“
„Rächt Frankreichs Kinder!“
In einem bitteren Weihnachtslied namens „Noel des enfants qui n’ont plus de maisons“ („Weihnachten für Kinder ohne Heim“) von 1915 fordert Debussy (für Text und Melodie verantwortlich): „Die Feinde haben alles, alles genommen; bestraft sie! Rächt Frankreichs Kinder! Und die kleinen Belgier, Serben und Polen ebenso.“
„Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus waren bekanntlich dem frühen 20. Jahrhundert ebenso wenig fremd wie der heutigen Zeit“, bemerkt dazu Leßmann. „Das soll keine Entschuldigung sein, sondern eine Beschreibung. Debussys Betonung des ,Französischen‘ war vor allem eine Absetzung von Deutschland, die ästhetische (Ablehnung Wagners usw.), musikhistorische (empfundene Übermacht der deutschen Musik) und politische Gründe (Deutsch-Französischer Krieg, Erster Weltkrieg) hatte.“

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Manuskript von Debussys berühmtem Werk „La mer“
Im selben Jahr, als Debussy sein verzweifeltes Weihnachtslied schrieb, verschlimmerte sich seine Krebserkrankung, die bereits sechs Jahre zuvor diagnostiziert worden war. Nur Morphiumgaben ließen ihn die Schmerzen ertragen. Am 25. März 1918 starb Debussy. Seine Tochter Claude-Emma, der „Children’s Corner“ gewidmet war, überlebte den Vater um kaum mehr als ein Jahr.
Links:
Alexander Musik, für ORF.at